Название: Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
Автор: Alexander von Ungern-Sternberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027237890
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Onofrius führte Georg fort und kam dann zurück. Die beiden Männer blieben bis tief in die Nacht im Gespräche zusammen.
Nach Verlauf einer Woche trat Georg von neuem in die Halle. Diesmal war die Begrüßung, die der Alte ihm angedeihen ließ, minder leidenschaftlich, sie trug mehr das Gepräge eines Zeremoniells an sich; auch war der Arzt nicht zugegen.
»Sprosse eines ruhmwürdigen Geschlechts!« hub der Graf an, »wisse, daß mein Auge dich auf deinen Bahnen verfolgt hat, und daß ich im Sinne und sogar auf den ausdrücklichen Wunsch der Deinigen handle, wenn ich mich von jetzt an deines Schicksals bemächtige. Erkenne in mir deinen Freund, deinen zweiten Vater! Sprich offen! Entweihe deine Seele und mein Ohr durch keine Lüge. Wie verließest du Deutschland und wie kamst du nach Frankreich?«
»Herr Graf,« hub der Jüngling an, »wenn Euch die Geschicke meiner Familie bekannt sind, so ist Euch mehr bekannt als mir selbst. Auch der Name, mit dem Ihr mich genannt, ist nicht der meinige. Ich heiße Tybalt und bin der Sohn einer armen Witwe, die mit mir nach Paris kam, um einen Freund dort aufzusuchen, den sie nicht fand. Sie starb bald nach der Ankunft, und ich blieb in der fremden Stadt zurück. Zum Glück fand sich ein Ernährer für mich, ein alter, einsam lebender Gelehrter, dem ich Dienerdienste erwies und der mich dafür in den Wissenschaften und Künsten unterrichtete. Bis zu meinem elften Jahre blieb ich in dem Hause dieses Mannes, den ich den Doktor Van Loo nannte; alsdann war ich fähig, die wenigen erworbenen Kenntnisse anzuwenden, um bei Kindern von sechs Jahren den Lehrer zu spielen. Leider verlor ich stets die sichere Stelle, die man mir gab; ich war zu leichtsinnig, gnädiger Herr.«
Der alte Graf schüttelte das Haupt und sagte dann: »Fand sich denn niemand, der dich mit deiner Herkunft, mit deinen Verwandten bekannt machte?«
»In Wahrheit, niemand!« entgegnete der junge Mann. »Sie mochten wohl auch niemand bekannt sein. Erst durch Andeutungen des Herrn Onofrius und später durch Eure Begrüßung hörte ich einen Namen, der mir bisher unbekannt war, und ich höre jetzt, daß es der meinige ist.«
»Armer, verwahrloster Knabe!« rief der Graf.
Georg, so wollen wir jetzt den jungen Abenteurer nennen, sah sich, während der alte Herr aufmerksam in einem Buche las, aber stets verstohlen die Augen auf den Jüngling hatte, die Halle an, besonders heftete sich sein Blick auf die zwei Skelette, die das zerbrochene Wappen trugen.
»Du blickst auf dieses Wappen!« rief der Graf. »Es ist das meinige. Als der Letzte meines Stammes gehe ich zur Gruft.«
»O Herr! So habt Ihr niemand, der um Euch trauert? Erlaubt, daß ich es sein darf, der auf Eurem letzten Gange Euch geleitet!«
Der Graf zog den Jüngling an sich und schloß ihn herzlich in seine Arme: »So sei es, Enkel meines Freundes!« rief er. »Unter all den gleichgültigen Verwandten, die mir zur Gruft folgen, sei du das einzige fühlende Herz! Doch noch sind wir nicht so weit. Noch lebe ich, und ich lebe, um dich in deinen Stand, in deine Würden einzusetzen. Daher sollst du jetzt ein Mitglied unsrer Gesellschaft werden! Zeige dich ihrer würdig! Hat dir deine Mutter nie von deinem Vater erzählt?«
»Sie hat es getan, edler Graf, aber ich war so jung, daß ich ihre Worte vergessen habe. Er war, so sagte sie, ein deutscher Herr von vornehmem Stande.«
»Er war der Sohn König Friedrichs, Knabe.«
»König Friedrichs?«
»Desselben, den die Schlacht am weißen Berge um die Krone Böhmens brachte,« entgegnete Graf Udallan. »Ich kämpfte in jenen Tagen dicht neben ihm, aber mir gelang es nicht, den Schicksalsschlag, der sein Haupt bedrohte, von ihm abzuwenden.«
»Wie, Herr Graf, mein Großvater war jener Böhmenkönig, von dem ich so viel erzählen hörte?«
»Sein jüngster Sohn ist dein Vater.«
»Und weshalb hat man mich so lange in Elend und Dunkelheit gelassen?«
»Ein Auge wachte über dich! Es ist das des Onofrius. Er wußte das Geheimnis deiner Geburt, er stand mit jenem Arzte in Verbindung, der dich aufnahm und dich erzog. Er nannte niemand deinen Namen, weil er dich selbst erretten wollte. Er hat redlich Wort gehalten.«
»O, wo ist er, daß ich ihm danken kann!« rief der junge Mann freudig.
