Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше страница 179

СКАЧАТЬ al­ler Art Ver­leum­dung und Hohn, – sein Ver­hal­ten am Kreuz. Er wi­der­steht nicht, er vert­hei­digt nicht sein Recht, er thut kei­nen Schritt, der das Äu­ßers­te von ihm ab­wehrt, mehr noch, er for­dert es her­aus… Und er bit­tet, er lei­det, er liebt mit De­nen, in De­nen, die ihm Bö­ses thun… Nicht sich weh­ren, nicht zür­nen, nicht ver­ant­wort­lich-ma­chen … Son­dern auch nicht dem Bö­sen wi­der­ste­hen, – ihn lie­ben…

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      36.

      – Erst wir, wir frei­ge­wor­de­nen Geis­ter, ha­ben die Voraus­set­zung da­für, Et­was zu ver­stehn, das neun­zehn Jahr­hun­der­te miß­ver­stan­den ha­ben, – jene In­stinkt und Lei­den­schaft ge­wor­de­ne Recht­schaf­fen­heit, wel­che der »hei­li­gen Lüge« noch mehr als je­der an­dern Lüge den Krieg macht… Man war un­säg­lich ent­fernt von uns­rer lie­be­vol­len und vor­sich­ti­gen Neu­tra­li­tät, von je­ner Zucht des Geis­tes, mit der al­lein das Er­rat­hen so frem­der, so zar­ter Din­ge er­mög­licht wird: man woll­te je­der­zeit, mit ei­ner un­ver­schäm­ten Selbst­sucht, nur sei­nen Vort­heil dar­in, man hat aus dem Ge­gen­satz zum Evan­ge­li­um die Kir­che auf­ge­baut…

      Wer nach Zei­chen da­für such­te, daß hin­ter dem großen Wel­ten-Spiel eine iro­ni­sche Gött­lich­keit die Fin­ger hand­ha­be, er fän­de kei­nen klei­nen An­halt in dem un­ge­heu­ren Fra­ge­zei­chen, das Chris­ten­tum heißt. Daß die Mensch­heit vor dem Ge­gen­satz Des­sen auf den Kni­en liegt, was der Ur­sprung, der Sinn, das Recht des Evan­ge­li­ums war, daß sie in dem Be­griff »Kir­che« ge­ra­de Das hei­lig ge­spro­chen hat, was der »fro­he Bot­schaf­ter« als un­ter sich, als hin­ter sich emp­fand – man sucht ver­ge­bens nach ei­ner grö­ße­ren Form wel­this­to­ri­scher Iro­nie – –

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      37.

      – Un­ser Zeit­al­ter ist stolz auf sei­nen his­to­ri­schen Sinn: wie hat es sich den Un­sinn glaub­lich ma­chen kön­nen, daß an dem An­fan­ge des Chris­ten­tums die gro­be Wun­dert­hä­ter- und Er­lö­ser-Fa­bel steht, – und daß al­les Spi­ri­tua­le und Sym­bo­li­sche erst eine spä­te­re Ent­wick­lung ist? Um­ge­kehrt: die Ge­schich­te des Chris­ten­tums – und zwar vom Tode am Kreu­ze an – ist die Ge­schich­te des schritt­wei­se im­mer grö­be­ren Miß­ver­stehns ei­nes ur­sprüng­li­chen Sym­bo­lis­mus. Mit je­der Aus­brei­tung des Chris­ten­tums über noch brei­te­re, noch ro­he­re Mas­sen, de­nen die Voraus­set­zun­gen im­mer mehr ab­gien­gen, aus de­nen es ge­bo­ren ist, wur­de es nö­thi­ger, das Chris­ten­tum zu vul­ga­ri­si­ren, zu bar­ba­ri­si­ren, – es hat Leh­ren und Ri­ten al­ler un­ter­ir­di­schen Cul­te des im­pe­ri­um Ro­ma­num, es hat den Un­sinn al­ler Ar­ten kran­ker Ver­nunft in sich ein­ge­schluckt. Das Schick­sal des Chris­tent­hums liegt in der No­thwen­dig­keit, daß sein Glau­be selbst so krank, so nied­rig und vul­gär wer­den muß­te, als die Be­dürf­nis­se krank, nied­rig und vul­gär wa­ren, die mit ihm be­frie­digt wer­den soll­ten. Als Kir­che sum­mirt sich end­lich die kran­ke Bar­ba­rei selbst zur Macht, – die Kir­che, die­se Tod­feind­schafts­form zu je­der Recht­schaf­fen­heit, zu je­der Höhe der See­le, zu je­der Zucht des Geis­tes, zu je­der frei­müthi­gen und gü­ti­gen Men­sch­lich­keit. – Die christ­li­chen – die vor­neh­men Wert­he: erst wir, wir frei­ge­w­ord­nen Geis­ter, ha­ben die­sen größ­ten Werth-Ge­gen­satz, den es giebt, wie­der­her­ge­stellt! – –

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      38.

