Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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СКАЧАТЬ die Psy­cho­lo­gie je­des großen Er­eig­nis­ses auf die Idio­ten-For­mel »Ge­hor­sam oder Un­ge­hor­sam ge­gen Gott« ver­ein­facht. – Ein Schritt wei­ter: der »Wil­le Got­tes« (das heißt die Er­hal­tungs-Be­din­gun­gen für die Macht des Pries­ters) muß be­kannt sein, – zu die­sem Zwe­cke be­darf es ei­ner »Of­fen­ba­rung«. Auf deutsch: eine große lit­te­ra­ri­sche Fäl­schung wird nö­thig, eine »hei­li­ge Schrift« wird ent­deckt, – un­ter al­lem hie­ra­ti­schen Pomp, mit Buß­ta­gen und Jam­mer­ge­schrei über die lan­ge »Sün­de« wird sie öf­fent­lich ge­macht. Der »Wil­le Got­tes« stand längst fest: das gan­ze Un­heil liegt dar­in, daß man sich der »hei­li­gen Schrift« ent­frem­det hat … Mo­ses schon war der »Wil­le Got­tes« of­fen­bart … Was war ge­schehn? Der Pries­ter hat­te, mit Stren­ge, mit Pe­dan­te­rie, bis auf die großen und klei­nen Steu­ern, die man ihm zu zah­len hat­te (– die schmack­haf­tes­ten Stücke vom Fleisch nicht zu ver­ges­sen: denn der Pries­ter ist ein Beefs­teak-Fres­ser), ein für alle Mal for­mu­lirt, was er ha­ben will, »was der Wil­le Got­tes ist« … Von nun an sind alle Din­ge des Le­bens so ge­ord­net, daß der Pries­ter über­all un­ent­behr­lich ist; in al­len na­tür­li­chen Vor­komm­nis­sen des Le­bens, bei der Ge­burt, der Ehe, der Krank­heit, dem Tode, gar nicht vom »Op­fer« (der Mahl­zeit) zu re­den, er­scheint der hei­li­ge Pa­ra­sit, um sie zu ent­na­tür­li­chen, – in sei­ner Spra­che: zu »hei­li­gen« … Denn dies muß man be­grei­fen: jede na­tür­li­che Sit­te, jede na­tür­li­che In­sti­tu­ti­on (Staat, Ge­richts­ord­nung, Ehe, Kran­ken- und Ar­men­pfle­ge), jede vom In­stinkt des Le­bens ein­ge­geb­ne For­de­rung, kurz Al­les, was sei­nen Werth in sich hat, wird durch den Pa­ra­si­tis­mus des Pries­ters (oder der »sitt­li­chen Wel­t­ord­nung«) grund­sätz­lich wert­h­los, werth- wid­rig ge­macht: es be­darf nach­träg­lich ei­ner Sank­ti­on, – eine wert­h­ver­lei­hen­de Macht thut noth, wel­che die Na­tur dar­in ver­neint, wel­che eben da­mit erst einen Werth schafft … Der Pries­ter ent­wert­het, ent­hei­ligt die Na­tur: um die­sen Preis be­steht er über­haupt. – Der Un­ge­hor­sam ge­gen Gott, das heißt ge­gen den Pries­ter, ge­gen »das Ge­setz«, be­kommt nun den Na­men »Sün­de«; die Mit­tel, sich wie­der »mit Gott zu ver­söh­nen«, sind, wie bil­lig, Mit­tel, mit de­nen die Un­ter­wer­fung un­ter den Pries­ter nur noch gründ­li­cher ge­währ­leis­tet ist: der Pries­ter al­lein »er­löst« … Psy­cho­lo­gisch nach­ge­rech­net, wer­den in je­der pries­ter­lich or­ga­ni­sir­ten Ge­sell­schaft die »Sün­den« un­ent­behr­lich: sie sind die ei­gent­li­chen Hand­ha­ben der Macht, der Pries­ter lebt von den Sün­den, er hat nö­thig, daß »ge­sün­digt« wird … Obers­ter Satz: »Gott ver­giebt Dem, der Buße thut« – auf deutsch: der sich dem Pries­ter un­ter­wirft. –

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      27.

      Auf ei­nem der­ge­stalt falschen Bo­den, wo jede Na­tur, je­der Na­tur­werth, jede Rea­li­tät die tiefs­ten In­stink­te der herr­schen­den Klas­se wi­der sich hat­te, wuchs das Chris­tent­hum auf, eine Tod­feind­schafts-Form ge­gen die Rea­li­tät, die bis­her nicht über­trof­fen wor­den ist. Das »hei­li­ge Volk«, das für alle Din­ge nur Pries­ter-Wert­he, nur Pries­ter-Wor­te üb­rig be­hal­ten hat­te und mit ei­ner Schluß-Fol­ge­rich­tig­keit, die Furcht ein­flö­ßen kann, Al­les, was sonst noch an Macht auf Er­den be­stand, als »un­hei­lig«, als »Welt«, als »Sün­de« von sich ab­ge­trennt hat­te, – dies Volk brach­te für sei­nen In­stinkt eine letz­te For­mel her­vor, die lo­gisch war bis zur Selbst­ver­nei­nung: es ver­nein­te, als Chris­tent­hum, noch die letz­te Form der Rea­li­tät, das »hei­li­ge Volk«, das »Volk der Aus­ge­wähl­ten«, die jü­di­sche Rea­li­tät selbst. Der Fall ist ers­ten Rangs: die klei­ne auf­stän­di­sche Be­we­gung, die auf den Na­men des Je­sus von Na­za­reth ge­tauft wird, ist der jü­di­sche In­stinkt noch ein­mal, – an­ders ge­sagt, der Pries­ter-In­stinkt, der den Pries­ter als Rea­li­tät nicht mehr ver­trägt, die Er­fin­dung ei­ner noch ab­ge­zo­gne­ren Da­seins­form, ei­ner noch un­rea­le­ren Vi­si­on der Welt, als sie die Or­ga­ni­sa­ti­on ei­ner Kir­che be­dingt. Das Chris­tent­hum ver­neint die Kir­che …

