Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
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4.
Während der allgemeine Typus des Philosophen an dem Bilde des Thales sich nur wie aus Nebeln heraushebt, spricht schon das Bild seines großen Nachfolgers viel deutlicher zu uns. Anaximander aus Milet, der erste philosophische Schriftsteller der Alten, schreibt so, wie der typische Philosoph eben schreiben wird, so lange ihm noch nicht durch befremdende Anforderungen die Unbefangenheit und die Naivetät geraubt sind: in großstilisirter Steinschrift, Satz für Satz Zeuge einer neuen Erleuchtung und Ausdruck des Verweilens in erhabenen Contemplationen. Der Gedanke und seine Form sind Meilensteine auf dem Pfade zu jener höchsten Weisheit. In solcher lapidarischen Eindringlichkeit sagt Anaximander einmal: »Woher die Dinge ihre Entstehung haben, dahin müssen sie auch zu Grunde gehen, nach der Nothwendigkeit; denn sie müssen Buße zahlen und für ihre Ungerechtigkeiten gerichtet werden, gemäß der Ordnung der Zeit«, Räthselhafter Ausspruch eines wahren Pessimisten, Orakelaufschrift am Grenzsteine griechischer Philosophie, wie werden wir dich deuten?
Der einzige ernstgesinnte Sittenlehrer unseres Saeculum legt uns in den Parergis (Band II, Capitel 12, Nachträge zur Lehre vom Leiden der Welt, Anhang verwandter Stellen) eine ähnliche Betrachtung an’s Herz, »Der rechte Maßstab zur Beurtheilung eines jeden Menschen ist, daß er eigentlich ein Wesen sei, welches gar nicht existiren sollte, sondern sein Dasein abbüßt durch vielgestaltetes Leiden und Tod: – was kann man von einem solchen erwarten? Sind wir denn nicht Alle zum Tode verurtheilte Sünder? Wir büßen unsere Geburt erstlich durch das Leben und zweitens durch das Sterben ab.« Wer diese Lehre aus der Physiognomie unseres allgemeinen Menschenlooses herausliest und die schlechte Grundbeschaffenheit eines jeden Menschenlebens schon darin erkennt, daß keines verträgt aufmerksam und in nächster Nähe betrachtet zu werden, – obschon unsere an die biographische Seuche gewöhnte Zeit anders und stattlicher über die Würde des Menschen zu denken scheint –; wer, wie Schopenhauer, auf den »Höhen der indischen Lüfte« das heilige Wort von dem moralischen Werthe des Daseins gehört hat, der wird schwer davon abzuhalten sein, eine höchst anthropomorphische Metapher zu machen und jene schwermüthige Lehre aus der Beschränkung auf das Menschenleben herauszuziehen und sie auf den allgemeinen Charakter alles Daseins, durch Übertragung, anzuwenden. Es mag nicht logisch sein, ist aber jedenfalls recht menschlich, und überdies recht im Stile des früher geschilderten philosophischen Springens, jetzt mit Anaximander alles Werden wie eine strafwürdige Emancipation vom ewigen Sein anzusehn, als ein Unrecht, das mit dem Untergange zu büßen ist. Alles, was einmal geworden ist, vergeht auch wieder, ob wir nun dabei an das Menschenleben oder an das Wasser oder an Warm und Kalt denken: überall, wo bestimmte Eigenschaften wahrzunehmen sind, dürfen wir auf den Untergang dieser Eigenschaften, nach einem ungeheuren Erfahrungs-Beweis, prophezeien. Nie kann also ein Wesen, das bestimmte Eigenschaften besitzt und aus ihnen besteht, Ursprung und Princip der Dinge sein; das wahrhaft Seiende, schloß Anaximander, kann keine bestimmten Eigenschaften besitzen, sonst würde es, wie alle andern Dinge, entstanden sein und zu Grunde gehn müssen. Damit das Werden nicht aufhört, muß das Urwesen unbestimmt sein. Die Unsterblichkeit und Ewigkeit des Urwesens liegt nicht in einer Unendlichkeit und Unausschöpfbarkeit – wie gemeinhin die Erklärer des Anaximander annehmen –, sondern darin, daß es der bestimmten, zum Untergange führenden Qualitäten bar ist; weshalb es auch seinen Namen, als »das Unbestimmte« trägt. Das so benannte Urwesen ist über das Werden erhaben und verbürgt eben deshalb die Ewigkeit und den ungehemmten Verlauf des Werdens. Diese letzte Einheit in jenem »Unbestimmten«, der Mutterschooß aller Dinge, kann freilich von dem Menschen nur negativ СКАЧАТЬ