Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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СКАЧАТЬ aus­sagt: daß in ihr je­der Au­gen­blick nur ist, so­fern er den vor­her­ge­hen­den, sei­nen Va­ter, ver­tilgt hat, um selbst eben­so schnell wie­der ver­tilgt zu wer­den; daß Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft so nich­tig als ir­gend ein Traum sind, Ge­gen­wart aber nur die aus­deh­nungs- und be­stand­lo­se Gren­ze zwi­schen bei­den sei; daß aber, wie die Zeit, so der Raum, und wie die­ser, so auch Al­les, was in ihm und der Zeit zu­gleich ist, nur ein re­la­ti­ves Da­sein hat, nur durch und für ein An­de­res, ihm Gleich­ar­ti­ges, d. h. wie­der nur eben­so Be­ste­hen­des, sei. Dies ist eine Wahr­heit von der höchs­ten un­mit­tel­ba­ren, Je­der­mann zu­gäng­li­chen An­schau­lich­keit und eben dar­um be­griff­lich und ver­nünf­tig sehr schwer zu er­rei­chen. Wer sie vor Au­gen hat, muß aber auch so­fort zu der he­ra­kli­ti­schen Con­se­quenz wei­ter­ge­hen und sa­gen, daß das gan­ze We­sen der Wirk­lich­keit eben nur Wir­ken ist und daß es für sie kei­ne an­de­re Art Sein giebt; wie dies eben­falls Scho­pen­hau­er dar­ge­stellt hat (Welt als Wil­le und Vor­stel­lung Band I, ers­tes Buch § 4): »Nur als wir­kend füllt sie den Raum, füllt sie die Zeit: ihre Ein­wir­kung auf das un­mit­tel­ba­re Ob­jekt be­dingt die An­schau­ung, in der sie al­lein existirt: die Fol­ge der Ein­wir­kung je­des an­dern ma­te­ri­el­len Ob­jekts auf ein an­de­res wird nur er­kannt, so­fern das Letz­te­re jetzt an­ders als zu­vor auf das un­mit­tel­ba­re Ob­jekt ein­wirkt, be­steht nur dar­in. Ur­sa­che und Wir­kung ist also das gan­ze We­sen der Ma­te­rie: ihr Sein ist ihr Wir­ken. Höchst tref­fend ist des­halb im Deut­schen der In­be­griff al­les Ma­te­ri­el­len Wirk­lich­keit ge­nannt, wel­ches Wort viel be­zeich­nen­der ist als Rea­li­tät. Das, wor­auf sie wirkt, ist al­le­mal wie­der Ma­te­rie: ihr gan­zes Sein und We­sen be­steht also nur in der ge­setz­mä­ßi­gen Ver­än­de­rung, die ein Theil der­sel­ben im an­de­ren her­vor­bringt, ist folg­lich gänz­lich re­la­tiv, nach ei­ner nur in­ner­halb ih­rer Gren­zen gel­ten­den Re­la­ti­on, also eben wie die Zeit, eben wie der Raum.«

      Das ewi­ge und al­lei­ni­ge Wer­den, die gänz­li­che Un­be­stän­dig­keit al­les Wirk­li­chen, das fort­wäh­rend nur wirkt und wird und nicht ist, wie dies Hera­klit lehrt, ist eine furcht­ba­re und be­täu­ben­de Vor­stel­lung und in ih­rem Ein­flus­se am nächs­ten der Emp­fin­dung ver­wandt, mit der Je­mand, bei ei­nem Erd­be­ben, das Zu­trau­en zu der fest­ge­grün­de­ten Erde ver­liert. Es ge­hör­te eine er­staun­li­che Kraft dazu, die­se Wir­kung in das Ent­ge­gen­ge­setz­te, in das Er­hab­ne und das be­glück­te Er­stau­nen zu über­tra­gen. Dies er­reich­te Hera­klit durch eine Beo­b­ach­tung über den ei­gent­li­chen Her­gang je­des Wer­dens und Ver­ge­hens, wel­chen er un­ter der Form der Po­la­ri­tät be­griff, als das Aus­ein­an­der­tre­ten ei­ner Kraft in zwei qua­li­ta­tiv ver­schied­ne, ent­ge­gen­ge­setz­te und zur Wie­der­ver­ei­ni­gung stre­ben­de Thä­tig­kei­ten. Fort­wäh­rend ent­zweit sich eine Qua­li­tät mit sich selbst und schei­det sich in ihre Ge­gen­sät­ze: fort­wäh­rend stre­ben die­se Ge­gen­sät­ze wie­der zu ein­an­der hin. Das Volk meint zwar, et­was Star­res, Fer­ti­ges, Be­har­ren­des zu er­ken­nen; in Wahr­heit ist in je­dem Au­gen­blick Licht und Dun­kel, Bit­ter und Süß bei ein­an­der und an ein­an­der ge­hef­tet, wie zwei Rin­gen­de, von de­nen bald der eine bald der and­re die Ob­macht be­kommt. Der Ho­nig ist, nach Hera­klit, zu­gleich bit­ter und süß, und die Welt selbst ist ein Misch­krug, der be­stän­dig um­ge­rührt wer­den muß. Aus dem Krieg des Ent­ge­gen­ge­setz­ten ent­steht al­les Wer­den: die be­stimm­ten als an­dau­ernd uns er­schei­nen­den Qua­li­tä­ten drücken nur das mo­men­ta­ne Über­ge­wicht des einen Kämp­fers aus, aber der Krieg ist da­mit nicht zu Ende, das Rin­gen dau­ert in Ewig­keit fort. Al­les ge­schieht ge­mäß die­sem Strei­te, und ge­ra­de die­ser Streit of­fen­bart die ewi­ge Ge­rech­tig­keit. Es ist eine wun­der­vol­le, aus dem reins­ten Bor­ne des Hel­le­ni­schen ge­schöpf­te Vor­stel­lung, wel­che den Streit als das fort­wäh­ren­de Wal­ten ei­ner ein­heit­li­chen, stren­gen, an ewi­ge Ge­set­ze ge­bun­de­nen Ge­rech­tig­keit be­trach­tet. Nur ein Grie­che war im Stan­de, die­se Vor­stel­lung als Fun­da­ment ei­ner Kos­mo­di­cee zu fin­den; es ist die gute Eris He­sio­d’s zum Welt­prin­cip ver­klärt, es ist der Wett­kampf­ge­dan­ke der ein­zel­nen Grie­chen und des grie­chi­schen Staa­tes, aus den Gym­na­si­en und Pa­lästren, aus den künst­le­ri­schen Ago­nen, aus dem Rin­gen der po­li­ti­schen Par­tei­en und der Städ­te mit ein­an­der in’s All­ge­meins­te über­tra­gen, so daß jetzt das Rä­der­werk des Kos­mos in ihm sich dreht. Wie je­der Grie­che kämpft, als ob er al­lein im Recht sei, und ein un­end­lich si­che­res Maaß des rich­ter­li­chen Urt­heils in je­dem Au­gen­blick be­stimmt, wo­hin der Sieg sich neigt, so rin­gen die Qua­li­tä­ten mit ein­an­der, nach un­ver­brüch­li­chen, dem Kamp­fe im­ma­nen­ten Ge­set­zen und Maa­ßen. Die Din­ge selbst, an de­ren Fest­ste­hen und Stand­hal­ten der enge Men­schen- und Thier­kopf glaubt, ha­ben gar kei­ne ei­gent­li­che Exis­tenz, sie sind das Er­blit­zen und der Fun­ken­schlag ge­zück­ter Schwer­ter, sie sind das Auf­glän­zen des Siegs, im Kamp­fe der ent­ge­gen­ge­setz­ten Qua­li­tä­ten.

