Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше страница 149

СКАЧАТЬ be­han­del­te, hin nach je­nem zu­erst an­ge­führ­ten la­pi­da­ri­schen Satz. Wenn er viel­mehr in der Viel­heit der ent­stan­de­nen Din­ge eine Sum­me von ab­zu­bü­ßen­den Un­ge­rech­tig­kei­ten schau­te, so hat er das Knäu­el des tief­sin­nigs­ten ethi­schen Pro­blems mit küh­nem Grif­fe, als der ers­te Grie­che, er­hascht. Wie kann Et­was ver­ge­hen, was ein Recht hat zu sein! Wo­her je­nes rast­lo­se Wer­den und Ge­bä­ren, wo­her je­ner Aus­druck von schmerz­haf­ter Ver­zer­rung auf dem An­ge­sich­te der Na­tur, wo­her die nie en­den­de Tod­ten­kla­ge in al­len Rei­chen des Da­seins? Aus die­ser Welt des Un­rech­tes, des fre­chen Ab­falls von der Ur-Ein­heit der Din­ge flüch­tet Ana­xi­man­der in eine me­ta­phy­si­sche Burg, aus der hin­aus­ge­lehnt er jetzt den Blick weit um­her rol­len läßt, um end­lich, nach nach­denk­li­chem Schwei­gen, an alle We­sen die Fra­ge zu rich­ten: »Was ist euer Da­sein werth? Und wenn es nichts werth ist, wozu seid ihr da? Durch eure Schuld, mer­ke ich, weilt ihr in die­ser Exis­tenz. Mit dem Tode wer­det ihr sie bü­ßen müs­sen. Seht hin, wie eure Erde welkt; die Mee­re neh­men ab und trock­nen aus, die See­mu­schel auf dem Ge­bir­ge zeigt euch, wie weit sie schon ver­trock­net sind; das Feu­er zer­stört eure Welt be­reits jetzt, end­lich wird sie in Dunst und Rauch auf­gehn. Aber im­mer von Neu­em wie­der wird eine sol­che Welt der Ver­gäng­lich­keit sich bau­en: wer ver­möch­te euch vom Flu­che des Wer­dens zu er­lö­sen?«

      Ei­nem Man­ne, der sol­che Fra­gen stellt, des­sen auf­schwe­ben­des Den­ken fort­wäh­rend die em­pi­ri­schen Stri­cke zer­riß, um so­fort den höchs­ten su­per­lu­na­ri­schen Auf­schwung zu neh­men, mag nicht jede Art des Le­bens will­kom­men ge­we­sen sein. Wir glau­ben es ger­ne der Über­lie­fe­rung, daß er in be­son­ders ehr­wür­di­ger Klei­dung ein­her­gieng und einen wahr­haft tra­gi­schen Stolz in sei­nen Ge­bär­den und Le­bens­ge­wohn­hei­ten zeig­te. Er leb­te, wie er schrieb; er sprach so fei­er­lich als er sich klei­de­te; er er­hob die Hand und setz­te den Fuß, als ob die­ses Da­sein eine Tra­gö­die sei, in der er, als Held, mit­zu­spie­len ge­bo­ren sei. In Al­le­dem war er das große Vor­bild des Em­pe­do­kles. Sei­ne Mit­bür­ger er­wähl­ten ihn, eine aus­wan­dern­de Ko­lo­nie an­zu­füh­ren – viel­leicht freu­ten sie sich ihn zu­gleich eh­ren und los­wer­den zu kön­nen. Auch sein Ge­dan­ke zog aus und grün­de­te Ko­lo­ni­en: in Ephe­sus und in Elea wur­de man ihn nicht los, und wenn man sich nicht ent­schlie­ßen konn­te, an der Stel­le zu blei­ben, wo er stand, so wuß­te man doch, daß man dort­hin von ihm ge­führt wor­den sei, von wo man jetzt, ohne ihn, wei­ter­zu­schrei­ten sich an­schick­te.

      Tha­les zeigt das Be­dürf­niß, das Reich der Viel­heit zu sim­pli­fi­ci­ren und zu ei­ner blo­ßen Ent­fal­tung oder Ver­klei­dung der einen al­lein vor­han­de­nen Qua­li­tät, des Was­sers, her­ab­zu­set­zen. Über ihn geht Ana­xi­man­der mit zwei Schrit­ten hin­aus. Er fragt sich ein­mal: »Wie ist doch, wenn es über­haupt eine ewi­ge Ein­heit giebt, jene Viel­heit mög­lich?« und ent­nimmt die Ant­wort aus dem wi­der­spruchs­vol­len, sich selbst auf­zeh­ren­den und ver­nei­nen­den Cha­rak­ter die­ser Viel­heit. Die Exis­tenz der­sel­ben wird ihm zu ei­nem mo­ra­li­schen Phä­no­men, sie ist nicht ge­recht­fer­tigt, son­dern büßt sich fort­wäh­rend durch den Un­ter­gang ab. Aber dann fällt ihm die Fra­ge ein: »Wa­rum ist denn nicht schon längst al­les Ge­w­ord­ne zu Grun­de ge­gan­gen, da doch be­reits eine gan­ze Ewig­keit von Zeit vor­über ist? Wo­her der im­mer er­neu­te Strom des Wer­dens?« Er weiß sich nur durch mys­ti­sche Mög­lich­kei­ten vor die­ser Fra­ge zu ret­ten: das ewi­ge Wer­den kann sei­nen Ur­sprung nur im ewi­gen Sein ha­ben, die Be­din­gun­gen zu dem Ab­fall von je­nem Sein zu ei­nem Wer­den in Un­ge­rech­tig­keit sind im­mer die glei­chen, die Con­stel­la­ti­on der Din­ge ist nun ein­mal so be­schaf­fen, daß kein Ende für je­nes Heraustre­ten des Ein­zel­we­sens aus dem Schooß des »Un­be­stimm­ten« ab­zu­set­zen ist. Hier­bei blieb Ana­xi­man­der: das heißt er blieb in den tie­fen Schat­ten, die wie rie­sen­haf­te Ge­s­pens­ter auf dem Ge­bir­ge ei­ner sol­chen Welt­be­trach­tung la­gen. Je mehr man dem Pro­ble­me sich na­hen woll­te, wie über­haupt aus dem Un­be­stimm­ten je das Be­stimm­te, aus dem Ewi­gen das Zeit­li­che, aus dem Ge­rech­ten die Un­ge­rech­tig­keit, durch Ab­fall ent­ste­hen kön­ne, um so grö­ßer wur­de die Nacht.

