Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
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СКАЧАТЬ zugleich schob ein voller Mädchenarm über die Schulter ihn ein Billet in den Busen. Ein stechender Schmerz stieg wie ein Mißton in die feinsten Nervengänge seines Gehirns hinauf, er fühlte, wie die Mädchengestalt sich über ihn beugte und ihre Lippen seine offene Brust glühend berührten. Er erwachte, die Wunde auf der Brust war aufgesprungen, der Graf saß an seinem Lager und hielt die Rechte des Kranken gefaßt. »Wo ist meine Mutter!« schrie dieser und warf den irren Blick in das dämmernde Gemach – »wo ist sie! sie hat mir etwas sagen wollen.« Der Graf beugte sich über ihn, er hatte den Zustand der Wunde bemerkt, und indem er die Tücher neu ordnete, fiel ein zusammengefaltetes Papier ihm in die Hände, Eduard griff darnach; »ich weiß,« rief er, »eine Gestalt, die mir bekannt schien, hat es mir eben in den Busen gesteckt.« Der Graf sah ihn mit großen Augen an – »Sie träumen noch,« rief er, »es ist Niemand im Zimmer gewesen als ich, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nichts von diesem Papier weiß.« Eduard hatte es entfaltet und las die Worte mit einer zierlichen Hand geschrieben: »Überdruß, Kälte und Verachtung umklammern ein Herz, das für Liebe, Freiheit und Tugend geschaffen ward! O wenn Du mir folgtest, Jüngling!« – In Eduards Kopfe vermischte sich Traum und Wirklichkeit, mit dumpfer Beharrlichkeit dachte er den rätselhaften Gestalten nach, ohne zu einem Resultat kommen zu können, bis er endlich erschöpft in die Polster seines Lagers zurücksank; der Graf ergriff jene Zeilen, die der Hand des Erschöpften entglitten, und rief, nachdem er sie flüchtig durchlaufen: »Nun wahrlich, haßte ich nicht ohnedies alles Geheimnisvolle, so würde ich mich dennoch schämen, der Beförderer solcher Gemeinplätze und abgeschmackter Phrasen zu sein. Wo dergleichen Torheiten beginnen, hört sogleich alle gesunde Vernunft auf. Lassen wir den Spuck, junger Freund, wahrscheinlich hat ein verschmitzter Bote, von irgend einem schönen Kinde gesandt, Mittel gefunden, das läppische Geheimnis Euch unvermerkt aufs Lager zu schleudern.« Eduard antwortete nicht, sein inneres Auge war auf die Gebilde des Traums geheftet, besonders auf die Gestalt, die seine Mutter vorstellte und dennoch nicht war. Er hätte weinen mögen, als er leise jenes alte Jugendlied vor sich hinsang, und nur die Gegenwart des Grasen drängte Tränen wie Worte in seine Brust zurück. Als jener fortging, verfiel er in einen langen, wohltätigen Schlummer.

