Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
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8.
– Sehr gut! Aber wie kann man seinen Geschmack an diesen décadent verlieren, wenn man nicht zufällig ein Musiker, wenn man nicht zufällig selbst ein décadent ist?" – Umgekehrt! Wie kann man’s nicht! Versuchen Sie’s doch! – Sie wissen nicht, wer Wagner ist: ein ganz grosser Schauspieler! Giebt es überhaupt eine tiefere, eine schwerere Wirkung im Theater? Sehen Sie doch diese Jünglinge – erstarrt, blass, athemlos! Das sind Wagnerianer: das versteht Nichts von Musik, – und trotzdem wird Wagner über sie Herr … Wagner’s Kunst drückt mit hundert Atmosphären: bücken Sie sich nur, man kann nicht anders … Der Schauspieler Wagner ist ein Tyrann, sein Pathos wirft jeden Geschmack, jeden Widerstand über den Haufen. – Wer hat diese Überzeugungskraft der Gebärde, wer sieht so bestimmt, so zu allererst die Gebärde! Dies Athem-Anhalten des Wagnerischen Pathos, dies Nicht-mehr-loslassen-Wollen eines extremen Gefühls, diese Schrecken einflössende Länge in Zuständen, wo der Augenblick schon erwürgen will! – –
War Wagner überhaupt ein Musiker? jedenfalls war er etwas Anderes mehr: nämlich ein unvergleichlicher Histrio, der grösste Mime, das erstaunlichste Theater-Genie, das die Deutschen gehabt haben, unser Sceniker par excellence. Er gehört wo andershin als in die Geschichte der Musik: mit deren grossen Echten soll man ihn nicht verwechseln. Wagner und Beethoven – das ist eine Blasphemie – und zuletzt ein Unrecht selbst gegen Wagner … Er war auch als Musiker nur Das, was er überhaupt war: er wurde Musiker, er wurde Dichter, weil der Tyrann in ihm, sein Schauspieler-Genie ihn dazu zwang. Man erräth Nichts von Wagner, so lange man nicht seinen dominirenden Instinkt errieth.
Wagner war nicht Musiker von Instinkt. Dies bewies er damit, dass er alle Gesetzlichkeit und, bestimmter geredet, allen Stil in der Musik preisgab, um aus ihr zu machen, was er nöthig hatte, eine Theater-Rhetorik, ein Mittel des Ausdrucks, der Gebärden-Verstärkung, der Suggestion, des Psychologisch-Pittoresken. Wagner dürfte uns hier als Erfinder und Neuerer ersten Ranges gelten – er hat das Sprachvermögen der Musik in’s Unermessliche vermehrt –: er ist der Victor Hugo der Musik als Sprache. Immer vorausgesetzt, dass man zuerst gelten lässt, Musik dürfe unter Umständen nicht Musik, sondern Sprache, sondern Werkzeug, sondern ancilla dramaturgica sein. Wagner’s Musik, nicht vom Theater-Geschmacke, einem sehr toleranten Geschmacke, in Schutz genommen, ist einfach schlechte Musik, die schlechteste überhaupt, die vielleicht gemacht worden ist. Wenn ein Musiker nicht mehr bis drei zählen kann, wird er "dramatisch", wird er "Wagnerisch" …
Wagner hat beinahe entdeckt, welche Magie selbst noch mit einer aufgelösten und gleichsam elementarisch gemachten Musik ausgeübt werden kann. Sein Bewusstsein davon geht bis in’s Unheimliche, wie sein Instinkt, die höhere Gesetzlichkeit, den Stil gar nicht nöthig zu haben. Das Elementarische genügt – Klang, Bewegung, Farbe, kurz die Sinnlichkeit der Musik. Wagner rechnet nie als Musiker, von irgend einem Musiker-Gewissen aus: er will die Wirkung, er will Nichts als die Wirkung. Und er kennt das, worauf er zu wirken hat! – Er hat darin die Unbedenklichkeit, die Schiller hatte, die jeder Theatermensch hat, er hat auch dessen Verachtung der Welt, die er sich zu Füssen legt! … Man ist Schauspieler damit, dass man Eine Einsicht vor dem Rest der Menschen voraus hat: was als wahr wirken soll, darf nicht wahr sein. Der Satz ist von Talma formulirt: er enthält die ganze Psychologie des Schauspielers, er enthält – zweifeln wir nicht daran! – auch dessen Moral. Wagner’s Musik ist niemals wahr.
– Aber man hält sie dafür: und so ist es in Ordnung. –
So lang man noch kindlich ist und Wagnerianer dazu, hält man Wagner selbst für reich, selbst für einen Ausbund von Verschwender, selbst für einen Grossgrundbesitzer im Reich des Klangs. Man bewundert an ihm, was junge Franzosen an Victor Hugo bewundern, die "königliche Freigebigkeit". Später bewundert man den Einen wie den Andern aus umgekehrten Gründen: als Meister und Muster der Oekonomie, als kluge Gastgeber. Niemand kommt ihnen darin gleich, mit bescheidenem Aufwand eine fürstliche Tafel zu repräsentiren. – Der Wagnerianer, mit seinem gläubigen Magen, wird sogar satt bei der Kost, die ihm sein Meister vorzaubert. Wir Anderen, die wir in Büchern wie in Musik vor Allem Substanzverlangen und denen mit bloss "repräsentirten" Tafeln kaum gedient ist, sind viel schlimmer dran. Auf deutsch: Wagner giebt uns nicht genug zu beissen. Sein recitativo – wenig Fleisch, schon mehr Knochen und sehr viel Brühe – ist von mir "alla genovese" getauft: womit ich durchaus den Genuesen nicht geschmeichelt haben will, wohl aber dem älteren recitativo, dem recitativo secco. Was gar das Wagnerische "Leitmotiv" betrifft, so fehlt mir dafür alles kulinarische Verständniss. Ich würde es, wenn man mich drängt, vielleicht als idealen Zahnstocher gelten lassen, als Gelegenheit, Reste von Speisen los zu werden. Bleiben die "Arien" Wagner’s – Und nun sage ich kein Wort mehr.
9.
Auch im Entwerfen der Handlung ist Wagner vor Allem Schauspieler. Was zuerst ihm aufgeht, ist eine Scene von unbedingt sichrer Wirkung, eine wirkliche Actio1 mit einem hautrelief der Gebärde, eine Scene, die umwirft – diese denkt er in die Tiefe, aus ihr zieht er erst die Charaktere. Der ganze Rest folgt daraus, einer technischen Ökonomik gemäss, die keine Gründe hat, subtil zu sein. Es ist nicht das Publikum Corneille’s, das Wagner zu schonen hat: blosses neunzehntes Jahrhundert. Wagner würde über "das Eine, was noth thut" ungefähr urtheilen, wie jeder andre Schauspieler heute urtheilt: eine Reihe starker Scenen, eine stärker als die andre – und, dazwischen, viel kluge Stupidität. Er sucht sich selbst zuerst die Wirkung seines Werkes zu garantiren, er beginnt mit dem dritten Akte, er beweist sich sein Werk СКАЧАТЬ