      5.

      Mit­ten auf die­se mys­ti­sche Nacht, in die Ana­xi­man­der’s Pro­blem vom Wer­den gehüllt war, trat Hera­klit aus Ephe­sus zu und er­leuch­te­te sie durch einen gött­li­chen Blitz­schlag. »Das Wer­den schaue ich an, ruft er, und Nie­mand hat so auf­merk­sam die­sem ewi­gen Wel­len­schla­ge und Rhyth­mus der Din­ge zu­ge­se­hen. Und was schau­te ich? Ge­setz­mä­ßig­kei­ten, un­fehl­ba­re Si­cher­hei­ten, im­mer glei­che Bah­nen des Rech­tes, hin­ter al­len Über­schrei­tun­gen der Ge­set­ze rich­ten­de Erin­nyen, die gan­ze Welt das Schau­spiel ei­ner wal­ten­den Ge­rech­tig­keit und dä­mo­nisch all­ge­gen­wär­ti­ger, ih­rem Diens­te un­ter­ge­be­ner Na­tur­kräf­te. Nicht die Be­stra­fung des Ge­wor­de­nen schau­te ich, son­dern die Recht­fer­ti­gung des Wer­dens. Wann hat sich der Fre­vel, der Ab­fall in un­ver­brüch­li­chen For­men, in hei­lig ge­ach­te­ten Ge­set­zen of­fen­bart? Wo die Un­ge­rech­tig­keit wal­tet, da ist Will­kür, Un­ord­nung, Re­gel­lo­sig­keit, Wi­der­spruch; wo aber daß Ge­setz und die Toch­ter des Zeus, die Dike, al­lein re­giert, wie in die­ser Welt, wie soll­te da die Sphä­re der Schuld, der Buße, der Ver­ur­tei­lung und gleich­sam die Richt­stät­te al­ler Ver­damm­ten sein?«

      Aus die­ser In­tui­ti­on ent­nahm Hera­klit zwei zu­sam­men­hän­gen­de Ver­nei­nun­gen, die erst durch die Ver­glei­chung mit den Lehr­sät­zen sei­nes Vor­gän­gers in das hel­le Licht ge­rückt wer­den. Ein­mal leug­ne­te er die Zwei­heit ganz di­ver­ser Wel­ten, zu de­ren An­nah­me Ana­xi­man­der ge­drängt wor­den war; er schied nicht mehr eine phy­si­sche Welt von ei­ner me­ta­phy­si­schen, ein Reich der be­stimm­ten Qua­li­tä­ten von ei­nem Reich der un­de­fi­nir­ba­ren Un­be­stimmt­heit ab. Jetzt, nach die­sem ers­ten Schrit­te, konn­te er auch nicht mehr von ei­ner weit grö­ße­ren Kühn­heit des Ver­nei­nens zu­rück­ge­hal­ten wer­den: er leug­ne­te über­haupt das Sein. Denn die­se eine Welt, die er üb­rig be­hielt – um­schirmt von ewi­gen un­ge­schrie­be­nen Ge­set­zen, auf- und nie­der­flu­thend im eher­nen Schla­ge des Rhyth­mus –, zeigt nir­gends ein Ver­har­ren, eine Un­zer­stör­bar­keit, ein Boll­werk im Stro­me. Lau­ter als Ana­xi­man­der rief Hera­klit es aus: »Ich sehe nichts als Wer­den. Laßt euch nicht täu­schen! In eu­rem kur­z­en Blick liegt es, nicht im We­sen der Din­ge, wenn ihr ir­gend­wo fes­tes Land im Mee­re des Wer­dens und Ver­ge­hens zu se­hen glaubt. Ihr ge­braucht Na­men der Din­ge, als ob sie eine star­re Dau­er hät­ten: aber selbst der Strom, in den ihr zum zwei­ten Male steigt, ist nicht der­sel­be als bei dem ers­ten Male.«

      Hera­klit hat als sein kö­nig­li­ches Be­sitz­t­hum die höchs­te Kraft der in­tui­ti­ven Vor­stel­lung; wäh­rend er ge­gen die and­re Vor­stel­lungs­art, die in Be­grif­fen und lo­gi­schen Kom­bi­na­tio­nen voll­zo­gen wird, also ge­gen die Ver­nunft, sich kühl, un­emp­find­lich, ja feind­lich zeigt und ein Ver­gnü­gen zu emp­fin­den scheint, wenn er ihr mit ei­ner in­tui­tiv ge­won­ne­nen Wahr­heit wi­der­spre­chen kann: und dies thut er in Sät­zen wie »Al­les hat je­der­zeit das Ent­ge­gen­ge­setz­te an sich« so un­ge­scheut, daß Ari­sto­te­les ihn des höchs­ten Ver­bre­chens СКАЧАТЬ