Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
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СКАЧАТЬ in den Wissenschaften unterrichten, die der Graf für seine fernere Ausbildung und zu seiner dereinstigen Bestimmung unerläßlich erachtete. Meister Ulrich hieß der Mann, der ihn und noch einen Jüngling zu Schülern hatte. Früher Mönch eines schottischen Klosters, war er zum Orden übergegangen und hatte sich der freien Wissenschaft gewidmet. Finster und verschlossen sah er auf strengen Gehorsam und auf unausgesetzten, unermüdlichen Fleiß. Trat dieser düstere Schulmonarch ab, so nahm ein Mann seine Stelle ein, dessen Amt es war, die Spiele, die Spaziergänge und die freien Stunden der beiden Jünglinge zu überwachen. Dieser Mann hieß Antonius; es schwebte ein Dunkel über seinem eigentlichen Namen und über seinen früheren Schicksalen. Der Graf ließ sich nie über ihn aus, und im Schlosse folgte man seinem Beispiel. Antonius war klein von Gestalt, und da sein Körper dabei untersetzt und muskulös war, so machte er den Eindruck eines Zwerges oder wunderlichen Kobolds; dazu trug die feuerrote Kleidung, die er anhatte, das ihrige bei. Auf den alten Bildern war man gewohnt, die »kleinen Leute«, wie die Gnomen hießen, die das Innere der Gebirge bewohnten, in einem Scharlachgewande abgebildet zu sehen, wenn sie nicht in ihrer Amts- und Geschäftstracht, das heißt, mit dem schwarzen Schurzfell bekleidet und in dem Kittel der Grubenarbeiter erschienen. Die wenigen Bewohner des Schlosses waren überzeugt, und ließen sich für diese Überzeugung das Leben nehmen, daß Meister Antonius, oder wie er auch genannt wurde, Master Toni, ein Gnom von vornehmer Abstammung sei und mit den Menschen auf der Oberfläche der Erde nichts gemein habe als die zufällige Ähnlichkeit mit der menschlichen Körperbildung. Denn es konnte zufällig genannt werden, daß der dicke Kopf des Masters sich mehr einem Menschenschädel als einem Ochsenkopfe ähnelte, eine kleine Änderung der Form oder auch nur die Verschiebung von ein paar Linien, ein geringer Zusatz an einem Höcker hier oder einem Büschel Haare dort konnten den Ausschlag für die Tierbildung geben. Aber wenn dieses Wesen sprach, und es sprach oft, viel und mit großer Lebendigkeit, so war kein Zweifel weiter gestattet, daß es dem höhern Wesensrange angehörte. Toni hatte Verstand, Witz und eine wahrhaft blendende Gabe des Vortrags. Man mußte ihn von den alten Tagen seiner Heimat erzählen, mit nicht ganz anmutiger Stimme die kaledonischen Lieder singen hören, um zu erfahren, was eine Erzählung und ein Lied zu wirken imstande waren. Auch ließ sich Toni herab, den Narren zu machen, wenn es die Gelegenheit erforderte, das heißt einmal im Jahre, wenn der Patrickstag eintraf und das schon erwähnte Bankett im Rittersaale gegeben wurde.

      Das Amt, das Master Toni bei den beiden Jünglingen verwaltete, haben wir in seinen äußeren Umrissen bereits angegeben, doch die vorgeschriebenen, umgrenzenden Linien füllte er auf seine Weise aus. Wenn es ihm anbefohlen war, daß er die Knaben nicht dürfe müßig dahinschlendern lassen, so war damit noch nicht gesagt, womit er ihnen die Stunden zu füllen habe. Das war Master Tonis Sache und er ließ sich hier auch nichts vorschreiben. Jeder andere, der nicht die unerschöpflichen Fundgruben des Witzes hatte, die dem Zwerge zu Gebote standen, würde auf einem Schauplatz wie dem, den wir eben geschildert, bei der Einförmigkeit und der Stille dieser »ewig unveränderten« Natur um den Stoff verlegen gewesen sein, mit dem er den Geist seiner Zöglinge zerstreuen und laben solle; Master Toni wußte stets Auskunftsmittel. Er kletterte mit seinen jungen Genossen im Gebirge umher, stieg auf die Höhenzüge und ließ sich in die Schluchten hinab. Das Dorf Canongate mit seiner am Bergeshange gelegenen Meierei und seinem alten in Trümmer fallenden Kloster war zweimal die Woche der Zielpunkt der Wanderungen, die früh in den Nachmittagsstunden und, wenn der Sommer vorrückte, nach der Abendvesper unternommen wurden. Im Mondschein kehrte dann die kleine, wandernde Gesellschaft, zu der sich oft einige Knechte des Schlosses oder der Pfarrer des Kirchsprengels von Heathwood gesellte, zurück. Meistenteils machte Antonius seine Streifereien mit seinen jungen Gefährten allein.

      Wenn dann der Mond über die Bergspitzen, die den See von Canongate einschlossen, emporstieg, oder wenn er sich auf die weithin schimmernden Wiesen der westlichen Talfläche mit seinem Glanz hinbreitete, so saß der Zwerg an irgendeiner bequemen Stelle und erzählte seine Geschichten. Am häufigsten sah man ihn auf einem kleinen Felsenplateau Platz nehmen, das hoch oben über dem See befindlich war und nicht ganz ohne Gefahr von rüstigen Kletterern erreicht wurde. Hier schwebte die kleine Gesellschaft, wenn die Nebel des Sees aufstiegen, wie in einer Wolke, und die Lieder, die das Landvolk hörte und den Geistern des Gebirges zuschrieb, tönten dann von den Lippen der drei nächtlichen Genossen.

