Название: Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
Автор: Alexander von Ungern-Sternberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027237890
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Ein Vorübergehender nahm sich des Unglücklichen an. In diesem Helfer erkannte der Jüngling den schwarzen Unbekannten aus der Schenke, dessen erkauftes Eigentum er war. In diesem Augenblick erschien ihm der Fremde jedoch nicht so schreckeneinflößend wie wenige Stunden vorher. Machte es nun das Licht des Morgens, das die Gestalt in vorteilhafte Erscheinung brachte, oder waren es die peinigenden Gefühle der äußersten Hilflosigkeit, die jeden Beistand, er mochte geleistet werden von wem er wollte, als willkommen erscheinen ließen; unser Straßenheld nahm willig den Arm des Mannes an und ließ sich von ihm geduldig in dessen Wohnung führen. Hier legte er sich auf ein Ruhebett nieder, seiner Kleider wurde er entledigt und um die wunden Stellen ein Verband gelegt. Die Sonne schien bereits hell durch die bunten Fenster des hohen, mit Büchern und Instrumenten gefüllten Gemachs, als er aus einem erquickenden Schlummer erwachte.
Sein Beschützer saß neben seinem Lager.
Von dessen Äußern war jede Spur der nächtlichen Schrecken verschwunden; es war von der Teufelsmaske nur der finsterblickende, hohläugige und fast bis auf die Knochen ausgedörrte Mann übriggeblieben. Auch zeigte seine Kleidung ein einförmiges Schwarz; ein schwarzes Wams, schwarze enge Beinkleider, ein schwarzes Mäntelchen und eine schwarze Kappe auf dem Kopfe. Die langen, magern Finger schüttelten eben den Inhalt einer kleinen Phiole aus, in der eine dunkelrote Flüssigkeit schwebte, von der er wenige Tropfen in einen Becher, der zur Hälfte mit Wein gefüllt war, fallen ließ. Phiole und Becher wurden einstweilen auf ein Tischchen, dicht an dem Ruhebette, hingestellt. Die lange, dürre Hand näherte sich jetzt dem Arm des Jünglings, streifte das Gewand vollends zurück und tastete nach dem Pulse, dann legte sich der Kopf an die Brust und das kalte, pergamentartige Ohr ruhte an dem vollen, weißen Hügel der Jünglingsbrust, um auf die Schläge des Herzens zu lauschen. Als diese Forschungen beendet waren, ging die große, starr aufgerichtete Gestalt gemessenen Schrittes ein paar Minuten lang im Gemache auf und ab. Dabei klangen und wisperten verschiedene Uhren und künstliche, mechanische Werke seltsam durcheinander, und von Zeit zu Zeit ertönte ein dumpfer Schall, als fiele ein schwerer Körper von der Decke zum Boden nieder.
Der Genesende gab auf alle diese Dinge acht; sie erschienen ihm seltsam, aber sie flößten ihm keine Furcht ein. Er war bekannt mit den Erscheinungen und Apparaten der Wissenschaft und sagte sich leicht, daß jener Mann, dem es gefallen hatte, gestern in der Schenke die abenteuerlichste und wunderlichste Rolle zu spielen, nichts Höheres und nichts Geringeres sei als einer jener Schüler des Aeskulap, von denen das damalige Paris angefüllt war und die, um sich mehr Kunden und Anhänger ihrer Kunst zu verschaffen, für gut fanden, die Probleme der Wissenschaft, die sie oft glücklich genug lösten, mit dem Schleier einer mystischen Geheimlehre zu umspinnen. Diese Schleier waren oft mehr, oft minder fein gewebt, je nachdem der Magier und Arzt für ein vornehmes oder für ein niedriges Publikum zu wirken hatte. Dieser Mann schien unbedingt der ersten Kunst anzugehören. Schon das Geschenk – hundert Goldgulden – machte dies unzweifelhaft.
Die Erinnerung an den einstigen Besitz des Goldes machte den Jüngling, als er die Kräfte seines Gehirns wieder beisammen hatte, im hohen Grade befangen. Was sollte er dem mildtätigen Manne sagen, wenn dieser, wie gar nicht zu bezweifeln war, sich nunmehr nach dem Dasein der Summe erkundigte? Wie schimpflich war es ihm, die Geschichte des Verlustes derselben zu erzählen. Aber der Mann fragte nicht; er setzte sich wieder an das Lager und diesmal, nachdem er den Jüngling lange stumm und forschend angeblickt, brachte er das erste Wort für ihn über die Lippen. Die Stimme klang dumpf, und die Worte wurden hart und scharf betont.
