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um sich zu sehen, und deshalb bekümmerte es ihn, daß im Hause des Barons noch immer keine befriedigende Nachrichten wegen der Flüchtlinge eingelaufen waren. Es schien, als wenn ihre Spur sich plötzlich unter die Erde verloren hätte, denn im ganzen Umkreis des Schlosses sowohl als auf den Stationen der verschiedenen Straßen hatte man sie weder beherbergt, noch ihnen begegnet. Es neigte sich der dritte Tag schon zu Ende und ein paar abgeschickte Boten kamen ebenfalls unverrichteter Sache zurück, da zeigte sich August, der von seinen gewöhnlichen Streifereien im Forste heimgekehrt war, mit besonders heiterer Miene. Er winkte Eduarden zu sich, und flüsterte ihm ins Ohr, daß er sich jetzt getraue, die Schwester zu finden, er wüßte gar wohl, wo man sie verborgen habe, und wenn Eduard die Entdeckungsreise mitmachen wolle, so stehe er ihm für den besten Erfolg und außerdem für vielen Spaß. Unser Freund entschloß sich, dem jungen Kadetten zu willfahren; es wurden noch an demselben Nachmittag Anstalten insgeheim getroffen, der Pastor, der von der neuen Hoffnung etwas erlauscht hatte, schloß sich den beiden Jünglingen an, und so gingen sie in den benachbarten Forst. Unterwegs tat der lebhafte August sein Geheimnis kund, er hatte es nämlich vor dem Vater verbergen müssen, daß er auf seinen Gängen im Walde ein hübsches Bauermädchen entdeckt habe, mit welcher es dem bildschönen lustigen Jägerburschen eben nicht schwer geworden war, ein Liebesverständnis anzuknüpfen. »Es war damit,« erzählte er, »ganz so, wie es in jenem Liedchen von der schönen Müllerin heißt, sie kam auch, in des Morgens Frische ihr liebes Angesicht zu baden, indes ich hinter dem nächsten Baum auf meine Flinte gelehnt dastand, und ihr zusah. Ich werde es nie vergessen, wie ich damals den ersten Kuß von einem Mädchen erhielt, wie ich mit meinen Lippen ihre vom Bade nassen und kalten Wangen erwärmte, und ihre volle kleine Gestalt mit meinem Arm umschloß; es ist wahrlich schade, daß ich sie euch nicht zeigen kann, doch pflegt sie mit ihrem Vater erst später nach Hause zu kommen. Von ihr nun hab' ich es erfahren, daß meine gute Schwester hier im Walde sich verbirgt, und der Journalist mit seinen Freunden in der Residenz korrespondiert, um einen Wagen herkommen zu lassen, in welchem es ihm dann leicht möglich wird, die nahe Grenze zu erreichen, ohne die Stadt und die bekannten Wege zu passieren. So gut als gewiß ist es, daß heute der Wagen angelangt ist, und wenn er nun aus dem Walde eilen will, so muß er hier vorüber und läuft uns dann gerade in die Arme. Es gilt also nur, ein Stündchen hier zu warten, wozu der freundliche, schöne, von Sonnenschein und Vogelgesang belebte Waldplatz ohnedies einladet. Aber was geschieht da unserm Pastor?« Der Prediger war während des Gesprächs vorausgeeilt, an einen kleinen Abhang geraten und trotz seiner großen Vorsicht hingestürzt, jedoch ziemlich glücklich bei nachgleitenden Rockschößen auf dem Sande in die Tiefe niedergefahren; als Eduard und August dem verschwindenden Manne nacheilten, fanden sie ihn schon unten angelangt und zwei Bauerburschen beschäftigt, die ehrwürdigen Amtskleider auszuklopfen und auszustäuben. Jetzt war man im Thale, wo die geschwätzige Mühle ihre Räder mit einem heimlichen Rauschen trieb, als erzähle sie den jungen Waldbäumen uralte wundersame Mährchen; das Häuslein selbst lehnte so schmeichelnd zärtlich mit seinen grünen umsponnenen Fenstern an der hellen Felswand, daß den beiden Jünglingen das Herz aufging und sie ihre Arme dagegen ausbreiteten. Der Kadett warf sich an die Brust seines älteren Freundes, und zog ihn auf die kleine Bank nieder, auf der er mit seiner Marie so oft gesessen hatte; indes ließ sich der Pastor von seinen beiden klopfenden und stäubenden Dienern in ein nahes Gebüsch führen, wo neue Reinigungsversuche mit frischen Baumzweigen vorgenommen werden sollten. Der Abend war entzückend schön; das Gold der niederflammenden Sonne lag im matten Purpurglanz auf dem klaren Spiegel des Baches, hier und da zogen sich brennend rote Streifen über den dunkeln Waldteppich, und noch ferne spielten die bunten Lichter wie hinflatternde Vögel auf den zurücktretenden Baumstämmen. »Lassen Sie uns ein Bad nehmen,« rief August, »das Wasser muß äußerst erfrischend sein, mich dürstet nach der Flut.« – Eduard ließ sich bereden, beide Jünglinge warfen ihre Kleider ab, und wählten sich den tauglichsten Platz zum Einsteigen. Endlich entdeckten sie ein Plätzchen, auf dem ein paar junge Pferde weideten und sich das gute Futter trefflich schmecken ließen. Kaum hatte sich August dem Wasser vertraut, und die frischen Wellen flogen im Schaum gespalten um seinen Leib, als der Pastor, welcher, unter einem Baum ruhend, zurückgeblieben war, ein Zetergeschrei erhob. In dem Moment hörte man das Gerassel eines Wagens, den Huf der Pferde, und es zeigte sich eine leichte Reisechaise, die dem Ausgange des Waldes mit großer Eile zuflog; ein Herr und eine Dame hatten drinnen Platz genommen. »Sie sind's!