Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien - Alexander von Ungern-Sternberg страница 18

СКАЧАТЬ Einfall, dem er selbst mit Vergnügen länger nachdachte – »allein dieser Tod ist das Leben und die Freiheit, obgleich ein verblendeter Hause ihn die tiefste Knechtschaft nennt; doch wir werden nicht mit Worten spielen, die Sache bleibt wahr, so sehr sich auch unsere Eitelkeit dagegen sträubt. Nichts Elenderes gibt es, als den Glauben, wir könnten etwas Großes leisten, etwas Edles und Erhabenes darstellen. Wir wollen Bürger des Himmels sein und sind Sklaven des bewegten Nervs, der jede Minute anders erzittert. Eine reichlichere, schmackhaftere Tafel verrückt die Ansicht der Dinge um ein Ungeheures, und der Kuß eines schönen Mädchens hilft den Himmel anders bauen. Wenn es uns der Körper nicht sagte, daß das Verbrennen schmerze, so hätten Millionen Menschen nie eine Hölle gefürchtet, und die Dichters hätten den Gegensatz derselben, den Himmel, nicht erdichten können. Das Grundübel der Welt liegt im Dasein streitender Gegensätze; gelingt es uns, diesen Streit zu lösen, so sind wir geheilt, denn nur da herrscht Ordnung, Ruhe, Gesundheit, wo kein Widerspruch sich zeigt, je höher der Widerspruch wächst, desto kränker ist der Mensch, desto kränker ein ganzes Volk. Tritt der Mensch freiwillig in seine Schranken zurück, ist er im vollen Begriff des Worts gesundsinnlich, so hört augenblicklich der schreiende Mißton in ihm auf, und er ist weder Betrüger, noch Betrogener mehr und alle jene Weltverbesserungs-Anstalten fallen von selbst weg.«

      »Mich schwindelt vor einer solchen Ansicht,« rief Eduard.

      »Weil Sie noch nicht zur Gesundheit sich durchgerungen haben,« versetzte der Graf; »ich habe es und befinde mich ganz wohl. Ehe man von einem Thron herabsteigt, dessen Flitter uns blendeten, kostet es manchen Kampf. Die Geschichte aller Religionen ist eine Geschichte der Krankheiten des menschlichen Geistes. Besuchen Sie die Lehrsäle der Philosophen, saugen Sie an dem Marke alter und neuer Weisheit, lassen Sie sich in dunkeln gotischen Hallen, in griechischen Tempeln, in jüdischen Synagogen, in türkischen Moscheen das unverständliche Etwas predigen, das die Menschenköpfe verrückt macht, welches das menschliche Fleisch vergiftet hat von Anbeginn an, das den Wahnsinn auf die Erde gerufen und alle Kammern des Elends und Greuels geöffnet hat.«

      Eduards Wunde brannte heftig, der Graf brach das Gespräch kurz ab; bald darauf entfernte er sich. Es vergingen einige Tage, ehe er wieder kam. Er sprach von seiner nahen Reise und gab zu verstehen, daß er es gerne sehe, wenn Eduard ihn begleitete. Unmittelbar berührte er nie wieder jene zuerst geäußerten Grundsätze, doch blickten sie bei jedem Gespräche durch, so mild und anscheinend verträglich es auch geführt wurde. »Wenn ich von Kunst spreche,« sagte er eines Tages, »so habe ich immer nur die griechische im Sinn; sie allein ist es, die unverhohlen dem Menschen dient, nicht einem Gespenste. Wenn ich die Reize eines schönen Jünglings, eines vollen Mädchens sehe, so habe ich da etwas Wirkliches; der lachende Faun, der drohende Zeus, wer verstände sie nicht? wer labte sich nicht an der schönen frei ausgesprochenen Form; das Kolorit des Titian ist ebenfalls wirklich – gesund, doch ein Bildchen von Fiesole ist eine Krankheit, mit Pinsel und Farbe beschrieben. Poesie und Musik dulden ebenfalls kein anderes Element, als die Sinnlichkeit, wenn sie sich nicht in ein Nichts auflösen sollen. Die meisten Legenden sind unter den Händen ihrer Bearbeiter Liebesgeschichten geworden, wo der Heilige den Liebhaber, die Heilige die Geliebte spielt. Die Rigoristen, die Bilder und Lieder verbannen wollen, fallen in noch gröbere Verirrungen.«

      Eines Tages holte der Graf ein Buch aus der Tasche, es waren Wilhelm Meisters Lehrjahre. »Ein sonderbares Buch,« rief er, »da ist nun ein Mensch, der durch das Leben geht, ohne sich um das Schwarz und Weiß zu kümmern, mit welchen wir alle Dinge um uns bemalen.« Eduard meinte, daß das Buch geschrieben sei, um die Bühnenkunst auf eine höhere Stufe zu heben; der Graf lächelte und kam mit einer Wendung wieder auf seine eigentümlichen Meinungen und Ansichten zurück. »Dieses und ähnliche Bücher,« sagte er, »sind mir lebende Zeugnisse, daß eine gesunde sinnliche Entfaltung das Höchste in der Poesie leistet. Den Tumult der Leidenschaften, das rote Pulsieren eines heißen Herzens, das lechzende Verlangen sinnlicher Glut, und das höhnende Gespött über die Anmaßungen des Geistes, das ist der heftige Lebensatem, der die Brust der Goetheschen Muse schwillt; nirgends Krankheit, überall Muskelfülle eines Laokoon und süßer Aphroditenreiz.«

