Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
isbn:
10.
Aber Niemand vergreift sich ungestraft an so furchtbaren Abstraktionen, wie das »Seiende« und das »Nichtseiende« sind; das Blut erstarrt allmählich, wenn man sie berührt. Es gab einen Tag, an dem Parmenides einen seltsamen Einfall hatte, der allen seinen früheren Combinationen den Werth zu nehmen schien, so daß er Lust hatte, sie wie einen Beutel mit alten abgenutzten Münzen bei Seite zu werfen. Gewöhnlich nimmt man an, daß auch ein äußerer Eindruck und nicht nur die von innen her treibende Consequenz solcher Begriffe wie »seiend« und »nichtseiend«, bei der Erfindung jenes Tages mit thätig gewesen sei, die Bekanntschaft mit der Theologie des alten, viel umher getriebenen Rhapsoden, des Sängers einer mystischen Naturvergötterung, des Kolophoniers Xenophanes. Ein außerordentliches Leben hindurch lebte Xenophanes als wandernder Dichter und wurde durch seine Reisen ein viel belehrter und viel belehrender Mann, der zu fragen und zu erzählen wußte; weshalb Heraklit ihn unter die Polyhistoren und überhaupt unter die »historischen« Naturen, in dem erwähnten Sinne rechnete. Woher und wann ihm der mystische Zug in’s Eine und ewig Ruhende gekommen ist, wird Niemand nachrechnen können; vielleicht ist es erst die Conception des endlich seßhaft gewordnen greisen Mannes, dem, nach der Bewegtheit seiner Irrfahrten und nach dem rastlosen Lernen und Erforschen, das Höchste und Größte in der Vision einer göttlichen Ruhe, in dem Beharren aller Dinge innerhalb eines pantheistischen Urfriedens, vor die Seele tritt. Im Übrigen scheint es mir rein zufällig, daß gerade am gleichen Orte, in Elea, zwei Männer eine Zeit lang zusammen lebten, von denen Jeder eine Einheitsconception im Kopfe trug: sie bilden keine Schule und haben Nichts gemeinsam, was etwa der Eine von dem Andern hätte lernen und dann weiter lehren können. Denn der Ursprung jener Einheitsconception ist bei dem Einen ein ganz andrer, ja entgegengesetzter als bei dem Andern; und wenn Einer die Lehre des Andern überhaupt kennen gelernt hat, so mußte er sie sich, um sie nur zu verstehen, erst in seine eigne Sprache übertragen. Bei dieser Übertragung gieng aber jedenfalls gerade das Specifische der andern Lehre verloren. Wenn Parmenides zur Einheit des Seienden rein durch eine vermeintliche logische Consequenz kam und sie aus dem Begriff Sein und Nichtsein herausspann, ist Xenophanes ein religiöser Mystiker und gehört mit jener mystischen Einheit recht eigentlich in das sechste Jahrhundert. War er auch keine so umwälzende Persönlichkeit wie Pythagoras, so hat er doch, auf seinen Wanderungen, den gleichen Zug und Trieb, die Menschen zu bessern, zu reinigen, zu heilen. Er ist der ethische Lehrer, aber noch auf der Stufe des Rhapsoden; in späterer Zeit wäre er ein Sophist gewesen. In der kühnen Mißbilligung der bestehenden Sitten und Schätzungen hat er in Griechenland nicht Seinesgleichen; dazu zog er sich keineswegs, wie Heraklit und Plato, in die Einsamkeit zurück, sondern stellte sich eben vor jenes Publikum hin, dessen jauchzende Bewunderung für Homer, dessen leidenschaftlichen Hang nach den Ehren der gymnastischen Festspiele, dessen Anbetung menschlich geformter Steine er mit Zorn und Hohn, und doch nicht als zankender Thersites, geißelte. Die Freiheit des Individuums ist mit ihm auf der Höhe; und in diesem fast grenzenlosen Heraustreten aus allen Konventionen ist er näher mit Parmenides verwandt, als durch jene letzte göttliche Einheit, die er einmal, in einem jenes Jahrhunderts würdigen Zustande der Vision, geschaut hat, und die mit dem einen Sein des Parmenides kaum den Ausdruck und das Wort, aber gewiß nicht den Ursprung gemein hat.
Ein entgegengesetzter Zustand war es vielmehr, in dem Parmenides die Lehre vom Sein fand. An jenem Tage und in diesem Zustande prüfte er seine beiden zusammenwirkenden Gegensätze, deren Begierde und Haß die Welt und das Werden constituirt, das Seiende und das Nichtseiende, die positiven und die negativen Eigenschaften – und er blieb plötzlich bei dem Begriffe der negativen Eigenschaft, des Nichtseienden, mißtrauisch hängen. Kann denn Etwas, was nicht ist, eine Eigenschaft sein? Oder principieller gefragt: kann denn Etwas, was nicht ist, sein? Die einzige Form der Erkenntniß aber, der wir sofort ein unbedingtes Vertrauen schenken und deren Leugnung dem Wahnsinne gleichkommt, ist die Tautologie A = A. Aber eben diese tautologische Erkenntnis; rief unerbittlich ihm zu: was nicht ist, ist nicht! Was ist, ist! Plötzlich fühlte er eine ungeheure logische Sünde auf seinem Leben lasten; hatte er doch ohne Bedenken immer angenommen, daß es negative Eigenschaften, überhaupt Nichtseiendes gäbe, daß also, formelhaft ausgedrückt A = nicht A sei: was doch nur die volle Perversität des Denkens aufstellen könne. Zwar urtheilt, wie er sich besann, die ganze große Menge der Menschen mit der gleichen Perversität: er selbst hat nur am allgemeinen Verbrechen gegen die Logik theilgenommen. Aber derselbe Augenblick, der ihn dieses Verbrechens zeiht, umleuchtet ihn mit der Glorie einer Entdeckung, er hat ein Princip, den Schlüssel zum Weltgeheimniß, abseits von allem Menschenwahne, gefunden, er steigt jetzt, an der festen und furchtbaren Hand der tautologischen Wahrheit über das СКАЧАТЬ