Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
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      In diese Träume versenkt, störte ihn eines Abends der junge Forstkadett, der in sein Zimmer stürzte: »Eine Neuigkeit!« rief er, »eine saubre Neuigkeit – es spukt oben im Schlosse! ja, ja, Sie können es nur glauben, Eduard, es spukt, und schon heißt es allgemein, daß des Gespenstes wegen die Fürstin so schleunig fortgegangen sei.« Der muntre Jüngling ließ sich jetzt in einen umständlichen Bericht ein, dessen Schluß war, daß er den Geist in Gestalt eines, in ein graues Wams gekleideten Mannes selbst erschaut, als er in der Dämmerung heute den Schloßverwalter, der in den obern Gemächern zu schaffen gehabt, aufgesucht. »Er wandelte an mir dicht vorbei,« erzählte der Geisterseher, »ohne daß ich das leiseste Geräusch eines Trittes wahrnehmen konnte, und verschwand im Korridor, der zu den Gemächern des Fräuleins und ihrer Tante führt. Schon vor einigen Tagen habe ich von den Schloßknechten dergleichen erzählen gehört, doch lachte ich darüber; heute aber, versichere ich Sie, wandelte mich ordentlich ein kleines Grausen an, ich gestehe es zu meiner Schande, denn wenn wir es untersuchen, so wette ich, daß sich der Spuk in eine bloße und vielleicht recht läppische Täuschung auflöst.« Eduard mußte ihm versprechen, eines Abends in seiner Gesellschaft dem seltsamen Wandler aufzulauern und ihn zur Rede zu stellen.

      Als beide Jünglinge hinuntergingen, kam ihnen Sophie mit einem besonders heitern Gesichte entgegen. »Sie haben, mein Freund,« sagte sie zu Eduard, »die Epoche meiner Trauer, meiner kleinen Verirrungen mit erlebt, es ist billig, daß Ihnen der freudige Schluß des Romans nicht verborgen bleibe: ich heirate, heirate den Doktor, der gute Alte hat eben seine Zustimmung gegeben; wir bleiben fürs Erste hier wohnend, doch unter der Bedingung, daß nicht von Politik die Rede sei.« Eduard ergriff Sophiens Hand und drückte sie herzlich, indem er seinen Glückwunsch aussprach. »Sie sind sehr teilnehmend und gütig,« fuhr die Braut fort, »ich nehme Ihren Glückwunsch geradezu als eine Prophezeiung an, denn welchem Mißgeschick sollte ich jetzt wohl noch entgegengehen? Der Geliebte, dem ich angehöre, zählt sich zu der Klasse von Menschen, bei denen heutzutage offenbar die richtige entscheidende Ansicht zu treffen ist, und so bin ich ruhig; meine Stellung im Leben und gegen die Gesellschaft ist gesichert und festgestellt, meine Achtung für mich selbst ist durchaus begründet, denn ich hätte es mir nie vergeben können, wenn ich anders gehandelt hätte.« – »Und was wird aus dem Pastor?« fragte Eduard. »Es ist ein trefflicher Mann,« erwiderte Sophie, »dem ich mich herzlich verpflichtet fühle; treu jenen alten biedern Gesinnungen seiner Tage hat er auch jetzt, da er deutlich wahrnahm, daß es meinem Glücke gelte, nicht einen Moment gezögert, mit seinen Ansprüchen zurückzutreten, und denen meines Bräutigams noch das Wort zu reden; er selbst wird unsere Trauung verrichten, die in diesen Tagen vor sich gehen soll.« Kaum hatte Sophie diese Worte geendet, als Ottfried, der Journalist und der Prediger im heftigen Zank hervortraten. Der Journalist hatte wiederum Angriffe auf Ottfrieds gefeierten Dichter gemacht, und durch diese den Poeten und den Pastor in Zorn gesetzt. – »Was wollen Sie mit Ihrem ächtdeutschen Charakter?« schrie Ottfried, »was soll ich unter dem vagen Begriff von Deutschheit, Deutschtum verstehen? Ist unser großer Dichter kein Deutscher? Kein vaterländischer?« – »Nein,« entgegnete der Journalist ruhig, »denn er hat kein Vaterland!« – »Eine neue, seltsame Behauptung!« rief der Pastor kopfschüttelnd. – »Und nennen Sie es mir,« setzte der Doktor eben so ruhig hinzu, »wie heißt es, wo liegt es? Ist's etwa das kleine Ländchen, in dessen Hauptstadt er ein Haus, einen Garten besaß, ist's das Gebiet jener Stadt, in der er das Licht der Welt erblickte? Ist nicht eben so gut Frankreich, Italien, das alte Griechenland, England, der Norden wie der Süden Europas, samt dem Orient, sein Vaterland?« – »Ich fasse Ihre Ansicht,« rief Ottfried, »Sie zielen auf die große Objektivität unsres Poeten, und ist es nicht diese gerade, mit deren Hülfe es ihm gelang, so mächtig zu wirken, wie er gewirkt hat, indem er, mit einem Bilde zu reden, die Perlen aus dem Meere, das bunte Geflügel der Luft, die schimmernden Erze der Tiefe, die Gewächse fremder Zonen alle zusammen vereinigt hat, um sie aus seinem goldenen Füllhorn dem mit ihm lebenden Geschlechte vorzuschütten. Alles Schöne und Treffliche einer Zeit, ja diese Zeit selbst kommt nur durch den Mund der Dichter auf die Nachwelt; sie sind das Organ, und die mannigfaltigsten Richtungen des Geistes vereinigen sich hier, um in einem tönenden Prophetenspruche offenbart zu werden. In dieser Beziehung schreiben Dichter die Geschichte, und in diesem Sinn wird für das entfesselte Verständnis die Geschichte zum Gedicht.