      Eduard wandte kleinlaut ein, daß eine solche Ansicht ihm gefährlich schiene, indem dadurch der Unterschied zwischen Recht und Unrecht, Tugend und Sünde sich verdunkle. Der Graf rief dazwischen: »Es gibt keine Sünde, wie es keine Tugend gibt. Nennen wir den Orkan, der Bäume entwurzelt und Felsen erschüttert, Sünde? er ist ein und dasselbe, mit dem Frühlingsgesäusel – eine Naturkraft, eine bloße Erscheinung; nur unsere kurzsichtigen Begriffe nennen das Eine verderblich, das Andere beglückend. Ein durch sinnlichen Übergenuß sich hinrichtender Mensch, ist mir nichts als eine Erscheinung; ich tadle oder lobe ihn eben so wenig, als ich einen Baum lobe oder tadle, der durch Blütenfülle hinwelkt. Sonnenschein, früher Regen, zu fetter Boden waren die Ursache seines Falls, dagegen gibt es Tausende, die anders gestellt, günstigere Strahlen saugen; aber ich bedaure das arme krüppelhafte Gewächs, das ein Ziergärtner frühe in ein trocknes Gerippe einsperrte. Es wird eine Zeit kommen, wo alle Religionen, alle Philosopheme in den Staub sinken und die Menschen, von aller Krankheit, von allem Elend genesen, wieder nackend in die ewigen Quellen des Paradieses tauchen.«

      Nach einer Weile setzte der Graf hinzu: »Da ist nun der Herzog; anstatt sich gesund auszubilden, wie er Anfangs versprach, nährt er den geheimen Schaden und jetzt ist die Krankheit da. Schade um die schönen Anlagen. Mit einem am Felsen angeschlossenen Prometheus, der mit seinen Ketten gen Himmel zürnt, kann ich Mitleid haben, nicht aber mit einem Knaben, der aus Furcht vor der Rute auf die Worte seines läppischen Lehrers schwört.«

      Eduards Krankheit brach immer dergleichen Gespräche ab, doch ließ der Graf es sich nicht nehmen, täglich am Lager des Jünglings zu erscheinen, ja er wachte sogar Nächte hindurch und horchte den Fieberphantasien. Öfters zog er ein Manuskript aus der Tasche und las die Geschichte seines Lebens, die sich in finstern Bildern um das Kloster in den Apenninen bewegte. Einst entschlief unser Freund, und ein seltsamer Traum neigte sich auf ihn herab. Wie aus weiter Ferne tönte ein altes vergessenes Wiegenliedchen, das er seine verstorbene. Mutter singen gehört zu haben sich erinnerte. Die Töne rannen wunderbar in ein Bild zusammen und er sah sich selbst in der Kinderstube, wo er aufgewachsen, wieder; eine Gestalt saß abgekehrt von ihm am Fenster: am Band der Haube, am Kontur der Wange erkannte er seine Mutter. Ein Schauer der Rührung befiel ihn, es trieb ihn, das Antlitz zu sehen, aus dessen süßen Liebesaugen sich einst der Himmel in seiner Brust entzündet hatte; doch ein inneres Grauen, dessen Grund er sich nicht erklären konnte, bannte ihn fest an seinen Sitz. Er betrachtete einen Tisch vor sich; er lag voll Spielzeug, wohlbekannte Püppchen, doch die Vergoldung an den Soldaten war matt geworden und ein dicker Staub lag auf jedem Dinge. In seinem Herzen brachen die Knospen der ersten Jugend auf, seine Seele trank jene frühe Unschuld und Engelsfreudigkeit, die Töne der Wiegenlieder drangen mit Ungestüm in seine Brust, und weiteten mit kühlendem Flügelschlage sein Inneres aus. Vergnügt schob er jetzt die Sachen zusammen, und sie in eine bunte Reihe ordnend, konnte sein Auge sich nicht satt sehen an dem bunten Schmucke der Puppen. Sie alle waren ihm bekannt, er wußte den Namen einer jeden, doch während er sie, eine nach der andern, aus dem Kästchen hervorholte, riß sich sein Finger von ungefähr an ein hervorragendes Nägelchen, das Blut tropfte heftig, und befleckte die zarten Gestalten. Wie er im Schmerze nun die Puppen von sich warf, bemerkte er, wie jedes Figürchen auf dem Boden sich krampfhaft herumwand, wie sie immer größer wuchsen, und endlich ihn und seinen Stuhl umringten, indem sie die bleichen, verzerrten Gesichter über seine Schulter senkten. Es waren Robert, Massiello, der Herzog, der Abt, Jokonde und Eva, auch Enzio und der alte Fleackwouth fehlten nicht, doch allen klebte ein schwarzer, riesiger Blutstropfe im Gesicht und an der Kleidung. Ein ungeheures Entsetzen erfaßte den Armen; er fühlte, wie er zum Spotte dasitze am Kindertischchen als siebenundzwanzigjähriger Jüngling, er schrie laut auf, und rief den Namen seiner Mutter; da – o, es war schrecklich – zitterte das Bild am Fenster, wie ein wankender Schatten, den die Laterne eines Vorübergehenden auf die Wand eines gegenüberstehenden Hauses wirft, das Antlitz wandte sich langsam um und Eduard erkannte ein seltsames fremdes Gesicht. Die Haube war verschwunden, statt ihrer zog sich ein weißes Tuch halb über die Stirne, und eine Seitenlocke, die sich gelöst, hing auf den Hals herab. Die Gestalt hob СКАЧАТЬ