Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
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Vor Allem aber wirft die Leidenschaft um. – Verstehen wir uns über die Leidenschaft. Nichts ist wohlfeiler als die Leidenschaft! Man kann aller Tugenden des Contrapunktes entrathen, man braucht Nichts gelernt zu haben, – die Leidenschaft kann man immer! Die Schönheit ist schwierig: hüten wir uns vor der Schönheit! … Und gar die Melodie! Verleumden wir, meine Freunde, verleumden wir, wenn anders es uns ernst ist mit dem Ideale, verleumden wir die Melodie! Nichts ist gefährlicher als eine schöne Melodie! Nichts verdirbt sicherer den Geschmack! Wir sind verloren, meine Freunde, wenn man wieder schöne Melodien liebt! …
Grundsatz: die Melodie ist unmoralisch. Beweis: Palestrina. Nutzanwendung: Parsifal. Der Mangel an Melodie heiligt selbst …
Und dies ist die Definition der Leidenschaft. Leidenschaft – oder die Gymnastik des Hässlichen auf dem Seile der Enharmonik. – Wagen wir es, meine Freunde, hässlich zu sein! Wagner hat es gewagt! Wälzen wir unverzagt den Schlamm der widrigsten Harmonien vor uns her! Schonen wir unsre Hände nicht! Erst damit werden wir natürlich…
Einen letzten Rath! Vielleicht fasst er Alles in Eins. – Seien wir Idealisten! – Dies ist, wenn nicht das Klügste, so doch das Weiseste, was wir thun können. Um die Menschen zu erheben, muss man selbst erhaben sein. Wandeln wir über Wolken, haranguiren wir das Unendliche, stellen wir die grossen Symbole um uns herum! Sursum! Bumbum! – es giebt keinen besseren Rath. Der "gehobene Busen" sei unser Argument, das "schöne Gefühl" unser Fürsprecher. Die Tugend behält Recht noch gegen den Contrapunkt. "Wer uns verbessert, wie sollte der nicht selbst gut sein?" so hat die Menschheit immer geschlossen. Verbessern wir also die Menschheit! – damit wird man gut (damit wird man selbst "Klassiker": – Schiller wurde "Klassiker"). Das Haschen nach niederem Sinnesreiz, nach der sogenannten Schönheit hat den Italiäner entnervt: bleiben wir deutsch! Selbst Mozart’s Verhältniss zur Musik – Wagner hat es uns zum Trost gesagt! – war im Grunde frivol … Lassen wir niemals zu, dass die Musik "zur Erholung diene"; dass sie "erheitere"; dass sie "Vergnügen mache". Machen wir nie Vergnügen! – wir sind verloren, wenn man von der Kunst wieder hedonistisch denkt … Das ist schlechtes achtzehntes Jahrhundert … Nichts dagegen dürfte räthlicher sein, bei Seite gesagt, als eine Dosis – Mucker thum, sit venia verbo. Das giebt Würde. – Und wählen wir die Stunde, wo es sich schickt, schwarz zu blicken, öffentlich zu seufzen, christlich zu seufzen, das grosse christliche Mitleiden zur Schau zu stellen. Der Mensch ist verderbt: wer erlöst ihn? "was erlöst ihn?" – Antworten wir nicht. Seien wir vorsichtig. Bekämpfen wir unsern Ehrgeiz, welcher Religionen stiften möchte. Aber Niemand darf zweifeln, dass wir ihn erlösen, dass unsre Musik allein erlöst … (Wagner’s Aufsatz "Religion und Kunst".)
7.