      Auf die an wilde, wechselnde Genüsse gewöhnte Seele Georgs fiel diese Einsamkeit zu Anfang wie eine Art Qual und wie ein Unglück. Erst nach und nach gewöhnte er sich, aus dem Fenster seines kleinen Studierzimmers, das einen Erker nach Sem See hin bildete, immer dieselbe schwarze Wand der Felsen, immer dasselbe unbewegliche, dunkle Gewässer zu seinen Füßen zu sehen. Er beklagte bitter, nicht mehr die lustige Schenke des guten Mannes Bertholet betreten zu dürfen, keinen Becher mehr zu leeren mit Paraclet, seinem gelehrten und würdigen Freunde, und keine Abenteuer mehr erleben zu können, ähnlich dem, das ihm den Verlust der hundert Goldstücke eingetragen. Selbst dem finstern Herrn Onofrius, der ihm diese Veränderung gebracht, wäre er gern wieder begegnet, da dieser ihn an das verlorene Paradies lebhaft erinnert hätte, aber der Arzt oder Magier war nicht zu erspähen; er war und blieb fort. Meister Ulrich war dem Jünglinge verhaßt, und er folgte nur gezwungen dessen Befehlen und Ratschlägen. Nur Toni wurde sein guter Freund und leistete ihm Ersatz für den Verlust gewohnter Freuden und eines ungebundenen, freien Lebens. Master Toni erkannte dies mit Dank an und neigte sich mehr zu ihm als zu dem jungen Olivier, dem Mitschüler oder vielmehr Mitgefangenen Georgs.

      Olivier, ein Jahr älter als Georg, war der Enkel eines Edlen, dessen Großvater ein Jugendfreund des Schloßherrn gewesen; doch war er ein Schotte von Geburt. Der junge Deutsche und der junge Schotte vertrugen sich nicht zum besten miteinander. So lebhaft und genußsüchtig Georg war, so ernst, verschlossen und träumerisch war Olivier, den Toni mit Anspielung auf einen alten Helden der Tafelrunde und in Anbetracht der Vorliebe, die der Jüngling für die Ufer des Sees von Canongate hegte, »den Ritter vom See« nannte, ein Name den sich der so Getaufte gern gefallen ließ.

      In dem Kopfe Oliviers spukten alle Helden, Gespenster und Gnomen seines sagenreichen Vaterlandes. Obgleich hoch und kräftig gewachsen, zeigte er doch in seiner ganzen Erscheinung etwas Weichliches, fast Weibisches. Er war träge, unentschlossen, träumerisch. Nur gezwungen mutete er seinem Körper Anstrengungen zu. In seinem bleichen Angesicht schimmerten dunkle, große Augen mit einem geisterhaften Glanze; von ungemeiner Frische waren Lippen und Wangen, und ein fast bläulicher Schatten überkleidete die hohe Stirn, über die die lichtbraunen Locken in wilder Unordnung niederfielen. Er trug die Arme und Beine, die von großer Schönheit waren, gern entblößt, auch schmückte er sich mit Ringen, von denen einige kostbare Steine, mit geheimnisvollen Charakteren geziert, enthielten.

      Olivier war Meister Ulrichs Liebling, insoweit ein so strenger, finsterer Mann eine vorherrschende Neigung zu irgendeinem Menschen oder Dinge zu fühlen vermochte; er wirkte ihm immer wieder Verzeihung bei dem Schloßherrn aus, wenn der junge Schotte gegen das ausdrückliche Gesetz, das gemeinsame Spaziergänge vorschrieb, Tage und Nächte lang sich allein im Gebirge umhertrieb und wenig der Vorwürfe Master Tonis achtete, der endlich aufs bestimmteste erklärte, daß, wenn seinem Pflegebefohlenen einst ein Unglück zustoße, seine mangelnde Beaufsichtigung nicht daran schuld sei.

      »Was treibt dich nur immer zu der Kapelle des heiligen Dunstan, mein Sohn?« fragte der Zwerg eines Abends, als die drei Genossen auf der Felsenplatte im Mondenscheine beisammensaßen und Antonius eben einige seiner schönsten vaterländischen Sagen erzählt und Georg ein Lied seiner Heimat dazu gesungen hatte. »Was suchst du dort? In der verflossenen Nacht bist du meiner Aufsicht wiederum entschlüpft, und wo haben dich die suchenden Knechte gefunden? Auf den Altarstufen dieses alten heidnischen Trümmerhaufens liegend und in einen Schlummer gesunken, der viel zu fest und viel zu ungewöhnlich war, als daß er ein natürlicher hätte sein sollen.«

      Der Jüngling hörte die vorwurfsvollen Fragen mit einer Miene der Gleichgültigkeit an, die den Fragenden verletzte und ihn von weiterer Nachforschung abhielt. »Du antwortest mir nicht,« hub er nach einer Pause an; »ohne Zweifel hältst du mich nicht für würdig, der Teilnehmer deiner Geheimnisse zu sein; zu diesem Amte berufst du lieber den ersten besten ungeschlachten Köhler und Sackträger. СКАЧАТЬ