Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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СКАЧАТЬ Die »hei­li­ge Lüge« – dem Con­fu­ci­us, dem Ge­setz­buch des Manu, dem Mu­ham­med, der christ­li­chen Kir­che ge­mein­sam –: sie fehlt nicht bei Plu­to, »Die Wahr­heit ist da«: dies be­deu­tet, wo nur es laut wird, der Pries­ter lügt …

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      56.

      – Zu­letzt kommt es dar­auf an, zu wel­chem Zweck ge­lo­gen wird. Daß im Chris­tent­hum die »hei­li­gen« Zwe­cke feh­len, ist mein Ein­wand ge­gen sei­ne Mit­tel, Nur schlech­te Zwe­cke: Ver­gif­tung, Ver­leum­dung, Ver­nei­nung des Le­bens, die Ver­ach­tung des Lei­bes, die Her­ab­wür­di­gung und Selbst­schän­dung des Men­schen durch den Be­griff Sün­de, – folg­lich sind auch sei­ne Mit­tel schlecht. – Ich lese mit ei­nem ent­ge­gen­ge­setz­ten Ge­füh­le das Ge­setz­buch des Manu, ein un­ver­gleich­lich geis­ti­ges und über­le­ge­nes Werk, das mit der Bi­bel auch nur in Ei­nem Athem nen­nen eine Sün­de wi­der den Geist wäre. Man er­räth so­fort: es hat eine wirk­li­che Phi­lo­so­phie hin­ter sich, in sich, nicht bloß ein übel­rie­chen­des Ju­dain von Rab­bi­nis­mus und Aber­glau­ben, – es giebt selbst dem ver­wöhn­tes­ten Psy­cho­lo­gen Et­was zu bei­ßen. Nicht die Haupt­sa­che zu ver­ges­sen, der Grund­un­ter­schied von je­der Art von Bi­bel: die vor­neh­men Stän­de, die Phi­lo­so­phen und die Krie­ger, hal­ten mit ihm ihre Hand über der Men­ge; vor­neh­me Wert­he über­all, ein Voll­kom­men­heits-Ge­fühl, ein Ja­sa­gen zum Le­ben, ein tri­um­phi­ren­des Wohl­ge­fühl an sich und am Le­ben, – die Son­ne liegt auf dem gan­zen Buch. – Alle die Din­ge, an de­nen das Chris­tent­hum sei­ne un­er­gründ­li­che Ge­mein­heit aus­läßt, die Zeu­gung zum Bei­spiel, das Weib, die Ehe, wer­den hier ernst, mit Ehr­furcht, mit Lie­be und Zu­trau­en be­han­delt. Wie kann man ei­gent­lich ein Buch in die Hän­de von Kin­dern und Frau­en le­gen, das je­nes nie­der­träch­ti­ge Wort ent­hält: »um der Hu­re­rei wil­len habe ein Jeg­li­cher sein eig­nes Weib und eine Jeg­li­che ih­ren eig­nen Mann… es ist bes­ser frei­en denn Brunst lei­den«? Und darf man Christ sein, so lan­ge mit dem Be­griff der im­ma­cu­la­ta con­cep­tio die Ent­ste­hung des Men­schen ver­christ­licht, das heißt be­schmutzt ist? … Ich ken­ne kein Buch, wo dem Wei­be so vie­le zar­te und gü­ti­ge Din­ge ge­sagt wür­den, wie im Ge­setz­buch des Manu; die­se al­ten Grau­bär­te und Hei­li­gen ha­ben eine Art, ge­gen Frau­en ar­tig zu sein, die viel­leicht nicht über­trof­fen ist. »Der Mund ei­ner Frau – heißt es ein­mal –, der Bu­sen ei­nes Mäd­chens, das Ge­bet ei­nes Kin­des, der Rauch des Op­fers sind im­mer rein.« Eine and­re Stel­le: »es giebt gar nichts Rei­ne­res als das Licht der Son­ne, den Schat­ten ei­ner Kuh, die Luft, das Was­ser, das Feu­er und den Athem ei­nes Mäd­chens.« Eine letz­te Stel­le – viel­leicht auch eine hei­li­ge Lüge –: »alle Öff­nun­gen des Lei­bes ober­halb des Na­bels sind rein, alle un­ter­halb sind un­rein. Nur beim Mäd­chen ist der gan­ze Kör­per rein.«

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      57.