      – Ich un­ter­drücke an die­ser Stel­le einen Seuf­zer nicht. Es giebt Tage, wo mich ein Ge­fühl heim­sucht, schwär­zer als die schwär­zes­te Me­lan­cho­lie – die Men­schen-Ver­ach­tung. Und da­mit ich kei­nen Zwei­fel dar­über las­se, was ich ver­ach­te, wen ich ver­ach­te: der Mensch von Heu­te ist es, der Mensch, mit dem ich ver­häng­niß­voll gleich­zei­tig bin. Der Mensch von Heu­te – ich er­sti­cke an sei­nem un­rei­nen Athem… Ge­gen das Ver­gang­ne bin ich, gleich al­len Er­ken­nen­den, von ei­ner großen To­le­ranz, das heißt groß­müthi­gen Selbst­be­zwin­gung: ich gehe durch die Ir­ren­haus-Welt gan­zer Jahr­tau­sen­de, hei­ße sie nun »Chris­tent­hum«, »christ­li­cher Glau­be«, »christ­li­che Kir­che«, mit ei­ner düs­te­ren Vor­sicht hin­durch, – ich hüte mich, die Mensch­heit für ihre Geis­tes­krank­hei­ten ver­ant­wort­lich zu ma­chen. Aber mein Ge­fühl schlägt um, bricht her­aus, so­bald ich in die neue­re Zeit, in uns­re Zeit ein­tre­te. Uns­re Zeit ist wis­sen­d… Was ehe­mals bloß krank war, heu­te ward es un­an­stän­dig, – es ist un­an­stän­dig, heu­te Christ zu sein. Und hier be­ginnt mein Ekel. – Ich sehe mich um: es ist kein Wort von Dem mehr üb­rig ge­blie­ben, was ehe­mals »Wahr­heit« hieß, wir hal­ten es nicht mehr aus, wenn ein Pries­ter das Wort »Wahr­heit« auch nur in den Mund nimmt. Selbst bei dem be­schei­dens­ten An­spruch auf Recht­schaf­fen­heit muß man heu­te wis­sen, daß ein Theo­lo­ge, ein Pries­ter, ein Papst mit je­dem Satz, den er spricht, nicht nur irrt, son­dern lügt, – daß es ihm nicht mehr frei­steht, aus »Un­schuld«, aus »Un­wis­sen­heit« zu lü­gen. Auch der Pries­ter weiß, so gut es Je­der­mann weiß, daß es kei­nen »Gott« mehr giebt, kei­nen »Sün­der«, kei­nen »Er­lö­ser«, – daß »frei­er Wil­le«, »sitt­li­che Wel­t­ord­nung« Lü­gen sind: – der Ernst, die tie­fe Selb­st­über­win­dung des Geis­tes er­laubt Nie­man­dem mehr, hier­über nicht zu wis­sen… Alle Be­grif­fe der Kir­che sind er­kannt als Das, was sie sind, als die bös­ar­tigs­te Falsch­mün­ze­rei, die es giebt, zum Zweck, die Na­tur, die Na­tur-Wert­he zu ent­wert­hen; der Pries­ter selbst ist er­kannt als Das, was er ist, als die ge­fähr­lichs­te Art Pa­ra­sit, als die ei­gent­li­che Gift­spin­ne des Le­bens… Wir wis­sen, un­ser Ge­wis­sen weiß es heu­te –, was über­haupt jene un­heim­li­chen Er­fin­dun­gen der Pries­ter und der Kir­che werth sind, wozu sie dienten, mit de­nen je­ner Zu­stand von Selbst­schän­dung der Mensch­heit er­reicht wor­den ist, der Ekel vor ih­rem An­blick ma­chen kann – die Be­grif­fe »Jen­seits«, »jüngs­tes Ge­richt«, »Uns­terb­lich­keit der See­le«, die »See­le« selbst: es sind Fol­ter-In­stru­men­te, es sind Sys­te­me von Grau­sam­kei­ten, ver­mö­ge de­ren der Pries­ter Herr wur­de, Herr blie­b… Je­der­mann weiß das: und trotz­dem bleibt Al­les beim Al­ten. Wo­hin kam das letz­te Ge­fühl von An­stand, von Ach­tung vor sich selbst, wenn uns­re Staats­män­ner so­gar, eine sonst sehr un­be­fang­ne Art Mensch und An­ti­chris­ten der That durch und durch, sich heu­te noch Chris­ten nen­nen und zum Abend­mahl gehn?… Ein jun­ger Fürst an der Spit­ze sei­ner Re­gi­men­ter, pracht­voll als Aus­druck der Selbst­sucht und Selb­st­über­he­bung sei­nes Volks, – aber, ohne jede Scham, sich als Chris­ten be­ken­nend!… Wen ver­neint denn das Chris­ten­tum? was heißt es »Welt«? Daß man Sol­dat, daß man Rich­ter, daß man Pa­tri­ot ist; daß man sich wehrt; daß man auf sei­ne Ehre hält; daß man sei­nen Vort­heil will; daß man stolz ist… Jede Prak­tik je­des Au­gen­blicks, je­der In­stinkt, jede zur That wer­den­de Wert­schät­zung ist heu­te an­ti­christ­lich: was für eine Miß­ge­burt von Falsch­heit muß der mo­der­ne Mensch sein, daß er sich trotz­dem nicht schämt, Christ noch zu hei­ßen! – – –

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      39.

      – Ich keh­re zu­rück, ich er­zäh­le die ech­te Ge­schich­te des Chris­tent­hums. – СКАЧАТЬ