      Mehrere Wochen waren auf diese Weise dahingegangen; die Nachricht war eingelaufen, daß die fürstliche Braut bedeutend krank liege und sich auf ein nahe gelegenes Lustschloß zurückgezogen habe; der Herzog war verreist, man wußte nicht wohin; es herrschte in der Residenz Trübsal und Verwirrung, im Geheim erzählte man sich von der Ankunft eines Mannes, welcher als Haupt einer weitumfassenden Verbindung politische Reformen zur Absicht habe. Es hatte sich ein Kreis von Mißvergnügten um ihn gebildet, und die Gestalt der Dinge war durch die mannigfaltigsten Umstände schon wesentlich verändert worden. In diesen Tagen erhielt unser Eduard ein Schreiben von der Oberhofmeisterin, in dem sie ihn aufforderte, das Bild des Fräuleins Magdalena, welches er einmal dem Fürsten versprochen hatte, zu malen. Als er eben diese Zeilen las, traten der Abt und Massiello herein. Sie freuten sich, ihren Freund so gesund zu sehen, und es wurde von nichts als von Reiseplänen gesprochen. Eduard konnte sein Mißbehagen nur schlecht verbergen; er hatte sich vorgenommen, den Fürsten, das Fräulein, den ganzen Hof nicht wieder zu sehen und nun wurde er durch jenen Brief wieder in den verhaßten Kreis hineingezogen. »Auch wir reisen,« rief Massiello in einer exaltierten Laune; »ich will doch wirklich sehen, ob alles so gut und trefflich ist, wie Gott seine Schöpfung rühmt im ersten Buch Mose; heutzutage muß man durchaus keiner gegebenen Versicherung glauben beimessen; übrigens will ich diesen jungen Menschen – er zeigte auf den Abt – in die Welt einführen.« Der Abt lächelte und sagte: »Wir entfliehen eigentlich nur dieser Stillen-Freitag-Stimmung, welche sich hier Platz gemacht hat. Man redet und ißt seit langer Zeit nichts Gutes mehr.« »Vielleicht,« rief Massiello, »treffen wir Dich, Du Süßer, in irgend einer kapitalen Stadt, wo Du mit deinem Prinzip der reinen Bestialität herumwandelst, indessen wir als ein paar essende und singende Menschen hinein und wieder durchschwärmen. Es ist in diesen Tagen mir auch ein ganz neuer Stoff zu Oper und Ballet gekommen, und zwar aus einer erz-frommen Zeit, wo jeder auftretende Vater gleich von vorn herein ein Erz-Vater ist, nämlich aus Abrahams Zeit, durch welches Stück ich mir dereinst einen sehr warmen, bequemen Platz im Schoße dieses Mannes im Himmel zu bereiten gedenke. Die Oper führt den Titel: ›Die Bitte um Fruchtbarkeit.‹ Zuerst erscheint Abraham und tanzt ein etwas frivoles Solo, im Hintergrunde sekundiert ihn Sara mit einigen Hirtinnen des Tals Mamre, dann tritt eine Hirtin vor, und gesteht unter Begleitung von Janitscharenmusik, vermischt mit Trompeten und Pauken, in zarter Verschämtheit, daß sie sich Mutter fühle, wobei sie einige dezente Sprünge macht und sich entfernt. Abraham hat sie verstanden und wütet, indem er sein Loos beklagt; es folgt ein Pas de deux mit Sara, das in leidenschaftlichen kurzen Sätzen von der Musik begleitet wird. Der Erzvater läßt sich offenbar zu zürnender Ungerechtigkeit verleiten, Sara spielt im gekränkten Selbstgefühl das leidende Weib, und bleibt zuletzt, mit dem rechten Fuß radschlagend und es wagerecht stolz gegen Abraham hinschleudernd, auf dem linken drei Minuten lang stehen, mit dem vollen glänzenden Lächeln gekränkter Unschuld. Ungeheures Applaudissement; der Vorhang fällt. Den zweiten Akt eröffnet ein Engel, mir der Arie ›di tanti palpiti‹ – er zieht sich in ein Gebüsch zurück; Sara erscheint, indem sie ihre Bitten vorträgt; man bemerkt im Hintergrunde einige moralisch verdorbene Hirten, welche sich moquieren. Die Musik ist bei dieser Stelle durchaus unfruchtbar und deshalb aus einigen beliebten neuen Komponisten entlehnt. Jetzt tritt der Engel hervor, und Sara tanzt mit ihm, doch merkt man schon, daß es ihr schwer wird. Abraham hat sich indes bei den Hirten erkundigt, wer der junge Mann sei, und da er nichts hat erfahren können, stürzt er eifersüchtig in den Vorgrund. Sara lächelte still, und spielt in einer artigen naiven Arie auf ihr fast hundertjähriges Alter an; der Engel erklärt sich und seine Sendung, Abraham jauchzt auf, Hirten und Hirtinnen füllen die Bühne, und die Szene schließt mit der Menuet aus dem Don Juan. Im dritten und letzten Akt erscheint Isaak; er macht eine anständige Verbeugung gegen das Publikum, und gesteht, daß er es selbst nicht geglaubt habe, daß er noch erscheinen werde. Er nimmt darauf Unterricht im Tanz und leistet etwas Unglaubliches, die gerührten Eltern und das ganze Tal Mamre klatscht Beifall. Die moralisch verdorbenen Hirten sind zu ihren Verwandten in die Städte Sodom und Gomorrha gegangen, und man sieht diese beiden verdammten Residenzen im Hintergrunde aufbrennen. In der Schlußszene erscheint Adam als Harlekin, Eva als Kolombine, der böse Geist als Dottore, die Gegend verwandelt sich in das Paradies; ein Orang-Utan tanzt mit einer jungen Äffin ein komisches Pas de deux, Löwen und Kamele gehen über das Theater, ihnen folgt der Hund des Aubri und der Kater Murr; alles treibt sich bunt durcheinander, ein militärisches Manöver und der Marseiller Marsch beschließen das Ganze. Nicht wahr, Freunde, eine großartige Komposition?« –

      Eduard und der Abt hatten gelacht, doch der letzte lenkte schnell ab und sprach vom Grafen. »Haben Sie bemerkt, Theurer, daß dieser Mann sich nichts Geringeres vorgesetzt hat, als der Zeit eine Richtung zu geben. Wenn ich nur dergleichen nicht fände; was soll das, wozu führt das? Da sitzt eine halbe Million Menschen auf dem Erdboden verteilt, und horcht und lauscht an den Boden gedrückt, ob sie nicht den Schritt der Zeit vernehmen. Mit lauter Entwürfen, die Zeit einzurichten und zu gestalten, geht sie ihnen selbst ganz ungenützt dahin; sie gleichen einem Kinde, das so viele weitläufige Anstalten zu einem Spiele trifft, daß darüber die Spielstunde zu Ende läuft. Doch an dieser Krankheit liegt jetzt die ganze Welt nieder. Wir ahnen Großes und Entsetzliches, und stemmen Hände und Leiber vor, als wollte eine Wand einstürzen, und nachher, wenn nichts stürzt, so stehen die tausend gehobenen Arme und gebückten Leiber äußerst possierlich da. Ein kluger Mann muß, wie in einem übelgebauten Wagen, so auch in einer schlimmen Zeit, immer noch ein Plätzchen auffinden können, wo es sich leidlich bequem sitzen und träumen läßt.« – Massiello hatte sich auf einen Lehnsessel geworfen und indem er beide Hände vors Gesicht schlug, stieß er einen tiefen und durchdringenden Seufzer aus. »O, ich bin müde zu leben,« rief er; »ich finde keine Worte, für den Ekel, der mich ergreift! Alle Erscheinungen haben sich schon bis zum Überdruß in mir wiederholt, und ich bin jeder Erbärmlichkeit vertraut geworden. Es ist alles nichts, alles fad, alles tot, staubig, verkohlt – erbärmlich!« –

      Eine lange Pause entstand, dann gingen die Freunde still auseinander, keiner vom Wesen des andern erbaut und erkräftigt.

      Eine Frist, die unser Freund vom Arzte СКАЧАТЬ