»Werden abreisen, wenn die Kräfte wieder hergestellt.«
»Abreisen? Und wohin?«
»Keine Fragen. Mein Eigentum! Mir erkauft. Ohne Widerrede tun, was ich will. Dann Belohnung. Wenn Ungehorsam – blutige Züchtigung! Verstanden? Keine Rettung aus meinen Händen; aber meine es gut.«
Diese Befehle und Drohungen waren untermischt mit kurzen Flüchen in einer fremden Sprache; auch war das Deutsch gebrochen und wenig verständlich. Der Jüngling wandte sich unmutig von dem Manne weg und richtete sein Antlitz gegen die Wand. Nach einer Weile klagte er über Schmerzen am Arm. Die Verbände wurden abgenommen und durch neue ersetzt. Dann ging der geheimnisvolle Hausherr fort und schloß hinter sich ab.
Es vergingen Tage, wo er nicht wiederkam; die Zelle hatte sich in ein vollständiges Gefängnis verwandelt. Ein alter Diener, der stumm wie sein Herr war, kam zuweilen, leistete die ärztlichen Dienste, die noch nötig waren, brachte das Essen und zündete die Ampel an der Decke an, wenn die Nacht kam.
Tiefe Stille herrschte. Das Geräusch von der Straße tönte nur dumpf herauf, die bunten, halb verschlossenen Fenster, über die noch zum Teil schwere Teppiche hingen, ließen keinen Blick nach außen frei. Innen im Gemache rührte sich nichts, die Uhren tickten, die Räder an den Maschinen liefen knisternd über die Metallgleise, der dumpfe Ton des fallenden Körpers wiederholte sich in regelmäßig wiederkehrenden Pausen. Alle Gegenstände in diesem düstern Raume waren bereits von dem Kranken auf das genaueste untersucht worden; von einigen wußte er ihren Zweck und ihre Bestimmung, andere waren ihm völlig neu und unerklärlich. Die Uhren und Maschinen wagte er nicht zu berühren, aus Furcht, ihren Gang zu stören. Auf die Büchersammlung blickte er mit Scheu und Ehrfurcht, und gedachte dabei der guten und gelehrten Schriften, die er selbst einst besessen und in denen er manche Nacht bis zum erwachenden Morgen studiert hatte, als er noch nicht so leichtsinnig und so vergnügungssüchtig war, wie er es jetzt geworden. Es fielen ihm die verlorenen Stunden und Tage ein, und zugleich die erniedrigenden und beschämenden Erfahrungen, die er in letzter Zeit gemacht. Waren es nun diese reumütigen Gedanken, oder war es die beängstigende Stille und Verlassenheit, in der er sich befand, er warf sich auf das Lager, barg sein Gesicht in Unmut und Schmerz tief in seine Hände und lag so, unempfindlich für alles, was um ihn vorgehen mochte, wohl halbe Tage lang unbeweglich. So fand ihn der heimkehrende Gebieter. Er faßte ihn mit starker Hand an die Schulter, zwang ihn, sich rasch zu erheben, und sagte ihm dann in barschem Tone, daß die Stunde zur Abreise gekommen sei. Zu gleicher Zeit erschienen Knechte, die das im Vorgemach aufgespeicherte Gepäck ergriffen. Ein Herr in einem Pelzmantel und in einer Spitzenkrause erhielt die Schlüssel des Gemachs und nahm nun Besitz davon. Zwischen den beiden Männern wurde kein Wort gewechselt, auch wurden die Reisenden mit keinem Abschiedsworte bedacht.
Es herrschte bereits Dämmerung auf den Straßen, als der Jüngling und sein Führer rasch ihren Weg machten. Sie gingen an einem Hause vorbei, in dessen Erdgeschoß Licht brannte und man einen eifrig in einem Buche Lesenden am Tische sitzen sah. Dies war der Student Paraclet, und gern hätte ihm der flüchtig Dahinziehende ein paar Abschiedsworte zugerufen, wenn sein Führer es erlaubte. Doch dieser zog ihn am Arme heftig mit sich fort. Die nachfolgenden Diener schienen beauftragt, jeder widersetzlichen Bewegung nach Kräften entgegenzuarbeiten. So erreichte man das Tor der Stadt; dort wurde in einem bereit stehenden Wagen Platz genommen, und die Reise ging die Nacht durch. Die Begleiter bestiegen Pferde und hatten Waffen bei der Hand. Alles dies kam dem Jüngling sehr seltsam vor; zugleich beschäftigte es seine Einbildungskraft, und da diese vorherrschend bei ihm war und er die Abenteuer liebte, so träumte er sich zuletzt ganz ergötzlich in allerlei phantastische Zustände hinein. Es war ihm, als sei er ein verfolgter Prinz, den seine Freunde geheimnisvoll beiseitezuschaffen und vor drohenden Gefahren zu bergen bemüht waren. Dann erschien ihm wieder der Arzt als einer jener mächtigen, alten Magier, die in СКАЧАТЬ