Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
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СКАЧАТЬ ihn und seine Gespräche zurück; so arbeitete er an sich, bis wieder die alte Kälte an die Stelle der aufkeimenden Wärme getreten war.

      Zu dieser Zeit kam Sophiens Bestimmter aufs Schloß; es war ein langer, ziemlich wohl aussehender Mann in einem schwarzen Überrock, der ihm bis auf die Fersen reichte, und den er, als er den Schloßberg hinausschritt, hoch aufgeschürzt und um den Leib festgebunden hatte, so daß er auf den ersten Blick fast wie ein Jägerbursche aussah. Der Journalist nahm ihn sogleich bei Seite und examinierte den Ermüdeten scharf über seine politische Ansicht. »Lassen Sie mich;« rief der Pastor, indem er atemlos auf einem der breiten Lehnsessel Platz nahm, »das Bündnis, das ein redlicher Mann mit dem Staate schließt, ist eben so zart wie eine Herzenssache, und wer spricht gern von seiner Braut mit Leuten, die über ihren Werth anders denken könnten; übrigens bin ich ja da, Friede und Eintracht zu predigen allezeit, und schon deswegen würden Sie nichts aus meinem Munde erfahren, was zu Ihrem Kram paßt.« –

      »Himmel,« rief der Journalist, »wie kann man sich nur so ganz simpel ausdrücken! von welchem Kram reden Sie? Mann, Mann, wissen Sie nicht, daß Ihre Kirche selbst auf blutgedüngtem Boden aufsproß und sich festigte.« – »Wohl,« entgegnete der Geistliche, »das Ärgernis muß kommen, doch wehe dem, durch welchen es kommt; es wäre besser, ihm hinge ein Mühlstein am Halse und läge im Meere, da wo es am tiefsten ist.« Der Baron warf einige Bemerkungen dazwischen, die einen ernsten Streit verhinderten, und wirklich gelang es ihm, den Pastor zu einem gutmütigen Lächeln zu bringen. »Uns Landprediger,« sagte er, »sieht man gewöhnlich im Leben als die beschränkte, leidlich-gesunde Mittelmäßigkeit an, und als solche treten wir auch in Büchern, Romanen und Novellen auf, wenn es sich um Glauben, Philosophie und Lebensgenuß handelt. Eben so weit entfernt von den herrschenden Zepterträgern der hohen Aufklärung, wie sie zur Verzierung großer Residenzen hie und da gefordert und verschickt werden, als von den überirdischen Schwärmern und Wundertätern, geht unsre Einsicht und Lehre Hand in Hand mit den niedern, immer wiederkehrenden Bedürfnissen des einfachen Menschen. Der liebe Gott auf dem Lande, der Pfarrer im schwarzen Rock und der Bauer in der roten Sonntagsweste sind drei Personen, die nicht zu trennen sind, und die sich gegenseitig ehrlich lieb haben, und zusammen bedenken, was zum Bau des Ackers, zur Saat und Ernte nötig. Wenn einer von ihnen stirbt, so muß notwendig der andere seine Stelle ersetzen; ja mir sagte einmal ein Bauerbursch in aller gutmütigen Einfalt: ›Herr Pfarrer, wenn der liebe Herr Gott krank wird und stirbt, so wird man gewiß im Himmel Euch zum lieben Gott machen.‹ Der Baron lachte herzlich über diese Worte, und jener fuhr fort: ›Doch möchte ich die hohe Stelle dort oben heutzutage am wenigsten einnehmen, wo es so bunt in der Welt zugeht und Niemand weiß, was er will. Wie leicht könnte es sein, daß ich meinen lieben französischen Kindern ein Schicksal gebe, worüber sie in allen Journalen lästerten, und indes ich eilte, es ihnen recht zu machen, verdürbe ich es mit einer andern Partei. Aus Furcht nun, ja keinen dummen Streich zu machen, würde ich recht viele begehen, denn ich muß bedenken, daß Leute wie der König Salomo, der alte Plato und der Imperator August im Himmel hinter mir stehen und mir auf die Finger sehen. O ganz verdammt böse Sache! Da könnte ich wohl in der Übereilung, wenn das Ding nicht gleich ginge, wiederum das alte Meer über den ganzen Wirrwarr hinspülen lassen, wo dann freilich geholfen wäre. Nein, nein, es bleibe beim Alten, und es herrsche der, vor dem alle Kreatur fleucht und dessen Fußschemel die Erde ist. – Als ich noch studierte, und die erste Kunde von den fürchterlichen, ewig denkwürdigen Revolutionstagen aus Frankreich an unser Ohr scholl, da war keine Seele, die sich nicht empört auflehnte gegen die frechen Satzungen, mit denen der bandenlose Übermut gegen die bestehenden Formen ankämpfte. Der Deutsche war in Liebe und Einigkeit mit seinem Lande verwachsen, in Verehrung für sein Fürstenhaus; die grenzenlose Albernheit und die frivolen Formen, die aus jenem Lande der Unnatur und des Leichtsinns kamen, hatten nur eine höchst geringe Anzahl Bekenner für sich, und unter diesen traten nur solche als Sprecher auf, die entweder den deutschen Charakter nie begriffen hatten, oder die Ehrgeiz und Leidenschaft zu Verrätern stempelten; wir Übrigen ließen es geduldig geschehen, daß man unsere Köpfe puderte und frisierte, unsere Röcke nach französischen Mustern verschnitt, doch Herz und Hirn blieben unverrückt und unverfälscht dem Lande, das wir liebten und das unsere Liebe verdiente, getreu. Es mochte wohl schwerlich damals in allen deutschen Gauen ein Deutscher gefunden werden, der an einem so anti-deutschen Charakter, wie der jenes großen Mannes war, Gefallen gefunden, geschweige denn, zu dieser perfiden Abgötterei sich herabgelassen hatte, in der jetzt ein sich selbst und alles Wahre und Edle verkennender Hause wahrhaft wütet. Schlimm, sehr schlimm steht es, wenn ein Mann der Held einer Nation werden kann, dessen Charakter eine kalte, folgerechte Verknüpfung von Lüge und Selbstsucht war, und dieser Mißgriff konnte von einem Volke getan werden, welches zu Grundzügen seines Wesens Treue, Anhänglichkeit, Wahrheit und Liebe hat. Zwar der Götze ist gestürzt, doch es fehlt nicht an neuen Ausgeburten eines kranken Geistes, die auf den Altar gehoben werden, um die verführte und verblendete Menge in immer regem Taumel zu erhalten.‹« Der Journalist hatte sich erhoben, und drohte mit der Rolle Zeitungsblätter, wie entrüstet, dem Sprecher, der ruhig in seiner Rede fortfuhr: »Es tut wahrlich Not, daß wir den Himmel bitten, daß er uns demütige, damit die Welt wieder glauben lerne; denn wo keine Andacht, keine Verehrung mehr herrscht, wo dreiste Klügelei jede Autorität wegspottete, darf, kann man wohl da etwas anders erwarten, als Elend, Verderben, tiefe Erniedrigung? In meiner Jugendzeit vereinigte sich Schule und Erziehung, jene Einheit zu befestigen, in der das Leben seinen Stützpunkt findet; es wurde vor allen Dingen ein guter ökonomischer Haushalt mit dem Leben gelehrt, daß man nicht zu frühe mit der Lebenslust fertig werden möchte; auf der hohen Schule zeigte man dem Jünglinge die Wissenschaft und Kunst in ihrer spröden jungfräulichen Herbigkeit, und ließ erst nach und nach ihre Süße ahnen; Strenge und Arbeit waren Gesetz – die großen Poeten und Philosophen thronten, gleich Königen, unzugänglich für den großen Haufen, im Heiligtum ihrer Studierstube, und dort reichten sie dem demütig nach Belehrung dürstenden Schüler kostbare goldene Äpfel in silbernen Schalen dar.«

