Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
isbn:
*
22.
Das Christenthum, als es seinen ersten Boden verließ, die niedrigsten Stände, die Unterwelt der antiken Welt, als es unter Barbaren-Völkern nach Macht ausgieng, hatte hier nicht mehr müde Menschen zur Voraussetzung, sondern innerlich verwilderte und sich zerreißende, – den starken Menschen, aber den mißrathnen. Die Unzufriedenheit mit sich, das Leiden an sich ist hier nicht wie bei dem Buddhisten eine übermäßige Reizbarkeit und Schmerzfähigkeit, vielmehr umgekehrt ein übermächtiges Verlangen nach Wehe–thun, nach Auslassung der inneren Spannung in feindseligen Handlungen und Vorstellungen. Das Christenthum hatte barbarische Begriffe und Werthe nöthig, um über Barbaren Herr zu werden: solche sind das Erstlingsopfer, das Bluttrinken im Abendmahl, die Verachtung des Geistes und der Cultur; die Folterung in allen Formen, sinnlich und unsinnlich; der große Pomp des Cultus. Der Buddhismus ist eine Religion für späte Menschen, für gütige, sanfte, übergeistig gewordne Rassen, die zu leicht Schmerz empfinden (– Europa ist noch lange nicht reif für ihn –): er ist eine Rückführung derselben zu Frieden und Heiterkeit, zur Diät im Geistigen, zu einer gewissen Abhärtung im Leiblichen. Das Christenthum will über Raubthiere Herr werden; sein Mittel ist, sie krank zu machen, – die Schwächung ist das christliche Recept zur Zähmung, zur »Civilisation«. Der Buddhismus ist eine Religion für den Schluß und die Müdigkeit der Civilisation, das Christentum findet sie noch nicht einmal vor, – es begründet sie unter Umständen.
*
23.
Der Buddhismus, nochmals gesagt, ist hundertmal kälter, wahrhafter, objektiver. Er hat nicht mehr nöthig, sich sein Leiden, seine Schmerzfähigkeit anständig zu machen durch die Interpretation der Sünde, – er sagt bloß, was er denkt, »ich leide«. Dem Barbaren dagegen ist Leiden an sich nichts Anständiges: er braucht erst eine Auslegung, um es sich einzugestehn, daß er leidet (sein Instinkt weist ihn eher auf Verleugnung des Leidens, auf stilles Ertragen hin). Hier war das Wort »Teufel« eine Wohlthat: man hatte einen übermächtigen und furchtbaren Feind, – man brauchte sich nicht zu schämen, an einem solchen Feind zu leiden. –
Das Christenthum hat einige Feinheiten auf dem Grunde, die zum Orient gehören. Vor Allem weiß es, daß es an sich ganz gleichgültig ist, ob Etwas wahr ist, aber von höchster Wichtigkeit, sofern es als wahr geglaubt wird. Die Wahrheit und der Glaube, daß Etwas wahr sei: zwei ganz auseinanderliegende Interessen» Welten, fast Gegensatz-Welten, – man kommt zum Einen und zum Andern auf grundverschienen Wegen. Hierüber wissend zu sein – das macht im Orient beinahe den Weisen: so verstehn es die Brahmanen, so versteht es Plato, so jeder Schüler esoterischer Weisheit. Wenn zum Beispiel ein Glück darin liegt, sich von der Sünde erlöst zu glauben, so thut als Voraussetzung dazu nicht noth, daß der Mensch sündig sei, sondern daß er sich sündig fühlt. Wenn aber überhaupt vor Allem Glaube noth thut, so muß man die Vernunft, die Erkenntniß, die Forschung in Mißcredit bringen: der Weg zur Wahrheit wird zum verbotnen Weg. – Die starke Hoffnung ist ein viel größeres Stimulans des Lebens, als irgend ein einzelnes wirklich eintretendes Glück. Man muß Leidende durch eine Hoffnung aufrecht erhalten, welcher durch keine Wirklichkeit widersprochen werden kann, – welche nicht durch eine Erfüllung abgethan wird: eine Jenseits-Hoffnung. (Gerade wegen dieser Fähigkeit, den Unglücklichen hinzuhalten, galt die Hoffnung bei den Griechen als Übel der Übel, als das eigentlich tückische Übel: es blieb im Faß des Übels zurück). – Damit Liebe möglich ist, muß Gott Person sein; damit die untersten Instinkte mitreden können, muß Gott jung sein. Man hat für die Inbrunst der Weiber einen schönen Heiligen, für die der Männer eine Maria in den Vordergrund zu rücken. Dies unter der Voraussetzung, daß das Christenthum auf einem Boden Herr werden will. wo aphrodisische oder Adonis-Culte den Begriff des Cultus bereits bestimmt haben. Die Forderung der Keuschheit verstärkt die Vehemenz und Innerlichkeit des religiösen Instinkts – sie macht den Cultus wärmer, schwärmerischer, seelenvoller. – Die Liebe ist der Zustand, wo der Mensch die Dinge am meisten so sieht, wie sie nicht sind. Die illusorische Kraft ist da auf ihrer Höhe, ebenso die versüßende, die verklärende Kraft. Man erträgt in der Liebe mehr als sonst, man duldet Alles. Es galt eine Religion zu erfinden, in der geliebt werden kann: damit ist man über das Schlimmste am Leben hinaus, – man sieht es gar nicht mehr. – So viel über die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung: ich nenne sie die drei christlichen Klugheiten. – Der Buddhismus ist zu spät, zu positivistisch dazu, um noch auf diese Weise klug zu sein. –
*
24.
Ich berühre hier nur das Problem der Entstehung des Christentums. Der erste Satz zu dessen Lösung heißt: das Christenthum ist einzig aus dem Boden zu verstehn, aus dem es gewachsen ist, – es ist nicht eine Gegenbewegung gegen den jüdischen Instinkt, es ist dessen Folgerichtigkeit selbst, ein Schluß weiter in dessen furchteinflößender Logik. In der Formel des Erlösers: »das Heil kommt von den Juden«. – Der zweite Satz heißt: der psychologische Typus des Galiläers СКАЧАТЬ