Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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СКАЧАТЬ und der Bil­dung.

      Er­laubt mir aber, die­se eure Selb­stän­dig­keit ein­mal an dem Maß­sta­be eben die­ser Bil­dung zu mes­sen und eure Uni­ver­si­tät nur als Bil­dungs­an­stalt in Be­tracht zu ziehn. Wenn ein Aus­län­der un­ser Uni­ver­si­täts­we­sen ken­nen ler­nen will, so fragt er zu­erst mit Nach­druck: »Wie hängt bei euch der Stu­dent mit der Uni­ver­si­tät zu­sam­men?« Wir ant­wor­ten: »Durch das Ohr, als Hö­rer.« Der Aus­län­der er­staunt. »Nur durch das Ohr?« fragt er noch­mals. »Nur durch das Ohr«, ant­wor­ten wir noch­mals. Der Stu­dent hört. Wenn er spricht, wenn er sieht, wenn er ge­sel­lig ist, wenn er Küns­te treibt, kurz, wenn er lebt, ist er selb­stän­dig, das heißt un­ab­hän­gig von der Bil­dungs­an­stalt. Sehr häu­fig schreibt der Stu­dent zu­gleich, wäh­rend er hört. Dies sind die Mo­men­te, in de­nen er an der Na­bel­schnur der Uni­ver­si­tät hängt. Er kann sich wäh­len, was er hö­ren will, er braucht nicht zu glau­ben, was er hört, er kann das Ohr schlie­ßen, wenn er nicht hö­ren mag. Dies ist die »akro­ama­ti­sche« Lehr­me­tho­de.

      Der Leh­rer aber spricht zu die­sen hö­ren­den Stu­den­ten. Was er sonst denkt und thut, ist durch eine un­ge­heu­re Kluft von der Wahr­neh­mung des Stu­den­ten ab­ge­schie­den. Häu­fig liest der Pro­fes­sor, wäh­rend er spricht. Im All­ge­mei­nen will er mög­lichst vie­le sol­che Hö­rer ha­ben, in der Noth be­gnügt er sich mit we­ni­gen, fast nie mit ei­nem. Ein re­den­der Mund und sehr vie­le Ohren, mit halb­so­viel schrei­ben­den Hän­den – das ist der äu­ßer­li­che aka­de­mi­sche Ap­pa­rat, das ist die in Thä­tig­keit ge­setz­te Bil­dungs­ma­schi­ne der Uni­ver­si­tät. Im Üb­ri­gen ist der In­ha­ber die­ses Mun­des von den Be­sit­zern der vie­len Ohren ge­trennt und un­ab­hän­gig: und die­se dop­pel­te Selb­stän­dig­keit preist man mit Hoch­ge­fühl als »aka­de­mi­sche Frei­heit«. Üb­ri­gens kann der Eine – um die­se Frei­heit noch zu er­hö­hen – un­ge­fähr re­den, was er will, der And­re un­ge­fähr hö­ren, was er will: nur daß hin­ter bei­den Grup­pen in be­schei­de­ner Ent­fer­nung der Staat mit ei­ner ge­wis­sen ge­spann­ten Auf­se­her­mie­ne steht, um von Zeit zu Zeit dar­an zu er­in­nern, daß er Zweck, Ziel und In­be­griff der son­der­ba­ren Sprech- und Hör­pro­ce­dur sei.

      Wir, de­nen es ein­mal ge­stat­tet sein muß, die­ses über­ra­schen­de Phä­no­men nur als Bil­dungs­in­sti­tu­ti­on zu be­rück­sich­ti­gen, be­rich­ten also dem for­schen­den Aus­län­der, daß Das, was auf un­sern Uni­ver­si­tä­ten Bil­dung ist, aus dem Mun­de zum Ohre geht, daß alle Er­zie­hung zur Bil­dung, wie ge­sagt, nur »akro­ama­tisch« ist. Da aber selbst das Hö­ren und die Aus­wahl des zu Hö­ren­den dem aka­de­misch frei­ge­sinn­ten Stu­den­ten zu selb­stän­di­ger Ent­schei­dung über­las­sen ist, da er an­de­rer­seits al­lem Ge­hör­ten Glaub­wür­dig­keit und Auk­to­ri­tät ab­spre­chen kann, so fällt, in ei­nem stren­gen Sin­ne, alle Er­zie­hung zur Bil­dung ihm selbst zu, und die durch das Gym­na­si­um zu er­stre­ben­de Selb­stän­dig­keit zeigt sich jetzt mit höchs­tem Stol­ze als »aka­de­mi­sche Selbs­t­er­zie­hung zur Bil­dung« und prunkt mit ih­rem glän­zends­ten Ge­fie­der.