»Er hat die Insel bereits wieder verlassen,« erwiderte der Graf, »du wirst ihn nicht wiedersehen. Betrage dich, so wie ich es von dir erwarte, und nach Ablauf eines Jahres sollst du deinen Verwandten übergeben werden. Aber nur, wenn du dich so führst, wie ich es von dir erwarte. Geschieht es nicht, so bleibst du für immer in dem Schoße dieser Berge verborgen. Die Gesellschaft gibt kein unwürdiges Glied der Welt her, sie bewahrt den Irrenden so lange, bis sie gewiß ist, daß er nicht mehr zu straucheln imstande ist.«
»Wer ist diese Gesellschaft?« fragte der Jüngling in bescheidenem Tone.
»Noch bist du nicht würdig, sie zu nennen!« erwiderte der Greis, und ein dunkler Schatten glitt über seine hohe Stirn. »Einst wirst du sie lieben und verehren lernen. Jetzt geh und beginne deine Lehrzeit!«
12.
Die Lehrjahre
Dicht an dem Schlosse, nach der Nordseite hin, stieß an die Mauern der uralte, heilige See von Canongate. Seine schwarzen Gewässer lagen ewig unbewegt in der sichern Umfriedung der himmelhohen Felsen, die ihre zackigen Kronen in dem düstern Spiegel beschauten. Wenn der Mond die hohe Gebirgszinne überragte, ließ er das Silber seines Lichts nur mit Scheu in die Tiefe niedergleiten, gleichsam als fürchte er die Strahlen, die wie liebliche Kindergeister in die Nacht sich verirrten, um sich nicht wieder zurückziehen zu können. Ewiges Schweigen umgab die Ufer des Sees von Canongate. Als die Küsten Caledoniens noch von den Urbewohnern der Insel bevölkert wurden, geschahen an diesem See Taten ebenso finsterer Natur, wie das Element und seine Umgebung es sind. Heidnische Mysterien wurden hier gefeiert, die, soviel die Sage von ihnen berichtet, grausenerregende Erscheinungen bildeten. Der See von Canongate war berüchtigt durch die seltsamen Gebilde, die im Nebel über seine Fläche dahinschwebten, sowie die Felsenwände von einem ungewöhnlichen Echo; das die Geisterstimmen grauer Jahrhunderte vernehmen ließ, widertönten. In der ersten Mainacht war es nicht ratsam, sich weit weg von dem Schlosse zu verirren, um den Windungen zu folgen, die das geheimnisvolle Wasser weithin im Gebirge machte. Es hieß dann, daß die Zauberer, die früher diese Küste beherrschten, sich hier versammelten und daß selbst Merlin es nicht verschmähte, in diesen Versammlungen den Vorsitz zu führen. In dieser Nacht hörte man Gesänge, deren Töne nicht über irdische Lippen glitten, und es war gefährlich, diesen Tönen zu lauschen. Aus der Tiefe des Wassers schossen Lichtstrahlen, sie kamen aus den Straßen und Häusern der versunkenen Stadt Hath, die in der Tiefe des Sees ruhte. Erreichte der nächtliche Pilger die Kapelle des heiligen Dunstan, die in der tiefsten Schlucht versteckt war und den finstersten Wasserspiegel zu ihren Füßen sah, so erbebte er und erschaute Dinge, die ihm das Herz erstarren machten. Er sah die Geschicke, die vergangenen und die künftigen, in wundersamen und schreckenerregenden Gebilden an sich vorübergehen, und wehe ihm, wenn er den Anwandlungen eines Zauberschlafes unterlag, die Geister führten ihn in den Lüften fort, und nie ward seine Spur wieder gefunden.
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