Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
isbn:
Er führte mich einen Gang entlang, durch ein Eisengitter hindurch, eine Treppe hinauf, durch eine eiserne Tür. Ich sah einen langen Gang, düster, mit vielen eisenbeschlagenen Türen, mit Riegeln und Schlössern, und wieder eine Treppe hinauf, wieder eine Eisentür – immer musste der Mann aufschließen und zuschließen und tat es so selbstverständlich … Mir aber legte es sich auf die Brust: Alle diese Türen, die jetzt zwischen mir und der Außenwelt lagen, sie brachten es mir so recht deutlich zu Bewusstsein, wie sehr ich gefangen war, wie schwer es wieder sein würde, in die Freiheit zu kommen. Vom ersten Augenblick an spürte ich die Wahrheit des Satzes, den ich später so oft im Gefängnis hörte: »Du kommst so leicht hinein und so schwer hinaus.«
Mein Führer war vor einer eisernen Tür stehen geblieben, die eine weiße »11« trug. Hier hinter also sollte ich hausen. Er schloss auf, und hinter der Tür zeigte sich eine zweite Tür. Auch sie wurde aufgeschlossen.
»Gehen Sie rein«, sagte mein Begleiter ungeduldig, und ich trat ein. Von einem schmalen Bett erhob sich eine gewaltige Gestalt, ein großer Mann erheblichen Umfangs, mit einer blonden Glatze und einer Brille.
»Ein bisschen Gesellschaft?«, fragte er. »Na, das ist schön. Woher kommst du denn?«
Ich war so verblüfft, dass ich in der Zelle einen Gefährten haben sollte, dass ich es erst viel später merkte: Der Schließer war gegangen und ich endgültig und unwiderruflich eingeschlossen.
»Setz dich man, da auf den Schemel«, sagte der Dicke. »Ich hau mich noch ein bisschen aufs Bett. Es ist zwar verboten, aber der Fermi sagt nichts. Fermi ist der, der dich eben raufgebracht hat.«
Ich setzte mich auf den Schemel und starrte den auf dem Bett liegenden Mann an. Er trug Zivil wie ich, einen einstmals wohl sehr eleganten Anzug von einem guten Schneider, der jetzt aber recht zerdrückt und auch fleckig war.
»Sind Sie auch ein Gefangener?«, fragte ich schließlich.
»Das will ich meinen!« lachte der Dicke. »Denkst du, ich sitze hier zur Erholung in diesem Bunker? Übrigens kannst du ruhig ›du‹ zu mir sagen, wir nennen uns hier alle ›du‹. – Ja«, fuhr er fort und reckte sich stöhnend, »ich sitze hier schon elf Wochen im Bau, aber denkst du, ich habe schon eine Anklage? Nicht die Bohne! Die Brüder lassen sich Zeit, ihretwegen kannst du hier verfaulen und verschimmeln, deswegen gehen die nicht einen Schritt schneller. Was hast du denn ausgefressen?«
»Der Staatsanwalt hat mich wegen Mordversuch an meiner Frau verhaftet«, antwortete ich mit bescheidenem Stolz. Und setzte schnell hinzu: »Aber das stimmt nicht. Davon ist kein Wort wahr.«
Wieder lachte der Dicke. »Natürlich ist es nicht wahr«, lachte er. »Hier drin sitzen überhaupt nur Unschuldige – wenn du die Leute fragst.«
»Bei mir ist es aber wirklich wahr«, versicherte ich. »Ich habe meine Frau nie ermorden wollen, wir haben uns nur ein bisschen gestritten.«
»Na ja«, sagte der Dicke. »Mit der Zeit wirst du dir schon die Brust freiquasseln; jeder, der das Sitzen nicht gewohnt ist, fängt mit der Zeit an zu quasseln. Pass dann nur auf, mit wem du redest, die meisten wollen sich lieb Kind beim Inspektor machen, hinterbringen ihm alles – und schon bist du drin.« Er sah mich aus seinen kleinen Augen zwischen Fettwülsten hindurch treuherzig an und meinte: »Bei mir aber kannst du offen reden, ich bin eine Seele von einem Menschen, ich bin stiekum.«
»Was sind Sie?«
»Stiekum, das sagt man hier für Dichthalten. Ich quatsche nicht, verstehst du?«
»Ich habe aber wirklich nichts zu gestehen«, versicherte ich wieder.
»Na, das werden wir ja noch erleben«, sagte der Dicke gemütlich. »Vielleicht hast du Schwein, und der Untersuchungsrichter ist deiner Meinung und erlässt keinen Haftbefehl gegen dich.«
»Ich bin doch schon vom Staatsanwalt selbst verhaftet.«
»Das hat gar nichts zu sagen«, belehrte mich der Dicke. »Erst kommst du morgen oder übermorgen vor den Untersuchungsrichter. Der vernimmt dich, und wenn er deiner Ansicht ist, bist du wieder frei …«
»Und das stimmt wirklich?«, fragte ich aufgeregt. »Ich kann noch freikommen?«
»Natürlich kannst du das, aber oft ereignet sich das nicht gerade. Na, wir werden es ja erleben.« Und er dehnte sich wieder behaglich.
Mich berauschte die Aussicht auf die vielleicht nahe Freiheit, ich stand auf und lief gedankenvoll in der Zelle hin und her. Wenn Magda günstig für mich aussagte, würde ich freikommen. Und sie würde günstig für mich aussagen, ich fühlte das. Und selbst wenn sie noch zornig auf mich war, nie konnte sie sagen, dass ich sie hätte ermorden wollen. Das hatte ich nie gewollt. Dunkel kam mir in Erinnerung, dass ich etwas gesagt hatte wie: »Heute Nacht komme ich und ermorde dich«, aber das war doch nur betrunkenes Gerede gewesen, das galt nicht.
»Höre mal«, sagte der Dicke, »renne mal nicht so in der Zelle hin und her, damit machst du mich nervös! Setz dich mal ruhig dort auf den Schemel, nimm aber erst das Kissen runter, es ist nämlich mein Privatkissen. Auf deine Falle kannst du dich noch nicht legen, deinen Strohsack bringt dir der Olle erst heute Abend. Gott, wie mich dieser Stall ankotzt!« Damit gähnte der Dicke herzhaft, ließ einen Fürchterlichen fahren – ich fuhr erschrocken zusammen –, stöhnte: »Das hat aber gutgetan!«, und war auch gleich eingeschlafen.
Ich aber will nicht länger in solcher Breite die ersten Tage meiner Untersuchungshaft erzählen. Sie waren so qualvoll, dass ich eines Nachts leise aufstand, an den Schrank des Dicken ging und aus seinem Rasierapparat die Klinge nahm: Ich wollte mir den Hals durchschneiden. Nur brachte ich nachher doch den Mut dazu nicht auf. Ich hatte probeweise erst einen Schnitt am Handgelenk getan, der nur wenig blutete, mich aber beruhigte. Der Wille zum Leben siegte, und ich tat die Klinge noch in der gleichen Nacht in den Apparat zurück.
Im Ganzen aber ging meine Entwöhnung vom Alkohol leichter, als ich erwartet hatte. Ich war eben doch noch kein richtiger Trinker gewesen, hatte erst kurze Zeit mich dem Schnaps ausgeliefert und nie weiße Mäuse laufen sehen. Viel half mir bei dieser Entwöhnung, dass ich mich schon den dritten oder vierten Tag freiwillig zur Arbeit meldete. Ich hielt das tatenlose, grübelnde Herumsitzen in der Zelle und vor allem die Gesellschaft des Dicken, der übrigens Düstermann СКАЧАТЬ