Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Es gab eine längere Pause, einesteils, weil ich mich wirklich ziemlich schwer geschlagen hatte, zum anderen, weil ich den Korkenzieher suchen musste, um eine neue Flasche zu öffnen. Ich hatte ihn bestimmt auch auf den Dachrand gelegt, aber von dort war er ganz unbegreiflich verschwunden. Ich suchte ihn, leise vor mich hin scheltend, auf allen Vieren im Grase. Er war nicht aufzufinden. Schließlich besann ich mich darauf, dass auch an meinem Taschenmesser ein Korkenzieher war, der mir bisher recht gute Dienste geleistet hatte. Ich suchte das Messer in den Taschen, fand es nicht, fand aber stattdessen in ihnen den Korkenzieher, den ich auf den Dachrand gelegt hatte.
Nachdem ich wieder getrunken hatte, war mir doch eines klar: dass ich über das Dach das Kammerfenster nie erreichen würde. Also ging ich wieder nach vorne und versuchte von Neuem die Vordertür. Sie war noch immer verschlossen. Ich zog mein Schlüsselbund aus der Tasche und versuchte meine Schlüssel, einen nach dem anderen. Sie waren alle viel zu klein für dieses derbe ländliche Schlüsselloch, aber mit einer stupiden Hartnäckigkeit versuchte ich sie immer wieder in der festen Erwartung, schließlich werde ein Wunder geschehen und die Tür sich öffnen.
Ich hatte bei all diesen völlig betrunkenen Anstalten schon lange nicht mehr die geringste Rücksicht auf den Nachtschlaf der Hausbewohner genommen, und so war es denn kein Wunder, dass schließlich über mir ein Fenster aufging und eine recht ärgerliche Frauenstimme scharf sagte: »Wer ist denn da?«
Ich stand ganz still, rührte mich nicht, wie ein ertappter Einbrecher.
»Wollen Sie wohl machen, dass Sie fortkommen!«, rief es wieder von oben ärgerlich. »Ich seh Sie ja da ganz deutlich stehen! Hier wird nichts mehr ausgeschenkt, hier ist geschlossen!« Damit flog das Fenster oben wieder zu, und ich stand allein im Dunkeln, noch immer ausgeschlossen.
Eine Weile verharrte ich bewegungslos, dann schlich ich auf Zehenspitzen zurück in den Hintergarten und fing leise an, meine Habseligkeiten vom Schuppendach fort- und vorne zum Eingang hinzutragen, wo ich sie wieder pedantisch ordentlich auf einem Eisentisch aufbaute. (Dass ich bei dieser Beschäftigung nicht das Trinken vergaß, versteht sich von selbst.) Kaum hatte ich dieses Werk, das wegen meiner Zerfahrenheit und meines unsicheren Ganges viel Zeit beanspruchte, vollendet, fing ich wieder mein idiotisches Spiel mit Schlüsselbund und Schlüsselloch an.
Ich hatte noch nicht lange gearbeitet, so flog oben mit einem Krach wieder das Fenster auf, und die Frauenstimme rief jetzt sehr zornig: »Das wird mir jetzt aber doch zu bunt. Wollen Sie jetzt machen, dass Sie wegkommen? Oder soll ich die Polizei holen?!«
Das Wort »Polizei« löste meine schwer gewordene Zunge. »Ach bitte«, rief ich verwirrt nach oben, »wollen Sie mich denn nicht hereinlassen? Ich bin nämlich der Professor …!« Wie ich dazu kam, mir den Titel »Professor« beizulegen, ahne ich nicht, es war eine höhere Eingebung.
»Der Professor …?«, fragte es von oben im Tone höchsten Erstaunens. »Welcher Professor denn? Der hier vorigen Sommer Bilder gemalt hat?«
»Ja, natürlich«, sagte ich im selbstverständlichsten Tone von der Welt, als sei es ganz normal, dass ein bildermalender Professor zur Nachtzeit fremde Türen mit seinen Schlüsseln aufschließen will. »Lassen Sie mich doch rein! Ich stehe hier schon zwei Stunden!«
»Hätten Sie doch eine Postkarte geschrieben, Herr Professor!«, sagte die Stimme von oben, noch nicht gerade sehr freundlich, aber doch milder. »Warten Sie einen Augenblick, ich schließe Ihnen dann gleich auf.«
Erleichtert setzte ich mich auf einen Eisenstuhl, trank schnell noch einmal und schloss dann die Augen. Ich war sehr müde, fast betäubt, und doch ahnte ich, dass hinter dieser Ruhe in mir etwas Gefährliches steckte: ein wilder unbändiger Zorn, der jeden Augenblick hervorbrechen konnte. Es fehlte nur der Anlass, und Anlass konnte eigentlich alles sein. Dieses Zwetschgenwasser war viel gefährlicher als der vergleichsweise harmlose Korn, es ging tiefer ins Blut, führte zu ungeahnten Abgründen.
Schließlich drehte sich der Schlüssel in der Tür, ein Lichtschein fiel heraus zu mir. »Na, dann kommen Sie man rein«, sagte die Frauenstimme. »Aber nett ist das nicht, Herr Professor, dass Sie uns so die Nachtruhe stören.«
Ich stand auf und folgte meiner Führerin in die Gaststube, die jetzt im Schein nur einer Glühbirne mit den auf die Tische gestellten Stühlen höchst unwirtlich aussah. Meine Begleiterin drehte sich jetzt nach mir um, es war die weißhaarige Wirtin, die ich schon einmal einen Augenblick gesehen hatte.
Sie musterte mich erstaunt. »Aber Sie sind ja gar nicht der Professor!«, rief sie ärgerlich. »Sie sind ja der Herr, der neulich hier die große Zecherei gemacht hat und den der Kreisarzt weggeholt hat. Das ist doch eine Unverschämtheit, mir hier vorzulügen …« Sie verstummte unter meinem drohenden Blick.
Ich fühlte eine ungeheure Wut in mir. Ich wusste, ich würde jeden Widerstand brechen, der sich mir jetzt noch entgegenstellte; ich war imstande, das wusste ich, diese Frau zu schlagen, zu Boden zu werfen, zu töten gar, wenn ich es für notwendig befand, wenn es der Teufel in mir für notwendig hielt. Ich sah diese Frau an und befahl: »Rufen Sie Elinor!« Und als sie eine Bewegung des Widerspruchs machte: »Auf der Stelle rufen Sie Elinor, oder«, meine Stimme wurde leise und drohend, »es passiert was!«
Die Frau machte eine hilflose Gebärde und sagte dann rasch und bittend: »Mein Herr, machen Sie mir doch keine Schwierigkeiten. Es ist jetzt Nacht, und das Mädchen schläft. Ich will Ihnen hier gerne auf dem Sofa ein Bett zurechtmachen. Sehen Sie, jetzt haben Sie einen kleinen Rausch.« Sie versuchte zu lächeln, aber es war Angst in ihrem Lächeln, ich erkannte es wohl. »Schlafen Sie Ihren Rausch aus, und morgen soll Elinor so viel mit Ihnen zusammen sein, wie Sie nur wollen. Sie sind doch ein gebildeter Mann, mein Herr!«
»Sie rufen das Mädchen!«, sagte ich hartnäckig, und als sie wieder dagegenreden wollte: »Nun gut, dann gehe ich selbst zu ihr hinauf!« Ich schob die Wirtin beiseite.
»Ich werde СКАЧАТЬ