Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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СКАЧАТЬ und weil bei ih­nen nicht, wie bei uns, das Ge­fühl des Den­kers sich ver­wirrt in dem Zwie­spalt des Wun­sches nach Frei­heit, Schön­heit, Grö­ße des Le­bens und des Trie­bes nach Wahr­heit, die nur fragt: Was ist das Le­ben über­haupt werth? Die Auf­ga­be, die der Phi­lo­soph in­ner­halb ei­ner wirk­li­chen, nach ein­heit­li­chem Sti­le ge­ar­te­ten Cul­tur zu er­fül­len hat, ist aus un­sern Zu­stün­den und Er­leb­nis­sen des­halb nicht rein zu er­rat­hen, weil wir kei­ne sol­che Cul­tur ha­ben. Son­dern nur eine Cul­tur, wie die grie­chi­sche, kann die Fra­ge nach je­ner Auf­ga­be des Phi­lo­so­phen be­ant­wor­ten, nur sie kann, wie ich sag­te, die Phi­lo­so­phie über­haupt recht­fer­ti­gen, weil sie al­lein weiß und be­wei­sen kann, warum und wie der Phi­lo­soph nicht ein zu­fäl­li­ger, be­lie­bi­ger, bald hier-, bald dort­hin ver­spreng­ter Wan­de­rer ist. Es giebt eine stäh­ler­ne No­thwen­dig­keit, die den Phi­lo­so­phen an eine wah­re Cul­tur fes­selt: aber wie, wenn die­se Cul­tur nicht vor­han­den ist? Dann ist der Phi­lo­soph ein un­be­re­chen­ba­rer und dar­um Schre­cken ein­flö­ßen­der Ko­met, wäh­rend er im gu­ten Fal­le als ein Haupt­ge­stirn im Son­nen­sys­te­me der Cul­tur leuch­tet. Des­halb recht­fer­ti­gen die Grie­chen den Phi­lo­so­phen, weil er al­lein bei ih­nen kein Ko­met ist.

      2.

      Nach sol­chen Be­trach­tun­gen wird es ohne An­stoß hin­ge­nom­men wer­den, wenn ich von den vor­pla­to­ni­schen Phi­lo­so­phen als von ei­ner zu­sam­men­ge­hö­ri­gen Ge­sell­schaft rede und ih­nen al­lein die­se Schrift zu wid­men ge­den­ke. Mit Pla­to be­ginnt et­was ganz Neu­es; oder, wie mit glei­chem Rech­te ge­sagt wer­den kann, seit Pla­to fehlt den Phi­lo­so­phen et­was We­sent­li­ches, im Ver­gleich mit je­ner Ge­nia­len-Re­pu­blik von Tha­les bis So­kra­tes.

      Wer sich miß­güns­tig über jene äl­te­ren Meis­ter aus­drücken will, mag sie die Ein­sei­ti­gen nen­nen und ihre Epi­go­nen, mit Pla­to an der Spit­ze, die Viel­sei­ti­gen. Rich­ti­ger und un­be­fan­ge­ner wür­de es sein, die Letz­te­ren als phi­lo­so­phi­sche Misch­cha­rak­tere, die Ers­te­ren als die rei­nen Ty­pen zu be­grei­fen. Pla­to selbst ist der ers­te groß­ar­ti­ge Misch­cha­rak­ter, und als sol­cher so­wohl in sei­ner Phi­lo­so­phie als in sei­ner Per­sön­lich­keit aus­ge­prägt. So­kra­ti­sche, py­tha­go­re­i­sche und he­ra­kli­ti­sche Ele­men­te sind in sei­ner Ide­en­leh­re ver­ei­nigt: sie ist des­halb kein ty­pisch-rei­nes Phä­no­men. Auch als Mensch ver­mischt Pla­to die Züge des kö­nig­lich ab­ge­schlos­se­nen und all­ge­nüg­sa­men Hera­klit, des me­lan­cho­lisch-mit­leids­vol­len und le­gis­la­to­ri­schen Py­tha­go­ras und des see­len­kun­di­gen Dia­lek­ti­kers So­kra­tes. Alle spä­te­ren Phi­lo­so­phen sind sol­che Misch­cha­rak­tere; wo et­was Ein­sei­ti­ges an ih­nen her­vor­tritt, wie bei den Cy­ni­kern, ist es nicht Ty­pus, son­dern Car­ri­ka­tur. Viel wich­ti­ger aber ist, daß sie Sek­ten­stif­ter sind und daß die von ih­nen ge­stif­te­ten Sek­ten ins­ge­sammt Op­po­si­ti­ons­an­stal­ten ge­gen die hel­le­ni­sche Cul­tur und de­ren bis­he­ri­ge Ein­heit des Stils wa­ren. Sie su­chen in ih­rer Art eine Er­lö­sung, aber nur für die Ein­zel­nen oder höchs­tens für na­he­ste­hen­de Grup­pen von Freun­den und Jün­gern. Die Thä­tig­keit der äl­te­ren Phi­lo­so­phen geht, ob­schon ih­nen un­be­wußt, auf eine Hei­lung und Rei­ni­gung im Gro­ßen; der mäch­ti­ge Lauf der grie­chi­schen Cul­tur soll nicht auf­ge­hal­ten, furcht­ba­re Ge­fah­ren sol­len ihr aus dem Wege ge­räumt wer­den, der Phi­lo­soph schützt und vert­hei­digt sei­ne Hei­mat. Jetzt, seit Pla­to, ist er im Exil und con­spir­irt ge­gen sein Va­ter­land.

