Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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СКАЧАТЬ Fall Wagner.

      Tu­ri­ner Brief vom Mai 1888.

      Ri­den­do di­ce­re se­ver­um…

      Ich hör­te ges­tern – wer­den Sie es glau­ben? – zum zwan­zigs­ten Male Bi­zet’s Meis­ter­stück. Ich harr­te wie­der mit ei­ner sanf­ten An­dacht aus, ich lief wie­der nicht da­von. Die­ser Sieg über mei­ne Un­ge­duld über­rascht mich. Wie ein sol­ches Werk ver­voll­komm­net! Man wird selbst da­bei zum "Meis­ter­stück". – Und wirk­lich schi­en ich mir je­des Mal, dass ich Car­men hör­te, mehr Phi­lo­soph, ein bes­se­rer Phi­lo­soph, als ich sonst mir schei­ne: so lang­müthig ge­wor­den, so glück­lich, so in­disch, so sess­haft … Fünf Stun­den Sit­zen: ers­te Etap­pe der Hei­lig­keit! – Darf ich sa­gen, dass Bi­zet’s Or­che­s­ter­klang fast der ein­zi­ge ist, den ich noch aus­hal­te? Je­ner an­de­re Or­che­s­ter­klang, der jetzt oben­auf ist, der Wa­gne­ri­sche, bru­tal, künst­lich und "un­schul­dig" zu­gleich und da­mit zu den drei Sin­nen der mo­der­nen See­le auf Ein­mal re­dend, – wie nacht­hei­lig ist mir die­ser Wa­gne­ri­sche Or­che­s­ter­klang! Ich heis­se ihn Sci­roc­co. Ein ver­driess­li­cher Sch­weiss bricht an mir aus. Mit mei­nem gu­ten Wet­ter ist es vor­bei.

      Die­se Mu­sik scheint mir voll­kom­men. Sie kommt leicht, bieg­sam, mit Höf­lich­keit da­her. Sie ist lie­bens­wür­dig, sie schwitzt nicht. "Das Gute ist leicht, al­les Gött­li­che läuft auf zar­ten Füs­sen": ers­ter Satz mei­ner Aes­the­tik. Die­se Mu­sik ist böse, raf­fi­nirt, fa­ta­lis­tisch: sie bleibt da­bei po­pu­lär – sie hat das Raf­fi­ne­ment ei­ner Ras­se, nicht ei­nes Ein­zel­nen. Sie ist reich. Sie ist prä­cis. Sie baut, or­ga­ni­sirt, wird fer­tig: da­mit macht sie den Ge­gen­satz zum Po­ly­pen in der Mu­sik, zur "un­end­li­chen Me­lo­die". Hat man je schmerz­haf­te­re tra­gi­sche Ac­cen­te auf der Büh­ne ge­hört? Und wie wer­den die­sel­ben er­reicht! Ohne Gri­mas­se! Ohne Falsch­mün­ze­rei! Ohne die Lüge des gros­sen Stils! – End­lich: die­se Mu­sik nimmt den Zu­hö­rer als in­tel­li­gent, selbst als Mu­si­ker, – sie ist auch da­mit das Ge­gen­stück zu Wa­gner, der, was im­mer sonst, je­den­falls das un­höf­lichs­te Ge­nie der Welt war (Wa­gner nimmt uns gleich­sam als ob – –, er sagt Ein Ding so oft, bis man ver­zwei­felt, – bis man’s glaubt).

      Und noch­mals: ich wer­de ein bes­se­rer Mensch, wenn mir die­ser Bi­zet zu­re­det. Auch ein bes­se­rer Mu­si­kant, ein bes­se­rer Zu­hö­rer. Kann man über­haupt noch bes­ser zu­hö­ren? – Ich ver­gra­be mei­ne Ohren noch un­ter die­se Mu­sik, ich höre de­ren Ur­sa­che. Es scheint mir, dass ich ihre Ent­ste­hung er­le­be – ich zit­te­re vor Ge­fah­ren, die ir­gend ein Wa­g­niss be­glei­ten, ich bin ent­zückt über Glücks­fäl­le, an de­nen Bi­zet un­schul­dig ist. – Und selt­sam! im Grun­de den­ke ich nicht dar­an, oder weiss es nicht, wie sehr ich dar­an den­ke. Denn ganz an­de­re Ge­dan­ken lau­fen mir wäh­rend dem durch den Kopf … Hat man be­merkt, dass die Mu­sik den Geist frei macht? dem Ge­dan­ken Flü­gel giebt? dass man um so mehr Phi­lo­soph wird, je mehr man Mu­si­ker wird? – Der graue Him­mel der Abstrak­ti­on wie von Blit­zen durch­zuckt; das Licht stark ge­nug für al­les Fi­li­gran der Din­ge; die gros­sen Pro­ble­me nahe zum Grei­fen; die Welt wie von ei­nem Ber­ge aus über­blickt. – Ich de­fi­nir­te eben das phi­lo­so­phi­sche Pa­thos. – Und un­ver­se­hens fal­len mir Ant­wor­ten in den Schooss, ein klei­ner Ha­gel von Eis und Weis­heit, von ge­lös­ten Pro­ble­men … Wo bin ich? – Bi­zet macht mich frucht­bar. Al­les Gute macht mich frucht­bar. Ich habe kei­ne and­re Dank­bar­keit, ich habe auch kei­nen an­dern Be­weis da­für, was gut ist. –

