Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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»Nee, nee, Sommer«, sagte er dann wohl, »hier heißt’s: ›Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!‹ Wie komme ich dazu, für dich zu sorgen? In was sorgst du denn für mich? Bloß nervös machst du mich.«
Das war auch so ein Punkt, der mich rasend machen konnte: Alles, was ich tat, machte Düstermann nervös. Ich durfte nicht in der Zelle auf und ab gehen; drehte ich mich nachts auf dem Strohsack rum, so schimpfte er über Ruhestörung; wollte ich einmal das kleine Fensterloch öffnen, so schrie er, er verkühle sich die Glatze, und wir mussten weiter in Hitze und Gestank hocken. Er aber erlaubte sich alles. Er fraß sinnlos die Fresspakete auf, die seine Frau zweimal wöchentlich für ihn ablieferte, saß den Tag sechsmal auf dem Kübel, furzte ständig mit einer wahren Wollust und schnarchte nachts so laut und andauernd, dass ich viele Stunden lang wach liegen musste, den trübsten Gedanken ausgeliefert. Wenn ich je einen Menschen aus meines Herzens tiefstem Grunde gehasst habe, so war es Düstermann.
Ich habe mir oft überlegt, wie ein solches Vieh unbeanstandet draußen in der Freiheit hat leben und sogar eine Ehe hat führen können, in der die Frau auch jetzt noch zu ihm hielt. Ich sagte mir dann nach einigem Nachdenken, dass Düstermann draußen wohl einen jener vitalen, genussfreudigen, anscheinend zutraulichen dicken Geschäftsleute gespielt hat, die von den Leuten mit lächelndem Wohlwollen betrachtet werden. Sicher hat er sich nicht so gehen lassen wie bei mir in der Zelle, aber ich war eben auch nur ein Kittchenbruder, und bei mir kam es nicht mehr darauf an. Ich habe in späterer langer Leidenszeit mit sehr viel einfacheren Leuten, als es Düstermann war, zusammengelegen, mit Arbeitern, ja mit Stromern, aber keiner hat sich so gemein gehen, so unverhüllt allen seinen Trieben ihren Lauf gelassen wie dieser Düstermann.
Von Beruf war er nichts als Häuserbesitzer, er war der Sohn eines reichen, längst verstorbenen Vaters, der ihm eine Reihe stattlicher Zinshäuser und andere Liegenschaften hinterlassen hatte. Mit der Verwaltung dieses Grundbesitzes hatte Düstermann bisher sein Leben verbracht. Und bei der Verwaltung dieses Besitzes war ihm dann auch jenes Missgeschick passiert, das ihn in das Gefängnis führte und mir zum Zellengenossen gab. Da er auch draußen sich alles, anderen aber nichts gönnte, und jede Freiheit für sich in Anspruch nahm, hatte er eines seiner Zinshäuser, dessen baufälliger Zustand ihn schon lange geärgert hatte, höchstpersönlich angesteckt, um mit der hohen Versicherungssumme die Neubaukosten zu decken. Bei dem Brande war eine Frau mit ihrem Kinde ums Leben gekommen.
»Das dumme Luder!«, konnte Düstermann wohl schimpfen. »Konnte sie nicht rechtzeitig rauslaufen wie alle anderen?! Aber nein, das dämliche Aas musste ja erst irgendwelchen Dreck in einen Koffer stecken, und dann machte ihr der Rauch die Flucht unmöglich. Was kann ich für die Dummheit von der Ollen?
Der Staatsanwalt will mir natürlich einen Strick daraus drehen! Aber da kennt er Düstermann schlecht. Die besten Anwälte habe ich mir genommen, und geht alles schief, lasse ich mir den § 51 geben, bin geisteskrank und lebe als Rentier in irgendeiner hübschen Klapsmühle.« Seine Schuld an dieser Brandstiftung gab Düstermann ganz offen zu. »Ja, Mensch, wozu soll ich denn lügen? Sie haben mich doch mit der Petroleumkanne in der Hand geschnappt! Da hat Leugnen doch keinen Zweck! Ja, wenn ich in der Lage wie du wäre, würde ich auch leugnen bis zum Verrecken – aber so – bin ich eben geisteskrank!« Er lachte dröhnend.
