Название: Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
Автор: Alexander von Ungern-Sternberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027237890
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Ein Schweigen trat ein nach diesen lebendigen Worten, Sophie schmiegte sich an den Sprecher und sah ihm in die funkelnden Augen. Der Baron nahm das Wort und sagte: »Ihr habt vollkommen recht, Doktor, unter den grauen mittelalterlichen Schutt von zerbröckelten Kirchtürmen, den altmodischen Porzellanmöpschen und Perücken gehören auch jene albernen gotischen Irrtümer von Andacht, Liebe, Begeisterung, und Ihr tut wohl daran, wenn Ihr drauf besteht, daß alles miteinander ausgekehrt werde, damit aus der alten wunderlichen Kinderstube des Menschengeschlechts, voll summender Mährchen und Kindergebete, ein feiner offener Salon werde, wo politische Zeitschriften gelesen werden können, und man über den neuesten Wechselkurs verständige Betrachtungen austauschen kann.« – »Wir werden uns nimmermehr verstehen,« fuhr der Journalist auf, »und es wäre besser, es käme nie zu einem so unfruchtbaren Austausch; desto besser hat mich hier meine junge Freundin verstanden, nicht wahr?« – Sophie errötete und neigte ihr Antlitz tief herab, dann hob sie es langsam, und ein Blick auf den Vater zeigte, daß ihre Zunge es nicht wagen dürfe, offen den Beifall zu äußern, den sie im Geheimen den Worten des Redners gab. – »Ich erlebe es noch,« fuhr der Baron fort, »Sie, Herr Doktor, im offenen Kampf mit Fürst und Thron zu sehen; vielleicht treffen wir uns noch in einem engen Gewahrsam wieder, wo wir beide Zeit genug behalten, einer an dem andern Proselyten zu machen.« – »Ich stehe überall meinem Mann,« erwiderte der Angegriffene, »und gehe, wie Jeder heutzutage, gewappnet umher; doch möchte mir gerade das tätliche Eingreifen nicht als Beruf gegeben worden sein, es gibt im Felde der Ideen noch zahllose rühmliche Kämpfe zu bestehen. Hier, wie in jeder kräftigen Weltsache, gehen der falschen Apostel in Menge herum, und es fehlt am Judas nicht, der die Freiheit um dreißig Silberlinge verleugnet. Zahllose Meinungen schweifen in der Irre umher und bekämpfen im Irrtum und in der Finsternis sich selber, der Taumel wächst hier zum frechen Übermut, indes der Eifer für die gute Sache dort im trägen Indifferentismus unterzusinken droht, dort ist also Zaum, hier sind Sporen nötig, und so gibt's für einen Kopf, dem Ernst und Klarheit geworden, genug zu tun, Einheit und Richtung in die wogende, drängende Masse zu bringen. Gab es einmal eine Zeit, wo es lieblich, erlaubt und schön war, den Geist in eine poetische Ferne zu tauchen, am verklärten Schmerz und Entzücken sich zu berauschen, im Reiche der Phantasie zu leben, so muß das jetzige Geschlecht diesen Genuß aufgeben und dafür die Ehre haben, Taten auszustreuen, die den kommenden Geschlechtern Stoff zu Liedern und Hymnen geben. Es genügt nicht, in Ruhe die kunstreichen Gebilde auf dem Schilde der Minerva zu betrachten, sondern es gilt, ihn zu führen im Streite.«
Der Baron erhob sich und auch die Andern brachen auf, man trennte sich, um zu Bette zu gehen. Ottfried kam auf unsern Freund zu, und indem er ihm die Hand drückte, bat er ihn, sich in das Profil zu stellen. Eduard tat es, und der freundliche Mann sagte nach einer Pause, während deren er ihn aufmerksam beobachtet hatte: »Nicht wahr, Sie sind ein Dichter? gestehen Sie es nur, ich trüge mich nicht.« Eduard gestand, daß er Verse niedergeschrieben. »Ja, ja,« rief Ottfried, »o mein Freund, ich habe Ihnen viel zu vertrauen, doch das zur gelegenern Stunde.«
Als Eduard sein Zimmer erreicht hatte, löschte er schnell die Kerzen aus, und ließ den vollen silbernen Strom des Mondlichts über den Schreibtisch und Armstuhl auf den Boden fallen, er trat ans Fenster und es öffnend, blickte er auf das gegen die finstere Wolkenwand weißlich hervortretende Schloßgemäuer. Die Fenster schillerten im Mondglanz und es sah aus, als gäbe es drinnen ein prächtiges Fest. Alles umher war Ruhe und Stille; noch eben hatten leidenschaftliche Worte einer Menschenrede an sein Ohr getönt, sie waren verhallt, und durch das Schweigen des Grabes tönte das leise Geflüster der Blätter der unter seinem Fenster aufstrebenden Baumgipfel. Jetzt strich ein Luftzug durchs Gemach, und die Papiere auf dem Tische flogen auf, er sah im Schlosse ein einsam wandelndes Licht die lange Fensterreihe durchstreifen, und die Uhr im nahen Dorfe schlug die zwölfte Stunde. Er suchte das Bett und sank bald in einen tiefen Schlaf.