« – »Ich trete vollkommen Ihrer Ansicht bei,« rief der Journalist, »doch um den Poeten mit einer solchen weltgeschichtlichen Würde zu bekleiden, muß er einen festen Standpunkt haben, von welchem aus es ihm möglich wird, seine Bestimmung nach allen Seiten hin zu erfüllen; er muß sich als Glied einer Kette fühlen, aus der er nicht herausstrebt, sondern die er nur fester verbinden hilft; mit einem Wort, der Poet muß ein Vaterland haben. Geziemt es dem Denker, frei von umschränkenden Verhältnissen der Gegenwart, dem Ziele, das er sich über alle Zeit hinaus gesteckt hat, auf dem Wege einsam grübelnder Betrachtung nachzugehen; so sitzt der Dichter, ein Genosse seiner Zeit, auf dem bunten Markte des Lebens da; er leidet, kämpft und siegt mit den Leidenden, er jubelt mit den Jubelnden, und beständig wandelt der bewegte Zug vor seinem Auge vorüber; Wolken, Sonne, die ganze vaterländische Natur sieht man als Hintergrund zu seinen Gemälden; er ist eben so wenig von dem Lande, wo er geboren, zu trennen, als Duft und Farbe von der Rose zu scheiden ist, denn die Liebe, die Achtung seiner Mitbürger ist die Nahrung, mit der die Wurzel seines Daseins sich sättigt, der feste Grund der allgemeinen Wohlfahrt ist der sichere Boden, auf dem er fußt. Nähme man dem Poeten sein Vaterland, so nähme man seiner Harfe den Klang. Erscheinen nicht die großen Epiker und Dramatiker der Griechen, von diesem Standpunkt aus gesehen, so großartig? Stehen nicht Ariost, Dante, der Dichter der Nibelungen, der große Britte und endlich unser deutscher Sänger des Messias hierin als Muster da? – Der letztere ist der Dichter der Nation, bei ihm findet man deutsches Wort, deutschen Glauben, deutsche Vaterlandsliebe und Innigkeit.« – »Sie mögen Recht haben,« nahm Ottfried das Wort, »die Poesie wie alle andern freien Künste sagten sich in unserer Zeit von dem nächsten Bedürfnis der gegenwärtigen Zeit los, sie will keinem vorgeschriebenen Zwecke dienen, und verlangt, selbstständig dazustehen, und diese Selbstständigkeit hat sie erlangt, seitdem sie aus dem Stande unbewußter Kraft herausgetreten, und an der Hand der Kritik sich auf ihren jetzigen Standpunkt geschwungen hat. Heutzutage muß nun natürlich die Stellung eines großen Dichters eine andere sein; er findet bei seinem Erscheinen eine völlig eingerichtete Welt, die seiner nicht bedarf, er muß also, um auf seine Weise wirksam einzutreten, sich der Laune Einzelner anschließen, abgesehen davon, ob diese Einzelnen sich in seinem Geburtslande oder am entfernten Pol befinden; um seine innere Unabhängigkeit zu behaupten, muß er in eine äußere Abhängigkeit sich fügen, und statt des kleinen Bodens, den er früher in Liebe und Treue mit seinen Mitbrüdern teilte, öffnet sich jetzt ihm die ganze Welt. Der sinnliche, mit Gesang begabte Naturmensch, der früher den Dichter machte, vereint sich heutzutage mit dem forschenden Denker, und diese Beiden, im Bunde mit der Kritik, bringen jene große Weltanschauung hervor, die wir beim Genius unseres großen Dichters bewundern, und durch die er auch bei allen kommenden Jahrhunderten leben wird, indes der Poet, der die vorüberrauschenden Interessen der Zeit nur auffaßt, längst vergessen ist. Und am Ende, was bleibt dem Dichter, wenn es ihm nicht erlaubt wird, über den kleinen Streit die niedrigen Armseligkeiten, mit denen der Bürger der Staatsgesellschaft sich abquälen muß, hinweg zu fliegen und hinauf zu streben?« – »Wem alle diese Dinge nur Erbärmlichkeiten scheinen,« rief der Doktor heftig, »wem der Glaube seiner Väter, der Herd seiner Ahnen, die Liebe seiner Zeitgenossen nur Gegenstände der Reflexion, nicht des Herzens sind, freilich, der hat Recht, sich von Allem loszusagen, und von der kalten Höhe des Berges herab zu erklären, daß er die Dinge zu seinen Füßen nur höchst klein und unbedeutend finde.« – Der Pastor nahm das Wort und sagte: »Ich habe, so sehr ich auch den Sänger des Messias verehre, doch nie rechtes Gefallen an seinen spröden, kalten Vaterlandsliedern finden können, ja sogar, Gott verzeih mir die Sünde, der gute Herrmann und seine Cherusker sind mir ordentlich etwas abgeschmackt erschienen, und Gleim hat für mich weit mehr Wärme und Begeisterung.« – »Ich sehe,« rief der Journalist, »für die Poesie nur Ein Heil, nämlich sie muß sich entschließen, den eingebildeten hohen Standpunkt, die kalte Höhe, auf der sie sich doch nicht wird erhalten können, zu verlassen, um sich wieder an die einfachen Bedürfnisse der Menschen anzuschließen, sonst geschieht, was durchaus nicht ausbleiben kann: daß sie entweder auf dem Wege СКАЧАТЬ