      Je­nen Kampf, der al­lem Wer­den ei­gen­tüm­lich ist, je­nen ewi­gen Wech­sel des Sie­ges schil­dert wie­der­um Scho­pen­hau­er (Welt als Wil­le und Vor­stel­lung Band I, zwei­tes Buch § 27): »Be­stän­dig muß die be­har­ren­de Ma­te­rie die Form wech­seln, in­dem, am Leit­fa­den der Kau­sa­li­tät, me­cha­ni­sche, phy­si­sche, che­mi­sche, or­ga­ni­sche Er­schei­nun­gen, sich gie­rig zum Her­vor­tre­ten drän­gend, ein­an­der die Ma­te­rie ent­rei­ßen, da Jede ihre Idee of­fen­ba­ren will. Durch die ge­samm­te Na­tur läßt sich die­ser Streit ver­fol­gen, ja, sie be­steht eben wie­der nur durch ihn.« Die fol­gen­den Sei­ten ge­ben die merk­wür­digs­ten Il­lus­tra­tio­nen die­ses Strei­tes: nur daß der Grund­ton die­ser Schil­de­run­gen im­mer ein and­rer bleibt als bei Hera­klit, so­fern der Kampf für Scho­pen­hau­er ein Be­weis von der Selbst-Ent­zwei­ung des Wil­lens zum Le­ben, ein An-sich-sel­ber-Zeh­ren die­ses fin­stren dump­fen Trie­bes ist, als ein durch­weg ent­setz­li­ches, kei­nes­wegs be­glücken­des Phä­no­men. Der Tum­mel­platz und der Ge­gen­stand die­ses Kamp­fes ist die Ma­te­rie, wel­che die Na­tur­kräf­te wech­sel­sei­tig ein­an­der zu ent­rei­ßen su­chen, wie auch Raum und Zeit, de­ren Ve­rei­ni­gung durch die Cau­sa­li­tät eben die Ma­te­rie ist.

      6.

      Wäh­rend die Ima­gi­na­ti­on Hera­klit’s das rast­los be­weg­te Wel­tall, die »Wirk­lich­keit«, mit dem Auge des be­glück­ten Zuschau­ers maß, der zahl­lo­se Paa­re, im freu­di­gen Kampf­spie­le, un­ter der Ob­hut stren­ger Kampf­rich­ter rin­gen sieht, über­kam ihn eine noch hö­he­re Ah­nung; er konn­te die rin­gen­den Paa­re und die Rich­ter nicht mehr ge­trennt von ein­an­der be­trach­ten, die Rich­ter selbst schie­nen zu kämp­fen, die Kämp­fer selbst schie­nen sich zu rich­ten – ja, da er im Grun­de nur die ewig wal­ten­de eine Ge­rech­tig­keit wahr­nahm, so wag­te er aus­zu­ru­fen: »Der Streit des Vie­len selbst ist die rei­ne Ge­rech­tig­keit! Und über­haupt: das Eine ist das Vie­le. Denn was sind alle jene Qua­li­tä­ten dem We­sen nach? Sind sie un­s­terb­li­che Göt­ter? Sind sie ge­trenn­te, von An­fang und ohne Ende für sich wir­ken­de We­sen? Und wenn die Welt, die wir se­hen, nur Wer­den und Ver­gehn, aber kein Be­har­ren kennt, soll­ten viel­leicht gar jene Qua­li­tä­ten eine an­ders ge­ar­te­te me­ta­phy­si­sche Welt con­sti­tu­i­ren, zwar kei­ne Welt der Ein­heit, wie sie СКАЧАТЬ