Als er am Morgen sich zum Frühstücke einfand, saß Sophie allein da, und beschäftigte sich mit den Tassen. Sie stand sogleich auf, und nach einigen gleichgültigen Reden sagte sie: »Die Augenblicke sind selten, wo es einem gestattet wird, Blicke in das Innere eines Menschen zu tun. Sie, mein Herr, haben zufällig gestern den wunden Fleck offen gesehen, der, nach Innen zehrend, das Unglück unserer sonst so zufriedenen Gesellschaft macht. Ich kann es nicht leugnen, ich hege den tiefsten Haß gegen die alten Formen und den Dünkel einer Kaste, die dem Übermut und der Tyrannei keine Grenzen zu setzen weiß; offen bekenne ich, daß mir die höhere philosophische Entwickelung der Ideen, um die es sich handelt, gänzlich fremd ist, und daß zur Bildung meiner Ansichten gekränkte Eitelkeit einen großen, wenn auch nicht den größten Teil beiträgt. Ist es Ihnen recht, so benutze ich das halbe Stündchen, wo mein guter Vater noch zu erscheinen zögert, um Ihnen eine Begebenheit zu erzählen, die die plötzliche Änderung meiner Ideen bewirkt hat, und an die ich nie ohne Bewegung zurückdenken kann.« Eduard setzte sich zu ihr, und sie fuhr fort: »Meine gute Mutter war nicht von adeliger Abkunft, sie hatte durch Tugenden, die eines leeren Schimmers nicht bedürfen, das Herz meines Vaters an sich zu fesseln verstanden; ihr früher Tod ließ ihn ihren Werth auf das schmerzhafteste empfinden. Man veranstaltete ein ehrenvolles Leichenbegängnis; und die gewöhnlichen Festlichkeiten gingen vor sich, die, noch ein Erbteil einer steifen, törichten Zeit, eben so drückend als belästigend für die armen Hinterbliebenen sind. Meine Mutter besaß ein kleines Ordenskreuz, welches sie von einer teuren Freundin, die Stiftsdame gewesen, als ein Andenken erhalten hatte, und welches immer auf ihrer Brust zu ruhen pflegte; auch jetzt befand es sich dort, obgleich das Herz, welches in diesem Busen schlug, schon erkaltet war. Wer hätte es wagen können, dieses Zeichen einer zärtlichen Erinnerung zu entreißen? Und dennoch geschah es. Eine Dame von Adel, die sich mit unter den Trauergästen befand und noch zu jenem Fräuleinstift gehörte, bemerkte nicht sobald das Kreuz, als sie an den Sarg trat, um es abzulösen. Fast mit kindischer Hast sprang ich hinzu, umklammerte ihren Arm, indem ich sie bat und beschwor, von diesem Vorhaben nachzulassen, ja, ich besinne mich, daß ich in ohnmächtiger Wut nahe daran war, ihr in den Arm zu beißen, allein sie drängte mich von sich, indem sie leise und mit schneidender Kälte sagte: ›Mademoiselle, soll ich Ihre Bonne rufen, um Sie zu züchtigen?‹ Dann wandte sie sich zu einer nebenstehenden Dame und sagte spottend: ›Das ist nun eine Erziehung, wie sie eine Bürgerliche geben kann.‹ Mein ganzes Wesen war Erbitterung, ich verstand jene Worte sehr wohl, und ein grelles Licht drang in mein Inneres. O Himmel, ich glaubte die arme Mutter jetzt jedes Schmuckes beraubt zu sehen, mein einziges Verlangen war, mich nur gleich zu ihr ins kalte einsame Grab zu legen. In der Folge gab es Kränkungen der Art eine Menge. So besinne ich mich, daß ich die schmerzlichsten Tränen vergoß an einem Abende, wo alle meine Gespielinnen tanzten und jubelten; man hatte meine vertrauteste Freundin, ein Mädchen von bürgerlicher Abkunft, auf das Empfindlichste gekränkt, und da ich mich lebhaft ihrer annahm, mußte auch ich erfahren, daß man mir den Stand meiner Mutter vorwarf. Dies empörte mich, es kam aufs Äußerste, und als mir, die Gescholtene zu rechtfertigen, im Eifer der Rede die hellen Tränen über die Wangen liefen, mußte ich ein schadenfrohes tückisches Lachen hören, welches mir das Herz vollends zerschnitt. Mein guter Vater verließ mit mir den Saal, СКАЧАТЬ