      Auch dies Werk er­löst; nicht Wa­gner al­lein ist ein "Er­lö­ser". Mit ihm nimmt man Ab­schied vom feuch­ten Nor­den, von al­lem Was­ser­dampf des Wa­gne­ri­schen Ideals. Schon die Hand­lung er­löst da­von. Sie hat von Mérimée noch die Lo­gik in der Pas­si­on, die kür­zes­te Li­nie, die har­te No­thwen­dig­keit; sie hat vor Al­lem, was zur heis­sen Zone ge­hört, die Tro­cken­heit der Luft, die lim­pi­dez­za in der Luft, Hier ist in je­dem Be­tracht das Kli­ma ver­än­dert. Hier re­det eine and­re Sinn­lich­keit, eine and­re Sen­si­bi­li­tät, eine and­re Hei­ter­keit. Die­se Mu­sik ist hei­ter; aber nicht von ei­ner fran­zö­si­schen oder deut­schen Hei­ter­keit. Ihre Hei­ter­keit ist afri­ka­nisch; sie hat das Ver­häng­niss über sich, ihr Glück ist kurz, Plötz­lich, ohne Par­don. Ich be­nei­de Bi­zet dar­um, dass er den Muth zu die­ser Sen­si­bi­li­tät ge­habt hat, die in der ge­bil­de­ten Mu­sik Eu­ro­pa’s bis­her noch kei­ne Spra­che hat­te, – zu die­ser süd­li­che­ren, bräu­ne­ren, ver­brann­te­ren Sen­si­bi­li­tät … Wie die gel­ben Nach­mit­tage ih­res Glücks uns wohl­thun! Wir bli­cken da­bei hin­aus: sa­hen wir je das Meer glät­ter? – Und wie uns der mau­ri­sche Tanz be­ru­hi­gend zu­re­det! Wie in sei­ner la­s­ci­ven Schwer­muth selbst uns­re Uner­sätt­lich­keit ein­mal Satt­heit lernt! – End­lich die Lie­be, die in die Na­tur zu­rück­über­setz­te Lie­be! Nicht die Lie­be ei­ner "hö­he­ren Jung­frau"! Kei­ne Sen­ta-Sen­ti­men­ta­li­tät! Son­dern die Lie­be als Fa­tum, als Fa­ta­li­tät, cy­nisch, un­schul­dig, grau­sam – und eben dar­in Na­tur! Die Lie­be, die in ih­ren Mit­teln der Krieg, in ih­rem Grun­de der Tod­hass der Ge­schlech­ter ist! – Ich weiss kei­nen Fall, wo der tra­gi­sche Witz, der das We­sen der Lie­be macht, so streng sich aus­drück­te, so schreck­lich zur For­mel wür­de, wie im letz­ten Schrei Don José’s, mit dem das Werk schliesst:

       "Ja! Ich habe sie ge­töd­tet,

       ich – mei­ne an­ge­be­te­te Car­men!"

      – Eine sol­che Auf­fas­sung der Lie­be (die ein­zi­ge, die des Phi­lo­so­phen wür­dig ist –) ist sel­ten: sie hebt ein Kunst­werk un­ter Tau­sen­den her­aus. Denn im Durch­schnitt ma­chen es die Künst­ler wie alle Welt, so­gar schlim­mer – sie miss­ver­ste­hen die Lie­be. Auch Wa­gner hat sie miss­ver­stan­den. Sie glau­ben in ihr selbst­los zu sein, weil sie den Vort­heil ei­nes and­ren We­sens wol­len, oft wi­der ih­ren ei­ge­nen Vort­heil. Aber da­für wol­len sie je­nes and­re We­sen be­sit­zen … So­gar Gott macht hier kei­ne Aus­nah­me. Er ist fer­ne da­von zu den­ken "was geht dich’s an, wenn ich dich lie­be?" – er wird schreck­lich, wenn man ihn nicht wie­der liebt. L’a­mour – mit die­sem Spruch be­hält man un­ter Göt­tern und Men­schen Recht – est de tous les sen­ti­ments le plus égoïs­te, et, par conséquent, lor­s­qu’il est blessé, le moins généreux. (B. Con­stant.)

      Sie se­hen be­reits, wie sehr mich die­se Mu­sik ver­bes­sert? – Il faut mé­di­ter­ra­ni­ser la mu­si­que: ich habe Grün­de zu die­ser For­mel (jen­seits von Gut und Böse, S. 220). Die Rück­kehr zur Na­tur, Ge­sund­heit, Hei­ter­keit, Ju­gend, Tu­gend! – Und doch war ich Ei­ner der cor­rup­tes­ten Wa­gne­ria­ner … Ich war im Stan­de, Wa­gnern ernst zu neh­men … Ah die­ser alte Zau­be­rer! was hat er uns Al­les vor­ge­macht! Das Ers­te, was sei­ne Kunst uns an­bie­tet, ist ein Ver­grös­se­rungs­glas: man sieht hin­ein, man traut sei­nen Au­gen nicht – Al­les wird gross, selbst Wa­gner wird gross … Was für eine klu­ge Klap­per­schlan­ge! Das gan­ze Le­ben hat sie uns von "Hin­ge­bung", von "Treue", von "Rein­heit" vor­ge­klap­pert, СКАЧАТЬ