Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
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Erlaubt mir aber, diese eure Selbständigkeit einmal an dem Maßstabe eben dieser Bildung zu messen und eure Universität nur als Bildungsanstalt in Betracht zu ziehn. Wenn ein Ausländer unser Universitätswesen kennen lernen will, so fragt er zuerst mit Nachdruck: »Wie hängt bei euch der Student mit der Universität zusammen?« Wir antworten: »Durch das Ohr, als Hörer.« Der Ausländer erstaunt. »Nur durch das Ohr?« fragt er nochmals. »Nur durch das Ohr«, antworten wir nochmals. Der Student hört. Wenn er spricht, wenn er sieht, wenn er gesellig ist, wenn er Künste treibt, kurz, wenn er lebt, ist er selbständig, das heißt unabhängig von der Bildungsanstalt. Sehr häufig schreibt der Student zugleich, während er hört. Dies sind die Momente, in denen er an der Nabelschnur der Universität hängt. Er kann sich wählen, was er hören will, er braucht nicht zu glauben, was er hört, er kann das Ohr schließen, wenn er nicht hören mag. Dies ist die »akroamatische« Lehrmethode.
Der Lehrer aber spricht zu diesen hörenden Studenten. Was er sonst denkt und thut, ist durch eine ungeheure Kluft von der Wahrnehmung des Studenten abgeschieden. Häufig liest der Professor, während er spricht. Im Allgemeinen will er möglichst viele solche Hörer haben, in der Noth begnügt er sich mit wenigen, fast nie mit einem. Ein redender Mund und sehr viele Ohren, mit halbsoviel schreibenden Händen – das ist der äußerliche akademische Apparat, das ist die in Thätigkeit gesetzte Bildungsmaschine der Universität. Im Übrigen ist der Inhaber dieses Mundes von den Besitzern der vielen Ohren getrennt und unabhängig: und diese doppelte Selbständigkeit preist man mit Hochgefühl als »akademische Freiheit«. Übrigens kann der Eine – um diese Freiheit noch zu erhöhen – ungefähr reden, was er will, der Andre ungefähr hören, was er will: nur daß hinter beiden Gruppen in bescheidener Entfernung der Staat mit einer gewissen gespannten Aufsehermiene steht, um von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, daß er Zweck, Ziel und Inbegriff der sonderbaren Sprech- und Hörprocedur sei.
Wir, denen es einmal gestattet sein muß, dieses überraschende Phänomen nur als Bildungsinstitution zu berücksichtigen, berichten also dem forschenden Ausländer, daß Das, was auf unsern Universitäten Bildung ist, aus dem Munde zum Ohre geht, daß alle Erziehung zur Bildung, wie gesagt, nur »akroamatisch« ist. Da aber selbst das Hören und die Auswahl des zu Hörenden dem akademisch freigesinnten Studenten zu selbständiger Entscheidung überlassen ist, da er andererseits allem Gehörten Glaubwürdigkeit und Auktorität absprechen kann, so fällt, in einem strengen Sinne, alle Erziehung zur Bildung ihm selbst zu, und die durch das Gymnasium zu erstrebende Selbständigkeit zeigt sich jetzt mit höchstem Stolze als »akademische Selbsterziehung zur Bildung« und prunkt mit ihrem glänzendsten Gefieder.
Glückliche Zeit, in der die Jünglinge weise und gebildet genug sind, um sich selbst am Gängelbande führen zu können! Unübertreffliche Gymnasien, denen es gelingt, Selbständigkeit zu pflanzen, wo andre Zeiten glaubten, Abhängigkeit, Zucht, Unterordnung, Gehorsam pflanzen und allen Selbständigkeitsdünkel abwehren zu müssen! Wird euch hier deutlich, meine Guten, weshalb ich, nach der Seite der Bildung hin, die jetzige Universität als Ausbau der Gymnasialtendenz zu betrachten liebe? Die durch das Gymnasium anerzogne Bildung tritt, als etwas Ganzes und Fertiges, mit wählerischen Ansprüchen in die Thore der Universität: sie fordert, sie giebt Gesetze, sie sitzt zu Gericht. Täuscht euch also über den gebildeten Studenten nicht: dieser ist, soweit er eben die Bildungsweihen empfangen zu haben glaubt, immer noch der in den Händen seiner Lehrer geformte Gymnasiast: als welcher nun, seit seiner akademischen Isolation, und nachdem er das Gymnasium verlassen hat, damit gänzlich aller weiteren Formung und Leitung zur Bildung entzogen ist, um von nun an von sich selbst zu leben und frei zu sein.
Frei! Prüft diese Freiheit, ihr Menschenkenner! Aufgebaut auf dem thönernen Grunde der jetzigen Gymnasialcultur, auf zerbröckelndem Fundamente, steht ihr Gebäude schief gerichtet und unsicher bei dem Anhauche der Wirbelwinde. Seht euch den freien Studenten, den Herold der Selbständigkeitsbildung an, errathet ihn in seinen Instinkten, deutet ihn euch aus seinen Bedürfnissen! Was dünkt euch über seine Bildung, wenn ihr diese an drei Gradmessern zu messen wißt, einmal an seinem Bedürfniß zur Philosophie, sodann an seinem Instinkt für Kunst und endlich an dem griechischen und römischen Alterthum als an dem leibhaften kategorischen Imperativ aller Cultur.
Der Mensch ist so umlagert von den ernstesten und schwierigsten Problemen, daß er, in der rechten Weise an sie herangeführt, zeitig in jenes nachhaltige philosophische Erstaunen gerathen wird, auf dem allein, als auf einem fruchtbaren Untergründe, eine tiefere und edlere Bildung wachsen kann. Am häufigsten führen ihn wohl die eignen Erfahrungen an diese Probleme heran, und besonders in der stürmischen Jugendzeit spiegelt sich fast jedes persönliche Ereignis; in einem doppelten Schimmer, als Exemplifikation einer Alltäglichkeit und zugleich eines ewigen erstaunlichen und erklärungswürdigen Problems. In diesem Alter, das seine Erfahrungen gleichsam mit metaphysischen Regenbogen umringt sieht, ist der Mensch auf das Höchste einer führenden Hand bedürftig, weil er plötzlich und fast instinktiv sich von der Zweideutigkeit des Daseins überzeugt hat und den festen Boden der bisher gehegten überkommenen Meinungen verliert.
Dieser naturgemäße Zustand höchster Bedürftigkeit muß begreiflicherweise als der ärgste Feind jener beliebten Selbständigkeit gelten, zu der der gebildete Jüngling der Gegenwart herangezogen werden soll. Ihn zu unterdrücken und zu lähmen, ihn abzuleiten oder zu verkümmern sind deshalb alle jene bereits in den Schoß des »Selbstverstandes« eingekehrten Jünger der »Jetztzeit« eifrig bemüht: und das beliebteste Mittel ist, jenen naturgemäßen philosophischen Trieb durch die sogenannte »historische Bildung« zu paralysiren. Ein noch jüngst in skandalöser Weltberühmtheit stehendes System hatte die Formel für diese Selbstvernichtung der Philosophie ausfindig gemacht: und jetzt zeigt sich bereits überall, bei der historischen Betrachtung der Dinge, eine solche naive Unbedenklichkeit, das Unvernünftigste zur »Vernunft« zu bringen und das Schwärzeste als weiß gelten zu lassen, daß man öfters, mit parodistischer Anwendung jenes Hegel’schen Satzes, fragen möchte: »Ist diese Unvernunft wirklich?« Ach, gerade das Unvernünftige scheint jetzt allein »wirklich«, das heißt СКАЧАТЬ