Название: Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
Автор: Alexander von Ungern-Sternberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027237890
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Als er in das Familienzimmer hinunter ging, fand er darin den Journalisten allein, der die Arme auf der Brust verschränkt mit langen Schritten auf und nieder ging und durch die Brillengläser feurige und unstete Blicke umherwarf. Als er Eduarden bemerkte, rief er freudig: »Schön, daß Sie kommen; ich muß meinen Geist, der unerhört glüht, durch einige heitere, gleichgültige Gespräche abkühlen, lassen Sie uns von Kunst, von Malerei sprechen. Sie malen jetzt das Fräulein; nicht wahr, eine geistreiche Physiognomie? o, das ist ein weiblicher Marquis Posa! Man sagt, Sie werden auch vielleicht die Prinzessin Braut malen – ein anderes Geschöpf! wert eine schlichte Bürgerin zu sein – und wie wird sie behandelt; doch klagt sie nicht, so gibt es andere Zungen, welche klagen, – es ist weit gekommen, sage ich Ihnen, das Land – die Stände –« Er hielt inne, schlug sich vor die Stirne und rief: »Doch wir wollten ja leichte und kühlende Dinge sprechen;« hiermit zog er einen Pack Zeitungen hervor und schrie Eduarden ins Ohr: »Haben Sie schon gelesen, Freund? – doch still, still.« Eduard mußte lächeln; er nahm einen Vorwand, sich zu entfernen und stieg in den Park hinab. Sein Wunsch war, Niemanden zu begegnen, dennoch verging keine halbe Stunde, als er einen Mann auf sich zu wandeln sah, der ihn durch ein Glas fixierte und endlich mit einem herzlichen Gruß zu ihm trat; es war Ottfried. »Oh, sieh da, unser Maler,« rief der freundliche Mann, »so bringt uns eine günstige Stunde im Tempel der schönen Natur zusammen.« Sie gingen jetzt beide den Gang hinab und über einen romantischen, hoch gelegenen Pfad, der zu einer einsamen Talmühle führte, welche im Gebüsche lieblich und idyllisch geschmückt da lag. Ottfried erzählte, wie er hier seine früheste Jugend verlebt, wie er alle Blumen und Bäume kenne und liebe; er sprach mit Wärme und Begeisterung von der Einsamkeit und jener Stille des Gemüts, in der es den süßesten, beglückendsten Gefühlen allein möglich werde, zu keimen. »Doch glaube ich,« fuhr er fort, »daß Beschaulichkeit und Andacht nicht allein den Dichter so wie den ächten Religiösen bilden; es gibt einen Zustand, der hier wie überall, wo etwas Tüchtiges sich gestalten soll, dem Menschen gleichsam die erste und heiligste Weihe gibt.« Eine Pause entstand und Eduard sah seinen Begleiter fragend an. »Es ist der Schmerz,« sagte dieser; »glauben Sie einem Manne, der aus Überzeugung spricht; der Schmerz, die Träne bringt uns dem Gott wieder nah, wenn wir durch Witz und Lachen uns von ihm entfernt haben; ebenso in der Poesie, ohne Unglück keine Größe, ohne Kampf kein Sieg, ohne Erniedrigung keine Erhöhung; wen die Musen lieben, den züchtigen sie. Wem nicht das Hindernis von Außen kommt, der findet im Innern eins. Eine große Seele findet überall Schmerz, weil sie groß ist, und der Kampf mit dem Schmerz ist Poesie.« Eduard sah dem seltsamen Manne ins Auge und bemerkte, daß dieses sich mit Tränen füllte. »Ja,« fuhr er fort, »mein ganzes Unglück besteht darin, daß ich die Zeit meines Lebens über glücklich gewesen bin! o Freund, lächeln Sie nicht, ich spreche im heiligsten Ernst: ich fühle, ich bin zum Dichter geboren, allein es sollte trotz dessen nicht sein, deswegen ging es mir überall wohl. O, meine Caroline, warum mußtest du mich auch gleich mit deinem Jawort beglücken, gab es denn durchaus kein Hindernis, das uns, wenn auch nicht ganz hemmte, doch wenigstens mit Hemmung bedrohte. Nein, es sollte durchaus glücklich gehen, ich bekam nicht Raum zur kleinsten Beschwerde. Ach, und so ging es überall; ich hatte Hoffnungen, mein Vermögen einzubüßen, arm und elend zu werden, welche Aussicht! da tritt mein Freund auf und rettet mit eigener Ausopferung mein Geld, und es bleibt mir gesicherter als jemals. Ein Jugendgespiele, an dem mein Herz hing, schien plötzlich den Verräter gegen mich spielen zu wollen; schon spitzte ich die Feder, ein