      Ich sehe nicht ab, wo­ge­gen der Auf­stand ge­rich­tet war, als des­sen Ur­he­ber Je­sus ver­stan­den oder miß­ver­stan­den wor­den ist, wenn es nicht der Auf­stand ge­gen die jü­di­sche Kir­che war, – »Kir­che« ge­nau in dem Sinn ge­nom­men, in dem wir heu­te das Wort neh­men. Es war ein Auf­stand ge­gen »die Gu­ten und Ge­rech­ten«, ge­gen »die Hei­li­gen Is­rael’s«, ge­gen die Hier­ar­chie der Ge­sell­schaft – nicht ge­gen de­ren Ver­derb­niß, son­dern ge­gen die Kas­te, das Pri­vi­le­gi­um, die Ord­nung, die For­mel; es war der Un­glau­be an die »hö­he­ren Men­schen«, das Nein ge­spro­chen ge­gen Al­les, was Pries­ter und Theo­lo­ge war. Aber die Hier­ar­chie, die da­mit, wenn auch nur für einen Au­gen­blick, in Fra­ge ge­stellt wur­de, war der Pfahl­bau, auf dem das jü­di­sche Volk, mit­ten im »Was­ser«, über­haupt noch fort­be­stand, – die müh­sam er­run­ge­ne letz­te Mög­lich­keit, üb­rig zu blei­ben, das Re­si­du­um sei­ner po­li­ti­schen Son­der-Exis­tenz: ein An­griff auf sie war ein An­griff auf den tiefs­ten Volks-In­stinkt, auf den zä­he­s­ten Volks-Le­bens­wil­len, der je auf Er­den da­ge­we­sen ist. Die­ser hei­li­ge An­ar­chist, der das nie­de­re Volk, die Aus­ge­stoß­nen und »Sün­der«, die Tschan­da­la in­ner­halb des Ju­dent­hums zum Wi­der­spruch ge­gen die herr­schen­de Ord­nung auf­rief – mit ei­ner Spra­che, falls den Evan­ge­li­en zu trau­en wäre, die auch heu­te noch nach Si­bi­ri­en füh­ren wür­de, war ein po­li­ti­scher Ver­bre­cher, so weit eben po­li­ti­sche Ver­bre­cher in ei­ner ab­surd-un­po­li­ti­schen Ge­mein­schaft mög­lich wa­ren. Dies brach­te ihn an’s Kreuz: der Be­weis da­für ist die Auf­schrift des Kreu­zes. Er starb für sei­ne Schuld, – es fehlt je­der Grund da­für, so oft es auch be­haup­tet wor­den ist, daß er für die Schuld And­rer starb. –

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      28.

      Eine voll­kom­men and­re Fra­ge ist es, ob er einen sol­chen Ge­gen­satz über­haupt im Be­wußt­sein hat­te, – ob er nicht bloß als die­ser Ge­gen­satz emp­fun­den wur­de. Und hier erst be­rüh­re ich das Pro­blem der Psy­cho­lo­gie des Er­lö­sers. – Ich be­ken­ne, daß ich we­ni­ge Bü­cher mit sol­chen Schwie­rig­kei­ten lese wie die Evan­ge­li­en. Die­se Schwie­rig­kei­ten sind and­re als die, an de­ren Nach­weis die ge­lehr­te Neu­gier­de des deut­schen Geis­tes einen ih­rer un­ver­geß­lichs­ten Tri­um­phe ge­fei­ert hat. Die Zeit ist fern, wo auch ich, gleich je­dem jun­gen Ge­lehr­ten, mit der klu­gen Lang­sam­keit ei­nes raf­fi­nir­ten Phi­lo­lo­gen das Werk des un­ver­gleich­li­chen Strauß aus­kos­te­te. Da­mals war ich zwan­zig Jah­re alt: jetzt bin ich zu ernst da­für. Was ge­hen mich die Wi­der­sprü­che der »Über­lie­fe­rung« an? Wie kann man Hei­li­gen-Le­gen­den über­haupt »Über­lie­fe­rung« nen­nen! Die Ge­schich­ten von Hei­li­gen sind die zwei­deu­tigs­te Lit­te­ra­tur, die es über­haupt giebt: auf sie die wis­sen­schaft­li­che Metho­de an­wen­den, wenn sonst kei­ne Ur­kun­den vor­lie­gen, scheint mir von vorn­her­ein ver­urt­heilt, – bloß ge­lehr­ter Mü­ßig­gang …

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      29.

      Was mich an­geht, ist der psy­cho­lo­gi­sche Ty­pus des Er­lö­sers. Der­sel­be СКАЧАТЬ