Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
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Das ewige und alleinige Werden, die gänzliche Unbeständigkeit alles Wirklichen, das fortwährend nur wirkt und wird und nicht ist, wie dies Heraklit lehrt, ist eine furchtbare und betäubende Vorstellung und in ihrem Einflusse am nächsten der Empfindung verwandt, mit der Jemand, bei einem Erdbeben, das Zutrauen zu der festgegründeten Erde verliert. Es gehörte eine erstaunliche Kraft dazu, diese Wirkung in das Entgegengesetzte, in das Erhabne und das beglückte Erstaunen zu übertragen. Dies erreichte Heraklit durch eine Beobachtung über den eigentlichen Hergang jedes Werdens und Vergehens, welchen er unter der Form der Polarität begriff, als das Auseinandertreten einer Kraft in zwei qualitativ verschiedne, entgegengesetzte und zur Wiedervereinigung strebende Thätigkeiten. Fortwährend entzweit sich eine Qualität mit sich selbst und scheidet sich in ihre Gegensätze: fortwährend streben diese Gegensätze wieder zu einander hin. Das Volk meint zwar, etwas Starres, Fertiges, Beharrendes zu erkennen; in Wahrheit ist in jedem Augenblick Licht und Dunkel, Bitter und Süß bei einander und an einander geheftet, wie zwei Ringende, von denen bald der eine bald der andre die Obmacht bekommt. Der Honig ist, nach Heraklit, zugleich bitter und süß, und die Welt selbst ist ein Mischkrug, der beständig umgerührt werden muß. Aus dem Krieg des Entgegengesetzten entsteht alles Werden: die bestimmten als andauernd uns erscheinenden Qualitäten drücken nur das momentane Übergewicht des einen Kämpfers aus, aber der Krieg ist damit nicht zu Ende, das Ringen dauert in Ewigkeit fort. Alles geschieht gemäß diesem Streite, und gerade dieser Streit offenbart die ewige Gerechtigkeit. Es ist eine wundervolle, aus dem reinsten Borne des Hellenischen geschöpfte Vorstellung, welche den Streit als das fortwährende Walten einer einheitlichen, strengen, an ewige Gesetze gebundenen Gerechtigkeit betrachtet. Nur ein Grieche war im Stande, diese Vorstellung als Fundament einer Kosmodicee zu finden; es ist die gute Eris Hesiod’s zum Weltprincip verklärt, es ist der Wettkampfgedanke der einzelnen Griechen und des griechischen Staates, aus den Gymnasien und Palästren, aus den künstlerischen Agonen, aus dem Ringen der politischen Parteien und der Städte mit einander in’s Allgemeinste übertragen, so daß jetzt das Räderwerk des Kosmos in ihm sich dreht. Wie jeder Grieche kämpft, als ob er allein im Recht sei, und ein unendlich sicheres Maaß des richterlichen Urtheils in jedem Augenblick bestimmt, wohin der Sieg sich neigt, so ringen die Qualitäten mit einander, nach unverbrüchlichen, dem Kampfe immanenten Gesetzen und Maaßen. Die Dinge selbst, an deren Feststehen und Standhalten der enge Menschen- und Thierkopf glaubt, haben gar keine eigentliche Existenz, sie sind das Erblitzen und der Funkenschlag gezückter Schwerter, sie sind das Aufglänzen des Siegs, im Kampfe der entgegengesetzten Qualitäten.
Jenen Kampf, der allem Werden eigentümlich ist, jenen ewigen Wechsel des Sieges schildert wiederum Schopenhauer (Welt als Wille und Vorstellung Band I, zweites Buch § 27): »Beständig muß die beharrende Materie die Form wechseln, indem, am Leitfaden der Kausalität, mechanische, physische, chemische, organische Erscheinungen, sich gierig zum Hervortreten drängend, einander die Materie entreißen, da Jede ihre Idee offenbaren will. Durch die gesammte Natur läßt sich dieser Streit verfolgen, ja, sie besteht eben wieder nur durch ihn.« Die folgenden Seiten geben die merkwürdigsten Illustrationen dieses Streites: nur daß der Grundton dieser Schilderungen immer ein andrer bleibt als bei Heraklit, sofern der Kampf für Schopenhauer ein Beweis von der Selbst-Entzweiung des Willens zum Leben, ein An-sich-selber-Zehren dieses finstren dumpfen Triebes ist, als ein durchweg entsetzliches, keineswegs beglückendes Phänomen. Der Tummelplatz und der Gegenstand dieses Kampfes ist die Materie, welche die Naturkräfte wechselseitig einander zu entreißen suchen, wie auch Raum und Zeit, deren Vereinigung durch die Causalität eben die Materie ist.
6.
Während die Imagination Heraklit’s das rastlos bewegte Weltall, die »Wirklichkeit«, mit dem Auge des beglückten Zuschauers maß, der zahllose Paare, im freudigen Kampfspiele, unter der Obhut strenger Kampfrichter ringen sieht, überkam ihn eine noch höhere Ahnung; er konnte die ringenden Paare und die Richter nicht mehr getrennt von einander betrachten, die Richter selbst schienen zu kämpfen, die Kämpfer selbst schienen sich zu richten – ja, da er im Grunde nur die ewig waltende eine Gerechtigkeit wahrnahm, so wagte er auszurufen: »Der Streit des Vielen selbst ist die reine Gerechtigkeit! Und überhaupt: das Eine ist das Viele. Denn was sind alle jene Qualitäten dem Wesen nach? Sind sie unsterbliche Götter? Sind sie getrennte, von Anfang und ohne Ende für sich wirkende Wesen? Und wenn die Welt, die wir sehen, nur Werden und Vergehn, aber kein Beharren kennt, sollten vielleicht gar jene Qualitäten eine anders geartete metaphysische Welt constituiren, zwar keine Welt der Einheit, wie sie СКАЧАТЬ