poetischer Schmerz über die Unbeständigkeit alles menschlichen, edlen Gefühls erfaßte mich: da, in dem Moment, stürzt der Verkannte in meine Stube, es tut sich der Irrtum kund, mein Freund ist meiner Liebe doppelt würdig, und mit dem Gedichte war's aus. Ein Kaufmann oder sonstiger praktischer Weltmensch könnte sich nichts Besseres wünschen, als an meiner Stelle zu sein, allein für mich, ich fühle es nur zu deutlich, ist dieses Glück ein Fluch, der den innersten Keim meines Wesens vergiftet. Ich gehe herum wie einer, der an Gespenster glaubt und dem sich wider Willen unter der Hand alles natürlich und prosaisch auflöst. O wie trefflich ist die Antwort, die die Königin Elisabeth einem jungen törichten Dichterling gegeben haben soll, als er ihr seine Verse vorgelesen: Sir, ich werde dafür sorgen, daß ihr auf ein paar Monate in den Tower kommt, damit eure Verse Tiefe erlangen! – Und so gibt es der dunkeln Kammern im Leben viele, wo der Dichter zum Bewußtsein erwacht – mir nur, nur mir ist keine aufgeschlossen worden.«
Man langte jetzt bei der Mühle an und die freundliche Müllerin erschien, ihren Gästen einige ländliche Erfrischungen zu reichen. Ottfried ließ sich in seinen Betrachtungen nicht stören. »Erst durch Schmerz,« fuhr er fort, »wird jedes Gut unser wahres Eigentum; die erste Träne löst das Siegel vom Herzen, an dem gewöhnliche Behaglichkeit vielleicht Jahrelang vergebens sich abgemüht hat. Lange wandeln wir herum und glauben zu lieben, zu verehren, zu empfinden – da, in der letzten Minute vielleicht unseres Lebens, beugt sich unser Herz einem endlosen Jammer, es spaltet sich, die erste Träne stürzt heraus – und wir lieben! Geht es mit den Wundern der Andacht, des Glaubens anders? So schreitet auch unsere Zeit jetzt einem großen Schmerze entgegen und dieser wird erst jenen heiligen Ernst gebären, mit dem unsere junge Reformatoren so voreilig schon prahlen. Mir fällt bei derlei Gedanken immer ein kleines Gedicht ein, welches ich einst in Begeisterung für jene Ideen niederschrieb; es lautet folgendermaßen:
Der nur lebt das wahre Leben,
Der nur Eines ewig denkt,
Der mit glüh'nden Liebesarmen
Sich ans Eine brünstig hängt.
Der ist nimmer nah' dem Ziele,
Der noch andre Lust vermißt;
Nein, nur der, der alles, alles
Um das Einzige vergißt.
Der in dunkeln Kummernächten
Tief gebeugt am Lager weint,
Dem die weite Welt so öde,
Öd sein eignes Herze scheint.
Der sich ganz verwaiset achtet,
Der sich ganz verloren gibt,
Der im bittern Leid verschmachtet,
Der bis zum Sterben sich betrübt.
Ja, zu dem neigt es sich nieder,
In dessen Herzen zieht es ein,
Dem will es sich zu eigen geben,
Ja, dessen Tröster will es sein.«
Eduard war tief bewegt, und bemühte sich nicht, seine Rührung zu verbergen; Ottfried sah ihn lange an, dann schloß er ihn heftig in seine Arme und sagte: »Mögen Sie, teurer Freund, glücklicher sein als ich! Ihr Auge, Ihr ganzes Wesen sagt mir immer, daß Sie schon diesen heilbringenden Schmerz gekostet haben – o seien Sie stark, wenn nun die ganze Fülle des Leids auf Sie einbrechen sollte, um Sie durch Nacht und Dunkel zur Verklärung zu bringen. Ja, ich wußte es wohl, daß Sie mich verstehen würden; so genügen oft wenige Worte, um ein festes Band zu schließen zwischen zwei Menschen, die sich sonst rücksichtslos vorbeigegangen wären auf dieser weiten Erde.« Eduard suchte die Hand des Mannes und drückte sie warm, dann erhob er sich und trat zurück, denn es nahte der Baron mit zwei fremden Gestalten. Er ging auf sein einsames Zimmer, und zeichnete die Verse auf, welche ihn so sehr gefesselt hatten. Als sie auf dem Papier dastanden, wollte er sich wiederum jeden Eindruck ableugnen, sie kamen ihm höchst gewöhnlich vor und das Geheimnis, welches sie ihm früher enthalten zu haben schienen, war am Ende eine Bemerkung, die ihm äußerst bekannt dünkte. Er schalt sich, daß er von Ottfrieds Wesen sich so gleich habe einnehmen lassen, die Worte desselben erschienen ihm jetzt fast lächerlich, besonders das Verlangen nach Mißgeschick. In diesem Zwiespalt, der sich seines Wesens gewöhnlich nach jedem stärkern Eindruck zu bemächtigen СКАЧАТЬ