      Glück­li­che Zeit, in der die Jüng­lin­ge wei­se und ge­bil­det ge­nug sind, um sich selbst am Gän­gel­ban­de füh­ren zu kön­nen! Un­über­treff­li­che Gym­na­si­en, de­nen es ge­lingt, Selb­stän­dig­keit zu pflan­zen, wo and­re Zei­ten glaub­ten, Ab­hän­gig­keit, Zucht, Un­ter­ord­nung, Ge­hor­sam pflan­zen und al­len Selb­stän­dig­keits­dün­kel ab­weh­ren zu müs­sen! Wird euch hier deut­lich, mei­ne Gu­ten, wes­halb ich, nach der Sei­te der Bil­dung hin, die jet­zi­ge Uni­ver­si­tät als Aus­bau der Gym­na­si­al­ten­denz zu be­trach­ten lie­be? Die durch das Gym­na­si­um an­er­zo­gne Bil­dung tritt, als et­was Gan­zes und Fer­ti­ges, mit wäh­le­ri­schen An­sprü­chen in die Tho­re der Uni­ver­si­tät: sie for­dert, sie giebt Ge­set­ze, sie sitzt zu Ge­richt. Täuscht euch also über den ge­bil­de­ten Stu­den­ten nicht: die­ser ist, so­weit er eben die Bil­dungs­wei­hen emp­fan­gen zu ha­ben glaubt, im­mer noch der in den Hän­den sei­ner Leh­rer ge­form­te Gym­na­si­ast: als wel­cher nun, seit sei­ner aka­de­mi­schen Iso­la­ti­on, und nach­dem er das Gym­na­si­um ver­las­sen hat, da­mit gänz­lich al­ler wei­te­ren For­mung und Lei­tung zur Bil­dung ent­zo­gen ist, um von nun an von sich selbst zu le­ben und frei zu sein.

      Frei! Prüft die­se Frei­heit, ihr Men­schen­ken­ner! Auf­ge­baut auf dem thö­ner­nen Grun­de der jet­zi­gen Gym­na­sial­cul­tur, auf zer­brö­ckeln­dem Fun­da­men­te, steht ihr Ge­bäu­de schief ge­rich­tet und un­si­cher bei dem An­hau­che der Wir­bel­win­de. Seht euch den frei­en Stu­den­ten, den He­rold der Selb­stän­dig­keits­bil­dung an, er­rat­het ihn in sei­nen In­stink­ten, deu­tet ihn euch aus sei­nen Be­dürf­nis­sen! Was dünkt euch über sei­ne Bil­dung, wenn ihr die­se an drei Grad­mes­sern zu mes­sen wißt, ein­mal an sei­nem Be­dürf­niß zur Phi­lo­so­phie, so­dann an sei­nem In­stinkt für Kunst und end­lich an dem grie­chi­schen und rö­mi­schen Al­ter­thum als an dem leib­haf­ten ka­te­go­ri­schen Im­pe­ra­tiv al­ler Cul­tur.

      Der Mensch ist so um­la­gert von den erns­tes­ten und schwie­rigs­ten Pro­ble­men, daß er, in der rech­ten Wei­se an sie her­an­ge­führt, zei­tig in je­nes nach­hal­ti­ge phi­lo­so­phi­sche Er­stau­nen ge­rat­hen wird, auf dem al­lein, als auf ei­nem frucht­ba­ren Un­ter­grün­de, eine tiefe­re und ed­le­re Bil­dung wach­sen kann. Am häu­figs­ten füh­ren ihn wohl die eig­nen Er­fah­run­gen an die­se Pro­ble­me her­an, und be­son­ders in der stür­mi­schen Ju­gend­zeit spie­gelt sich fast je­des per­sön­li­che Er­eig­nis; in ei­nem dop­pel­ten Schim­mer, als Exem­pli­fi­ka­ti­on ei­ner All­täg­lich­keit und zu­gleich ei­nes ewi­gen er­staun­li­chen und er­klä­rungs­wür­di­gen Pro­blems. In die­sem Al­ter, das sei­ne Er­fah­run­gen gleich­sam mit me­ta­phy­si­schen Re­gen­bo­gen um­ringt sieht, ist der Mensch auf das Höchs­te ei­ner füh­ren­den Hand be­dürf­tig, weil er plötz­lich und fast in­stink­tiv sich von der Zwei­deu­tig­keit des Da­seins über­zeugt hat und den fes­ten Bo­den der bis­her ge­heg­ten über­kom­me­nen Mei­nun­gen ver­liert.

      Die­ser na­tur­ge­mä­ße Zu­stand höchs­ter Be­dürf­tig­keit muß be­greif­li­cher­wei­se als der ärgs­te Feind je­ner be­lieb­ten Selb­stän­dig­keit gel­ten, zu der der ge­bil­de­te Jüng­ling der Ge­gen­wart her­an­ge­zo­gen wer­den soll. Ihn zu un­ter­drücken und zu läh­men, ihn ab­zu­lei­ten oder zu ver­küm­mern sind des­halb alle jene be­reits in den Schoß des »Selbst­ver­stan­des« ein­ge­kehr­ten Jün­ger der »Jetzt­zeit« eif­rig be­müht: und das be­lieb­tes­te Mit­tel ist, je­nen na­tur­ge­mä­ßen phi­lo­so­phi­schen Trieb durch die so­ge­nann­te »his­to­ri­sche Bil­dung« zu pa­ra­ly­si­ren. Ein noch jüngst in skan­da­lö­ser Welt­be­rühmt­heit ste­hen­des Sys­tem hat­te die For­mel für die­se Selbst­ver­nich­tung der Phi­lo­so­phie aus­fin­dig ge­macht: und jetzt zeigt sich be­reits über­all, bei der his­to­ri­schen Be­trach­tung der Din­ge, eine sol­che nai­ve Un­be­denk­lich­keit, das Un­ver­nünf­tigs­te zur »Ver­nunft« zu brin­gen und das Schwär­zes­te als weiß gel­ten zu las­sen, daß man öf­ters, mit par­odis­ti­scher An­wen­dung je­nes He­gel’­schen Sat­zes, fra­gen möch­te: »Ist die­se Un­ver­nunft wirk­lich?« Ach, ge­ra­de das Un­ver­nünf­ti­ge scheint jetzt al­lein »wirk­lich«, das heißt СКАЧАТЬ