      Es ist ein wah­res Un­glück, daß wir so we­nig von je­nen äl­te­ren phi­lo­so­phi­schen Meis­tern üb­rig ha­ben und daß uns al­les Voll­stän­di­ge ent­zo­gen ist. Un­will­kür­lich mes­sen wir sie, je­nes Ver­lus­tes we­gen, nach falschen Maa­ßen und las­sen uns durch die rein zu­fäl­li­ge That­sa­che, daß es Pla­to und Ari­sto­te­les nie an Schät­zern und Ab­schrei­bern ge­fehlt hat, zu Un­guns­ten der Frü­he­ren ein­neh­men. Man­che neh­men eine eig­ne Vor­se­hung für die Bü­cher an, ein fa­tum li­bel­lo­rum: dies müß­te aber je­den­falls sehr bos­haft sein, wenn es uns Hera­klit, das wun­der­ba­re Ge­dicht des Em­pe­do­kles, die Schrif­ten des De­mo­krit, den die Al­ten dem Pla­to gleich­stel­len und der Je­nen an In­ge­nu­i­tät noch über­ragt, zu ent­ziehn für gut fand und uns zum Er­satz Stoi­ker, Epi­ku­re­er und Ci­ce­ro in die Hand drückt. Wahr­schein­lich ist uns der groß­ar­tigs­te Theil des grie­chi­schen Den­kens und sei­nes Aus­drucks in Wor­ten ver­lo­ren ge­gan­gen: ein Schick­sal, über das sich Der nicht wun­dern wird, der sich der Miß­ge­schi­cke des Sco­tus Eri­ge­na oder des Pas­cal er­in­nert und er­wägt, daß selbst in die­sem hel­len Jahr­hun­dert die ers­te Auf­la­ge von Scho­pen­hau­er’s Welt als Wil­le und Vor­stel­lung zu Ma­ku­la­tur ge­macht wer­den muß­te. Will Je­mand für sol­che Din­ge eine eig­ne fa­ta­lis­ti­sche Macht an­neh­men, so mag er es, thun und mit Goe­the spre­chen: »Über’s Nie­der­träch­ti­ge Nie­mand sich be­kla­ge; denn es ist das Mäch­ti­ge, was man dir auch sage«. Es ist in Son­der­heit mäch­ti­ger als die Macht der Wahr­heit. Die Mensch­heit bringt so sel­ten ein gu­tes Buch her­vor, in dem mit küh­ner Frei­heit das Schlacht­lied der Wahr­heit, das Lied des phi­lo­so­phi­schen He­ro­is­mus an­ge­stimmt wird: und doch hängt es von den elen­des­ten Zu­fäl­lig­kei­ten, von plötz­li­chen Ver­fins­te­run­gen der Köp­fe, von aber­gläu­bi­schen Zu­ckun­gen und An­ti­pa­thi­en, zu­letzt selbst von schrei­befau­len Fin­gern oder gar von Kerb­wür­mern und Re­gen­wet­ter ab, ob es noch ein Jahr­hun­dert län­ger lebt oder zu Mo­der und Gide wird. Doch wol­len wir nicht kla­gen, viel­mehr uns selbst die Ab­fer­ti­gungs- und Trost­wor­te Ha­mann’s ge­sagt sein las­sen, die er an die Ge­lehr­ten rich­tet, die über ver­lor­ne Wer­ke kla­gen: »Hat­te der Künst­ler, wel­cher mit ei­ner Lin­se durch ein Na­delöhr traf, nicht an ei­nem Schef­fel Lin­sen ge­nug zur Übung sei­ner er­wor­be­nen Ge­schick­lich­keit? Die­se Fra­ge möch­te man an alle Ge­lehr­te thun, wel­che die Wei­le der Al­ten nicht klü­ger als Je­ner die Lin­sen zu ge­brau­chen wis­sen.« Es wäre in un­se­rem Fal­le noch hin­zu­zu­fü­gen, daß uns lein Wort, kei­ne An­ek­do­te, lei­ne Jah­res­zahl mehr über­lie­fert zu sein brauch­te, als über­lie­fert ist, ja daß selbst viel we­ni­ger uns er­hal­ten sein dürf­te, um die all­ge­mei­ne Leh­re fest­zu­stel­len, daß die Grie­chen die Phi­lo­so­phie recht­fer­ti­gen.