Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
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52.
Das Christenthum steht auch im Gegensatz zu aller geistigen Wohlgerathenheit, – es kann nur die kranke Vernunft als christliche Vernunft brauchen, es nimmt die Partei alles Idiotischen, es spricht den Fluch aus gegen den »Geist«, gegen die superbiades gesunden Geistes. Weil die Krankheit zum Wesen des Christenthums gehört, muß auch der typisch-christliche Zustand, »der Glaube«, eine Krankheitsform sein, müssen alle geraden, rechtschaffnen, wissenschaftlichen Wege zur Erkenntnis von der Kirche als verbotene Wege abgelehnt werden. Der Zweifel bereits ist eine Sünde … Der vollkommne Mangel an psychologischer Reinlichkeit beim Priester – im Blick sich verrathend – ist eine Folgeerscheinung der décadence– man hat die hysterischen Frauenzimmer, andrerseits rhachitisch angelegte Kinder darauf hin zu beobachten, wie regelmäßig Falschheit aus Instinkt, Lust zu lügen, um zu lügen, Unfähigkeit zu geraden Blicken und Schritten der Ausdruck von décadence ist. »Glaube« heißt Nicht-wissen- wollen, was wahr ist. Der Pietist, der Priester beiderlei Geschlechts, ist falsch, weil er krank ist: sein Instinkt verlangt, daß die Wahrheit an keinem Punkt zu Rechte kommt. »Was krank macht, ist gut; was aus der Fülle, aus dem Überfluß, aus der Macht kommt, ist böse«: so empfindet der Gläubige. Die Unfreiheit zur Lüge – daran errathe ich jeden vorherbestimmten Theologen. – Ein andres Abzeichen des Theologen ist sein Unvermögen zur Philologie. Unter Philologie soll hier, in einem sehr allgemeinen Sinne, die Kunst, gut zu lesen, verstanden werden, – Thatsachen ablesen können, ohne sie durch Interpretation zu fälschen, ohne im Verlangen nach Verständniß die Vorsicht, die Geduld, die Feinheit zu verlieren. Philologie als Ephexis in der Interpretation: handle es sich nun um Bücher, um Zeitungs-Neuigkeiten, um Schicksale oder Wetter-Thatsachen, – nicht zu reden vom »Heil der Seele« … Die Art, wie ein Theolog, gleichgültig ob in Berlin oder in Rom, ein »Schriftwort« auslegt oder ein Erlebniß, einen Sieg des vaterländischen Heers zum Beispiel unter der höheren Beleuchtung der Psalmen David’s, ist immer dergestalt kühn, daß ein Philolog dabei an allen Wänden emporläuft. Und was soll er gar anfangen, wenn Pietisten und andre Kühe aus dem Schwabenlande den armseligen Alltag und Stubenrauch ihres Daseins mit dem »Finger Gottes« zu einem Wunder von »Gnade«, von »Vorsehung«, von »Heilserfahrungen« zurecht machen! Der bescheidenste Aufwand von Geist, um nicht zu sagen von Anstand, mußte diese Interpreten doch dazu bringen, sich des vollkommen Kindischen und Unwürdigen eines solchen Mißbrauchs der göttlichen Fingerfertigkeit zu überführen. Mit einem noch so kleinen Maaße von Frömmigkeit im Leibe sollte uns ein Gott, der zur rechten Zeit vom Schnupfen curirt, oder der uns in einem Augenblick in die Kutsche steigen heißt, wo gerade ein großer Regen losbricht, ein so absurder Gott sein, daß man ihn abschaffen müßte, selbst wenn er existirte. Ein Gott als Dienstbote, als Briefträger, als Kalendermann, – im Grunde ein Wort für die dümmste Art aller Zufälle … Die »göttliche Vorsehung«, wie sie heute noch ungefähr jeder dritte Mensch im »gebildeten Deutschland« glaubt, wäre ein Einwand gegen Gott, wie er stärker gar nicht gedacht werden konnte. Und in jedem Fall ist er ein Einwand gegen Deutsche! …
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53.
– Daß Märtyrer Etwas für die Wahrheit einer Sache beweisen, ist so wenig wahr, daß ich leugnen möchte, es habe je ein Märtyrer überhaupt Etwas mit der Wahrheit zu thun gehabt. In dem Tone, mit dem ein Märtyrer sein Für-wahr-halten der Welt an den Kopf wirft, drückt sich bereits ein so niedriger Grad intellektueller Rechtschaffenheit, eine solche Stumpfheit für die Frage »Wahrheit« aus, daß man einen Märtyrer nie zu widerlegen braucht. Die Wahrheit ist Nichts, was Einer hätte und ein Andrer nicht hätte: so können höchstens Bauern oder Bauern-Apostel nach Art Luther’s über die Wahrheit denken. Man darf sicher sein, daß je nach dem Grade der Gewissenhaftigkeit in Dingen des Geistes die Bescheidenheit, die Bescheidung in diesem Punkte immer größer wird. In fünf Sachen wissen, und mit zarter Hand es ablehnen, sonst zu wissen … »Wahrheit«, wie das Wort jeder Prophet, jeder Sektirer, jeder Freigeist, jeder Socialist, jeder Kirchenmann versteht, ist ein vollkommner Beweis dafür, daß auch noch nicht einmal der Anfang mit jener Zucht des Geistes und Selbstüberwindung gemacht ist, die zum Finden irgend einer kleinen, noch so kleinen Wahrheit noch thut. – Die Märtyrer-Tode, anbei gesagt, sind ein großes Unglück in der Geschichte gewesen: sie verführten … Der Schluß aller Idioten, Weib und Voll eingerechnet, daß es mit einer Sache, für die Jemand in den Tod geht (oder die gar, wie das erste Christenthum, todsüchtige Epidemien erzeugt), Etwas auf sich habe, – dieser Schluß ist der Prüfung, dem Geist der Prüfung und Vorsicht unsäglich zum Hemmschuh geworden. Die Märtyrer schadeten der Wahrheit … Auch heute noch bedarf es nur einer Crudität der Verfolgung, um einer an sich noch so gleichgültigen Sektirerei einen ehrenhaften СКАЧАТЬ