      »Ach ja – freilich wohl!« nahm der Baron das Wort mit gerührter Freudigkeit – »damals – damals hatten wir ja unsern großen einzigen Dichter noch – er war der Mann unsrer Liebe und Verehrung. Damals ging am Hofe der Fürsten ein feines Gespräch um. Ich weiß es ja noch, und wenn ich daran denke, muß ich noch lächeln – damals, als der Treffliche seinen Faust geschrieben hatte, der alle deutschen Gauen in Flammen setzte, schrieb ich ihm im Namen von fünfzig engverbrüderten Jünglingen, er möchte doch den Mephistopheles die tolle Wette nicht gewinnen lassen; demütig baten wir darum, denn es sei zu herrlich anzuschauen, wie der himmlischteuflische Kampf vom genialen Meister siegend zum Lichte hinaufgeführt werde. Was erfolgte? – nach einigen Wochen lief ein eigenhändiges Schreiben vom Dichter ein, worin er uns scherzhaft versicherte, daß er uns zu Liebe in einer so bösen Sache nichts entscheiden könne, und daß er es fürs Geratenste halte, wenn ein jeder Leser nach seiner Eigentümlichkeit sich das Ende selbst hinzu dächte. Und so ist es auch geblieben – der Herrliche hat sein Schauspiel nicht beendet.«

      »Kann es wohl etwas Trostloseres geben, als den Werther?« rief der Journalist heftig; »ist es wohl möglich, die Verirrung so weit zu treiben, den Leuten glauben machen zu wollen, solch ein Charakter sei edel, stark, wahr? Ich finde nur Einen Gesichtspunkt, in welchem betrachtet dieses Produkt Leben und Wahrheit einigermaßen erhält, nämlich der Leser muß annehmen, der junge Mann töte sich nicht aus Liebes-Verzweiflung, diese hat meinetwegen auch einen großen Teil an seinem Tode, sondern der eigentliche Grund desselben sei die bewußt gewordene Ohnmacht, das uns allen vor Augen stehende ewige Rätsel unseres Daseins zu lösen. Aus innerem Zwiespalt und Lebensüberdruß flüchtet er ins Nichts. So nur kann ich Seelengröße und Selbstmord vereinigt denken, und von dieser Seite angesehen, gewinnt die Fabel Bedeutung, indem durch sie jene Stürme angedeutet worden sind, die bald darauf durch alle Länder dahinbrausen sollten, und die zu beschwören die heutige Welt berufen scheint. Das gewöhnlich angenommene Motiv des Werther'schen Mordes ist aber so siegwartisch schwindsüchtig-weichlich, daß sich im Ernst kein poetisch kräftiges Gemüt darein verlieben kann.« Ottfried war hinzugetreten und rief: »Wenn Sie doch, Teuerster, nicht von Poesie reden wollten, deren Wesen und Gehalt Sie nun einmal durchaus nicht begriffen haben! Wie ein schöner Park nicht dazu dienen kann, eine Stadt zu befestigen und Türme und Mauern entbehrlich СКАЧАТЬ