« schrie der Kadett, und mit einem Sprunge ans Ufer setzend, schwang er sich im Augenblick auf eines der Pferde und jagte, ohne Umhüllung, wie er war, in die Waldnacht hinein, dem fliehenden Wagen nach. Er holte ihn bald ein, zwang die Rosse, still zu stehen, und hielt nun von seinem Pferde herab eine Strafpredigt der wiedergefundenen Schwester: »Wie war es Dir möglich, Sophie, uns alle in Schreck und Bestürzung zu versetzen? War es denn nicht viel natürlicher und passender, daß Du Deiner Stellung als Tochter eingedenk, dem Vater Dein Herz ausschüttetest, oder mir, Deinem Bruder, der Dir doch, wie Du weißt, auf das treueste zugetan ist; und Sie, Herr Doktor, wir hätten uns viel eher des Himmels Einsturz vermutet, als diesen Schritt von einem Manne, der so viel von Recht und Gerechtigkeit spricht.« Sophie fand für gut, während dieser Worte ihr Gesicht mit beiden Händen zu verhüllen, sei es nun aus Bestürzung, Schmerz und Buße, oder um sich dem Anblick ihres nackenden Bruders zu entziehen, der in seinem Eifer gänzlich den Zustand, in dem er sich befand, vergessen zu haben schien. Auf der andern Seite des Wagens hatte sich der Pastor aufgeschwungen, und drang ebenfalls mit glühenden Worten auf die beiden Schuldigen, so daß der Journalist, der lange mit der Lorgnette bald links, bald rechts hinausgeschaut hatte, endlich sich überwunden gab und versicherte, er wolle nun umkehren, um sein Schicksal und das seiner Braut in die Hände des Alten zu legen, der im Ernste nicht ihrem Glücke entgegen sein könne. Nach dieser Erklärung ward dem Kutscher befohlen, umzukehren, der Pastor bat um einen Platz im Wagen, und August, der unterdes schleunig in die Kleider geschlüpft war, stieg hinten auf. So ging der Zug wie im Triumphe zurück ins Schloß, wo er natürlich höchst unerwartet eintraf.
Eduard machte den Weg zu Fuß; es war ihm ein Bedürfnis, in der Einsamkeit über die plötzliche Umgestaltung seines Innern einen klaren Blick zu gewinnen. Magdalenens Wünsche, die für ihn Gebote waren, schienen ihn jetzt in eine öffentliche Wirksamkeit rufen zu wollen. Er fühlte Kraft und Muth zu einer solchen in seinem Busen keimen, seine im müßigen Gefühlswechsel dahingebrachte Jugend drückte ihn mit dem Bewußtsein der Scham: dennoch wurde ihm der Beruf, den er jetzt wählen sollte, nach allen seinen Richtungen hin nicht klar. Die herrschenden, zum Teil sehr dunkeln Ideen, welche ihm aus Jedermanns Munde entgegentönten; die Worte Freiheit, Volksrecht, Deutschtum, und die Ansichten darüber, welche an der Tagesordnung waren, hatte er bis jetzt als Quelle so vielen Elends, so allgemeiner Verirrung immer möglichst weit umgangen; jetzt, schien es, wurde es erforderlich, sich eng mit ihnen vertraut zu machen, ja sogar selbst tätig bei dem Streite mitzuwirken, den man leider vor Augen sah. Er hoffte aus Magdalenens Munde nähere Erläuterungen ihrer Ansichten und Wünsche in Betreff seiner zu erfahren, ihm genügte das süße Bewußtsein, daß ein edles hohes Wesen sich des Inhalts seines Lebens bemächtigt hatte, um aus diesem Stoffe ein würdiges Gebilde zu formen.Aus diesen und ähnlichen Betrachtungen weckte ihn Ottfrieds Erscheinen, der ihm am Ausgange des Waldes entgegentrat. Nach einigen flüchtigen Bemerkungen über die wiedereingeholten Reisenden teilte der ältere besonnenere Freund die Empfindungen, die den Busen des jüngeren bewegten. »Sie sind glücklich, Eduard,« rief er mit einem warmen Händedrucke; »wer gönnt Ihnen dieses Glück wohl mehr, als ich? dennoch, Geliebter, ist mein Herz nicht frei von Besorgnissen für Sie. Erlauben Sie mir nur eine Frage, mißdeuten Sie mir diese nicht: Kennen Sie auch dieses wundersame Mädchen?« – »Welche Frage;« rief Eduard bestürzt, »daß ich Sie liebe, glühend liebe, beweist ja wohl, daß ich sie kennen muß! O nur zu lange habe ich diesen Engel verkannt.« Ottfried schwieg und blickte zur Erde. Eduard faßte ihn scharf ins Auge: »Sie wollen mir etwas sagen, Freund, Ihre Zunge, scheint es, weigert sich, das Wort auszusprechen – reden Sie frei, nichts Schlimmeres können Sie von diesem Mädchen sagen, was ich nicht selbst in meinem Wahn von ihr geglaubt, gesagt habe, drum reden Sie frei!« – »Nun wohl,« entgegnete Ottfried, »man sagt mit ziemlicher Gewißheit, daß das Fräulein des Fürsten –« Eduard unterbrach seinen Freund: »Still,« rief er, »still – Mann der Wahrheit, auch Sie können einem so elenden Gerüchte Glauben beimessen, auch Ihnen ist die Heilige, die sich zum Sünder herabläßt, nichts als eine gemeine Buhlerin? Ist's möglich!«
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