Genug! Genug! Man wird, fürchte ich, zu deutlich nur unter meinen heitern Strichen die sinistre Wirklichkeit wiedererkannt haben – das Bild eines Verfalls der Kunst, eines Verfalls auch der Künstler. Der letztere, ein Charakter-Verfall, käme vielleicht mit dieser Formel zu einem vorläufigen Ausdruck: der Musiker wird jetzt zum Schauspieler, seine Kunst entwickelt sich immer mehr als ein Talent zu lügen. Ich werde eine Gelegenheit haben (in einem Capitel meines Hauptwerks, das den Titel führt "Zur Physiologie der Kunst"), des Näheren zu zeigen, wie diese Gesammtverwandlung der Kunst in’s Schauspielerische eben so bestimmt ein Ausdruck physiologischer Degenerescenz (genauer, eine Form des Hysterismus) ist, wie jede einzelne Verderbniss und Gebrechlichkeit der durch Wagner inaugurirten Kunst: zum Beispiel die Unruhe ihrer Optik, die dazu nöthigt, in jedem Augenblick die Stellung vor ihr zu wechseln. Man versteht Nichts von Wagner, so lange man in ihm nur ein Naturspiel, eine Willkür und Laune, eine Zufälligkeit sieht. Er war kein "lückenhaftes", kein "verunglücktes", kein "contradiktorisches" Genie, wie man wohl gesagt hat. Wagner war etwas Vollkommnes, ein typischer décadent, bei dem jeder "freie Wille" fehlt, jeder Zug Nothwendigkeit hat. Wenn irgend Etwas interessant ist an Wagner, so ist es die Logik, mit der ein physiologischer Missstand als Praktik und Prozedur, als Neuerung in den Principien, als Krisis des Geschmacks Schluss für Schluss, Schritt für Schritt macht.
Ich halte mich dies Mal nur bei der Frage des Stils auf. – Womit kennzeichnet sich jede litterarische décadence? Damit, dass das Leben nicht mehr im Ganzen wohnt. Das Wort wird souverain und springt aus dem Satz hinaus, der Satz greift über und verdunkelt den Sinn der Seite, die Seite gewinnt Leben auf Unkosten des Ganzen – das Ganze ist kein Ganzes mehr. Aber das ist das Gleichniss für jeden Stil der décadence: jedes Mal Anarchie der Atome, Disgregation des Willens, "Freiheit des Individuums", moralisch geredet, – zu einer politischen Theorie erweitert "gleiche Rechte für Alle". Das Leben, die gleiche Lebendigkeit, die Vibration und Exuberanz des Lebens in die kleinsten Gebilde zurückgedrängt, der Rest arm an Leben. überall Lähmung, Mühsal, Erstarrung oder Feindschaft und Chaos: beides immer mehr in die Augen springend, in je höhere Formen der Organisation man aufsteigt. Das Ganze lebt überhaupt nicht mehr: es ist zusammengesetzt, gerechnet, künstlich, ein Artefakt. –
Bei Wagner steht im Anfang die Hallucination: nicht von Tönen, sondern von Gebärden. Zu ihnen sucht er erst die Ton-Semiotik. Will man ihn bewundern, so sehe man ihn hier an der Arbeit: wie er hier trennt, wie er kleine Einheiten gewinnt, wie er diese belebt, heraustreibt, sichtbar macht. Aber daran erschöpft sich seine Kraft: der Rest taugt Nichts. Wie armselig, wie verlegen, wie laienhaft ist seine Art zu "entwickeln", sein Versuch, Das, was nicht auseinander gewachsen ist, wenigstens durcheinander zu stecken! Seine Manieren dabei erinnern an die auch sonst für Wagner’s Stil heranziehbaren fréres de Goncourt: man hat eine Art Erbarmen mit soviel Nothstand. Dass Wagner seine Unfähigkeit zum organischen Gestalten in ein Princip verkleidet hat, dass er einen dramatischen Stil" statuirt, wo wir bloss sein Unvermögen zum Stil überhaupt statuiren, entspricht einer kühnen Gewohnheit, die Wagnern durch’s ganze Leben begleitet hat: er setzt ein Princip an, wo ihm ein Vermögen fehlt (– sehr verschieden hierin, anbei gesagt, vom alten Kant, der eine andre Kühnheit liebte: nämlich überall, wo ihm ein Princip fehlte, ein "Vermögen" dafür im Menschen anzusetzen … ). Nochmals gesagt: bewunderungswürdig, liebenswürdig ist Wagner nur in der Erfindung des Kleinsten, in der Ausdichtung des Details, – man hat alles Recht auf seiner СКАЧАТЬ