»Im Grunde«, fuhr er wohl fort und bemitleidete sich dabei selbst, »hat mich bloß meine Gutmütigkeit dazu gebracht. Ich bin eben einfach ein gutmütiger Dussel. Ich konnte es nicht sehen, dass die Leute weiter in einer so baufälligen, verwanzten Baracke hausten. Anständige Wohnungen wollte ich ihnen schaffen – und das habe ich nun von meiner Gutmütigkeit!«
Dieser Düstermann also machte es, dass ich mich freiwillig zur Arbeit meldete, und seines beißenden Hohnes war ich dabei sicher. Wenn ich abends von der Arbeit in die Zelle zurückkam, mit müden Knochen, aber doch friedlicher im Herzen, so begrüßte er mich etwa so: »Da kommt ja der Musterknabe! Na, hast du fleißig gearbeitet? Hast dich bei dem Schwein von Inspektor beliebt gemacht? Du wirst dich schön geschnitten haben! Der Staatsanwalt schickt dich deshalb doch genauso lange ins Kittchen, wie wenn du hier ruhig in der Zelle sitzen bliebest! Solche Arschkriecher wie du verderben das ganze Kittchen. Solche wie du erreichen es noch, dass für uns alle die Arbeit als Pflicht eingeführt wird! Aber warte, ich besorge es dir schon noch!«
Ich hörte kaum noch auf sein Gerede und sprach nie mehr ein Wort mit diesem gemeinen Menschen. Das störte ihn natürlich gar nicht, er hatte eine Rhinozeroshaut und redete ruhig mit mir fort, ich mochte ihm antworten oder nicht.
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Also, ich hatte mich freiwillig zur Arbeit gemeldet. Der Oberwachtmeister Splittstößer gab mir eine ganz neue blaue Jacke der Gefängniskluft heraus, und ich wurde mit zehn oder zwölf anderen auf einen von hohen Mauern umgebenen Gefängnishof geführt, wo Berge von Holz lagen. Auch wir hatten wohl früher das Anmachholz für unsere Zentralheizung, das wir in Klaftern auf der Försterei gekauft hatten, zum Gefängnis fahren und dort zerkleinern lassen. Ich hatte mir nie einen Gedanken darüber gemacht, wer da wohl mein Holz gesägt und gehauen hatte.
Nun stand ich selber alle Tage acht Stunden am Sägebock, mir gegenüber ein vielfach vorbestrafter gewohnheitsmäßiger Einbrecher, Mordhorst mit Namen; gemeinsam zogen wir acht Stunden lang die Säge durch Kiefern-, Buchen- und Eichenholz. Ein Posten ging bei uns auf dem Hof hin und her und passte auf, dass nicht gar zu viel geredet und gar zu wenig gearbeitet wurde – aber nun war ich es, der das Holz für die Bürger meiner Vaterstadt sägte, und diesmal würde der Kaufmann Hölscher, für den wir gerade arbeiteten, auch nicht mit einem Gedanken daran denken, dass es sein langjähriger Kunde Sommer war, der ihm diese Arbeit verrichtete.
Zu Anfang störte es mich noch sehr, dass die vierte Seite des Hofes vom Landgerichtsgebäude begrenzt war, viele Fenster sahen auf mich und meine in blauer Gefängniskluft steckenden sägenden Arme herab, aber in wenigen Tagen war ich daran gewöhnt und drehte kaum den Kopf, wenn Mordhorst flüsterte: »Der Staatsanwalt steht mal wieder am Fenster und will sehen, ob wir uns auch unseren Fraß verdienen. Säg langsamer, Kumpel. Wenn der kiekt, will ich gar nicht arbeiten.«
Mordhorst СКАЧАТЬ