So gehen meine Gedanken. Dazwischen schlafe ich ein bisschen, drusele so halb ein und bin auch plötzlich ganz fort, wie in einer tiefen Ohnmacht. Und da bin ich wieder wach, fühle von Neuem die Qual in meinem Leib, stöhne: »Mein Gott! Mein Gott! Das halte ich nicht aus – komme ich denn noch nicht fort?« Ich renne hin und her, rüttele auch einmal an den Eisenstangen, lehne mich gegen die Tür, in der wahnsinnigen Hoffnung, dass sie vielleicht offengeblieben ist, und denke an Magda … Ehrlich gesagt: Ich habe Angst vor Magda … Sie kann so verflucht energisch sein … Aber ich bin ihr Mann, wir haben uns geliebt, sie wird mir verzeihen, sie muss es … So dreht sich die ewig gleiche Gedankenmühle …
26
Ich habe wieder einmal geschlafen. Das Klirren des Schlüssels hat mich geweckt. Ich springe von meinem Lager und sehe erwartungsvoll den vier Herren entgegen, die in meine Zelle eintreten. Zweien gönne ich nur einen kurzen Blick: Sie tragen die Uniform der Polizei. Der eine ist der Wachtmeister aus der Nacht, der mich hierher gebracht hat, der andere ist ein Polizeibeamter, den ich aus meiner Vaterstadt gut kenne. Manches Mal habe ich bei einem Glase Bier einen Skat mit ihm gespielt, ein guter, ordentlicher Mensch, natürlich nicht aus meiner Gesellschaftsklasse, aber ich war nie stolz. Von den beiden anderen Herren in Zivil kenne ich den einen nicht, es ist ein junger Herr mit scharf geschnittenem Gesicht und etwas starrenden, strengen Augen. Seine Unterlippe wölbt sich stark vor. Der andere Zivilist ist mir aber umso besser bekannt, es ist unser guter alter Hausarzt, der Dr. Mansfeld.
Im Augenblick, da ich ihn erkenne, schießt es mir blitzschnell durch den Kopf, dass ich also doch nicht entlassen werde. Er wird mich in eine Trinkerheilstätte bringen. Aber auch das ist nicht schlimm, im Gegenteil, das ist vielleicht noch viel besser. In einem solchen Haus werden mir meine jetzigen Qualen abgenommen, sicher haben sie dort Mittel dagegen, und dann ersparen sie mir die sofortige Auseinandersetzung mit Magda. Über einen in solchem Haus untergebrachten Kranken wird Magda viel milder denken …
All das habe ich in Sekundenschnelle überlegt und bin dabei auf den Arzt zugeeilt. Ich schüttele ihm die Hand, ich sage erregt: »Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind, Herr Dr. Mansfeld. Sehen Sie«, ich lache ein wenig verlegen, »wie man mich hier untergebracht hat!« Und ich werfe einen Blick auf die schmutzige Zelle.
Dr. Mansfeld drückt meine Hand kräftig. Ich merke, auch er ist erregt, sein Gesicht zittert. »Ja, mein lieber Herr Sommer«, sagt er, und seine Stimme zittert. »Ich habe es nicht gewollt, dass es so mit Ihnen enden muss …«
»Enden?«, sage ich und versuche, meiner Stimme einen leichten Klang zu geben. »Enden, Herr Dr. Mansfeld? Ich denke, dies ist ein neuer Anfang! Sie bringen mich in eine Heilstätte und machen mich wieder gesund!«
»Das wollte ich vor vierzehn Tagen, mein lieber Herr Sommer«, sagt Dr. Mansfeld kopfschüttelnd. »Aber Sie haben es ja leider unmöglich gemacht. Jetzt hat der Herr Staatsanwalt das Wort.«
Und damit sieht er zu dem jüngeren Herrn mit den starrenden Augen hinüber, der jetzt seine vorstehende Unterlippe noch weiter vorschiebt, mich streng anschaut und erst zögernd sagt: »Ja, ja, natürlich.« Dann rasch: »Ich muss Sie wegen Mordversuchs an Ihrer Frau verhaften, Herr Sommer. Sie sind verhaftet!«
Ich stehe wie vom Donner gerührt, ich kann im ersten Augenblick kein Wort über die Lippen bringen. ›Dies kann kein Ernst sein‹, denke ich fieberhaft. ›Sie wollen dich nur schrecken. Mordversuch an Magda …?‹ Endlich kann ich sprechen, ich sage mit zitternder Stimme: »Mordversuch an meiner Frau, das ist doch lächerlich! Ich habe Magda doch nie ermorden wollen!«
Der Herr Staatsanwalt sieht mich vernichtend an und stößt scharf hervor: »Wir werden Ihnen schon beibringen, wie lächerlich das ist, Sommer!« Und: »Kommen Sie, Herr Doktor!« Noch einmal zu dem städtischen Wachtmeister: »Sie wissen also Bescheid, Wachtmeister. Führen Sie den Mann ab!«
»Herr Dr. Mansfeld!«, rufe ich aufgeregt, maßlos verzweifelt hinter den Fortgehenden drein. »Herr Dr. Mansfeld, Sie wissen doch, wie sehr ich Magda geliebt …«
Die Tür schlägt hinter den beiden Zivilisten zu, ich bin mit den beiden Uniformierten allein. Fassungslos hocke ich mich auf meinen Strohsack und verberge das Gesicht in den Händen.
27
Nachdem ich eine Weile bewegungslos so dagesessen hatte und immer wieder die gegen mich erhobene Anklage »Mordversuch an der eigenen Frau« qualvoll hin und her gewälzt hatte, legte der Wachtmeister aus meiner Vaterstadt, Herr Schulze, seine Hand auf meine Schulter und sagte, milde mahnend: »Wir müssen jetzt gehen, Sommer!«
»Sommer«, wie mich das anrührte, dieses einfache »Sommer« ohne »Herr«; so von einem ganz einfachen Mann mit einem Jahreseinkommen von kaum mehr als zweitausendvierhundert Mark angeredet zu werden, das machte mir die Veränderung meiner Lebensumstände aufs Deutlichste begreiflich. Seit ich aus der Lehre entlassen worden war, hatte mich noch kein Mensch ohne »Herr« angeredet, und nun … Ich nahm die Hände vom Gesicht und fragte, mit Tränen in den Augen: »Wohin bringen Sie mich, Herr Schulze?«
Ich betonte das »Herr«, aber er achtete nicht darauf, solch einfacher Mann hatte für so feine Schattierungen wohl kein Gefühl. »Nur zum Amtsgericht, Sommer«, sagte er. »Nur zum Amtsgericht.« Und er fuhr fort: »Sehen Sie, Sommer, Sie sind doch ein gebildeter Mann, Sie werden mir doch keine Schwierigkeiten machen? Ich müsste Sie wohl eigentlich an die Kette nehmen, aber wenn Sie mir versprechen, keine Schwierigkeiten zu machen …«
»Ich verspreche es Ihnen, Herr Schulze«, sagte ich eifrig und jetzt fast fröhlich. »Ich verspreche es Ihnen auf Ehre und Gewissen.«
»Schön«, antwortete er. »Ich will mich auf Sie verlassen. Ziehen Sie Ihren Mantel an, da liegt noch Ihr Hut, sonst haben Sie nichts? Also kommen Sie!«
Er СКАЧАТЬ