      Man er­tappt die Un­hei­lig­keit der christ­li­chen Mit­tel in fla­gran­ti, wenn man den christ­li­chen Zweck ein­mal an dem Zweck des Manu-Ge­setz­bu­ches mißt, – wenn man die­sen größ­ten Zweck-Ge­gen­satz un­ter star­kes Licht bringt. Es bleibt dem Kri­ti­ker des Chris­tent­hums nicht er­spart, das Chris­tent­hum ver­ächt­lich zu ma­chen. – Ein sol­ches Ge­setz­buch, wie das des Manu, ent­steht wie je­des gute Ge­setz­buch: es re­sü­mirt die Er­fah­rung, Klug­heit und Ex­pe­ri­men­tal–Moral von lan­gen Jahr­hun­der­ten, es schließt ab, es schafft nichts mehr. Die Voraus­set­zung zu ei­ner Co­di­fi­ca­ti­on sei­ner Art ist die Ein­sicht, daß die Mit­tel, ei­ner lang­sam und kost­spie­lig er­wor­be­nen Wahr­heit Au­to­ri­tät zu schaf­fen, grund­ver­schie­den von de­nen sind, mit de­nen man sie be­wei­sen wür­de. Ein Ge­setz­buch er­zählt nie­mals den Nut­zen, die Grün­de, die Ca­suis­tik in der Vor­ge­schich­te ei­nes Ge­set­zes: eben da­mit wür­de es den im­pe­ra­ti­vi­schen Ton ein­bü­ßen, das »du sollst«, die Voraus­set­zung da­für, daß ge­horcht wird. Das Pro­blem liegt ge­nau hier­in. – An ei­nem ge­wis­sen Punk­te der Ent­wick­lung ei­nes Volks er­klärt die ein­sich­tigs­te, das heißt rück- und hin­aus­bli­ckends­te Schicht des­sel­ben, die Er­fah­rung, nach der ge­lebt wer­den soll – das heißt kann –, für ab­ge­schlos­sen, Ihr Ziel geht da­hin, die Ern­te mög­lichst reich und voll­stän­dig von den Zei­ten des Ex­pe­ri­ments und der schlim­men Er­fah­rung heim­zu­brin­gen. Was folg­lich vor Al­lem jetzt zu ver­hü­ten ist, das ist das Noch–For­t–Ex­pe­ri­men­ti­ren, die Fort­dau­er des flüs­si­gen Zu­stands der Wert­he, das Prü­fen, Wäh­len, Kri­tik-Üben der Wert­he in in­fi­ni­tum. Dem stellt man eine dop­pel­te Mau­er ent­ge­gen: ein­mal die Of­fen­ba­rung, das ist die Be­haup­tung, die Ver­nunft je­ner Ge­set­ze sei nicht mensch­li­cher Her­kunft, nicht lang­sam und un­ter Fehl­grif­fen ge­sucht und ge­fun­den, son­dern, als gött­li­chen Ur­sprungs, ganz, voll­kom­men, ohne Ge­schich­te, ein Ge­schenk, ein Wun­der, bloß mit­get­heilt … So­dann die Tra­di­ti­on, das ist die Be­haup­tung, daß das Ge­setz be­reits seit ur­al­ten Zei­ten be­stan­den habe, daß es pie­tät­los, ein Ver­bre­chen an den Vor­fah­ren sei, es in Zwei­fel zu ziehn. Die Au­to­ri­tät des Ge­set­zes be­grün­det sich mit den The­sen: Gott gab es, die Vor­fah­ren leb­ten es. – Die hö­he­re Ver­nunft ei­ner sol­chen Pro­ce­dur liegt in der Ab­sicht, das Be­wußt­sein Schritt für Schritt von dem als rich­tig er­kann­ten (das heißt durch eine un­ge­heu­re und scharf durch­ge­sieb­te Er­fah­rung be­wie­se­nen) Le­ben zu­rück­zu­drän­gen: so­daß der voll­komm­ne Au­to­ma­tis­mus des In­stinkts er­reicht wird, – die­se Voraus­set­zung zu je­der Art Meis­ter­schaft, zu je­der Art Voll­kom­men­heit in der Kunst des Le­bens. Ein Ge­setz­buch nach Art des Manu auf­stel­len heißt ei­nem Vol­ke für­der­hin zu­ge­stehn, Meis­ter zu wer­den, voll­kom­men zu wer­den, – die höchs­te Kunst des Le­bens zu am­bi­tio­ni­ren. Dazu muß es un­be­wußt ge­macht wer­den: dies der Zweck je­der hei­li­gen Lüge. – Die Ord­nung der Kas­ten, das obers­te, das do­mi­ni­ren­de Ge­setz, ist nur die Sank­ti­on ei­ner Na­tur-Ord­nung, Na­tur-Ge­setz­lich­keit ers­ten Ran­ges, über die kei­ne Will­kür, kei­ne »mo­der­ne Idee« Ge­walt hat. Es tre­ten in je­der ge­sun­den Ge­sell­schaft, sich ge­gen­sei­tig be­din­gend, drei phy­sio­lo­gisch ver­schie­den-gra­vi­ti­ren­de Ty­pen aus­ein­an­der, von de­nen je­der sei­ne eig­ne Hy­gie­ne, sein eig­nes Reich von Ar­beit, sei­ne eig­ne Art Voll­kom­men­heits-Ge­fühl und Meis­ter­schaft hat. Die Na­tur, nicht Manu, trennt die vor­wie­gend Geis­ti­gen, die vor­wie­gend Mus­kel- und Tem­pe­ra­ments-Star­ken und die we­der im Ei­nen, noch im An­dern aus­ge­zeich­ne­ten Drit­ten, die Mit­tel­mä­ßi­gen, von ein­an­der ab, – die letz­te­ren als die große Zahl, die ers­te­ren als die Aus­wahl. Die obers­te Kas­te – ich nen­ne sie die We­nigs­ten – hat als die voll­komm­ne auch die Vor­rech­te der We­nigs­ten: dazu ge­hört es, das Glück, die Schön­heit, die Güte auf Er­den dar­zu­stel­len. Nur die geis­tigs­ten Men­schen ha­ben die Er­laub­niß zur Schön­heit, zum Schö­nen: nur bei ih­nen ist Güte nicht Schwä­che. Pulchrum est pau­corum ho­mi­num: das Gute ist ein Vor­recht. Nichts kann ih­nen da­ge­gen we­ni­ger zu­ge­stan­den wer­den, als häß­li­che Ma­nie­ren oder ein pes­si­mis­ti­scher Blick, ein Auge, das ver­häß­licht –, oder gar eine Ent­rüs­tung über den Ge­sammt-Aspekt der Din­ge. Die Ent­rüs­tung ist das Vor­recht der Tschan­da­la; der Pes­si­mis­mus СКАЧАТЬ