Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
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Derartiges brachten wir miteinander, ohne viel Geschick und Ordnung vor, ja der Begleiter des Philosophen gieng noch weiter und sagte zu seinem Lehrer: »Nun denken Sie selbst an alle die großen Genien, auf die wir gerade, als auf ächte und treue Führer und Wegweiser jenes wahren deutschen Geistes stolz zu sein pflegen, deren Andenken wir durch Feste und Statuen ehren, deren Werke wir mit Selbstgefühl dem Auslande entgegenhalten: worin ist diesen eine solche Bildung, wie Sie sie verlangen, entgegengekommen, inwiefern zeigen sie sich ernährt und gereift an einer heimischen Bildungssonne? Und trotzdem sind sie möglich gewesen, und trotzdem sind sie Das geworden, was wir jetzt so zu verehren haben, ja ihre Werke rechtfertigen vielleicht gerade die Form der Entwicklung, die diese edlen Naturen nahmen, ja selbst einen solchen Mangel an Bildung, den wir wohl bei ihrer Zeit und ihrem Volke zugeben müssen. Was hatte Lessing, was hatte Winckelmann aus einer vorhandenen deutschen Bildung zu entnehmen? Nichts oder mindestens ebensowenig als Beethoven, als Schiller, als Goethe, als alle unsere großen Künstler und Dichter. Vielleicht ist es ein Naturgesetz, daß immer erst die späteren Generationen sich bewußt werden müssen, durch welche himmlischen Geschenke eine frühere ausgezeichnet worden sei.«
Hier gerieth der philosophische Greis in heftigen Zorn und schrie seinen Begleiter an: »O du Lamm an Einfalt der Erkenntniß! O ihr insgesammt Säugethiere zu Nennende! Was sind das für schiefe, linkische, enge, höckerige, krüppelhafte Argumentationen! Ja, jetzt eben hörte ich die Bildung unserer Tage, und meine Ohren klingen wieder von lauter geschichtlichen »Selbstverständlichkeiten«, von lauter altklugen erbarmungslosen Historiker-Vernünftigkeiten! Merke dir das, du unentweihte Natur: du bist alt geworden und seit Jahrtausenden ruht dieser Sternenhimmel über dir – aber ein solches gebildetes und im Grunde boshaftes Gerede, wie es diese Gegenwart liebt, hast du noch nie gehört! Also ihr seid stolz, meine guten Germanen, auf eure Dichter und Künstler? Ihr zeigt mit den Fingern auf sie und brüstet euch mit ihnen vor dem Auslande? Und weil es euch keine Mühe gekostet hat, sie unter euch zu haben, so macht ihr daraus eine allerliebste Theorie, daß ihr euch auch fürderhin keine Mühe um sie zu geben braucht? Nicht wahr, meine unerfahrnen Kinder, sie kommen von selbst: der Storch bringt sie euch! Wer wird von Hebammen reden mögen! Nun, meine Guten, euch gebührt eine ernste Belehrung: was? ihr dürftet darauf stolz sein, daß alle die genannten glänzenden und edeln Geister durch euch, durch eure Barbarei vorzeitig erstickt, verbraucht, erloschen sind? Wie, ihr dürftet ohne Scham an Lessing denken, der an eurer Stumpfheit, im Kampf mit euren lächerlichen Klötzen und Götzen, unter dem Mißstande eurer Theater, eurer Gelehrten, eurer Theologen zu Grunde gieng, ohne ein einziges Mal jenen ewigen Flug wagen zu dürfen, zu dem er in die Welt gekommen war? Und was empfindet ihr bei Winckelmann’s Angedenken, der, um seinen Blick von euren grotesken Albernheiten zu befrein, bei den Jesuiten um Hülfe betteln gieng, dessen schmählicher Übertritt auf euch zurückfällt und an euch als unvertilgbarer Flecken haften wird? Ihr dürftet gar Schiller’s Namen nennen und könnt nicht erröthen? Seht sein Bild euch an! Das entzündet funkelnde Auge, das verächtlich über euch hinwegfliegt, diese tödtlich geröthete Wange – das sagt euch Nichts? Da hattet ihr so ein herrliches und göttliches Spielzeug, das durch euch zertrümmert wurde. Und nehmt noch Goethe’s Freundschaft aus diesem schwermüthig hastigen, zu Tode gehetzten Leben hinweg – an euch hätte es dann gelegen, es noch schneller verlöschen zu machen. Bei Keinem unserer großen Genien habt ihr mitgeholfen – und jetzt wollt ihr ein Dogma daraus machen, daß Keinem mehr geholfen werde? Aber für Jeden wäret ihr, bis diesen Augenblick, der »Widerstand der dumpfen Welt«, den Goethe in seinem Epilog zur Glocke bei Namen nennt, für Jeden wäret ihr die verdrossenen Stumpfsinnigen oder die neidischen Engherzigen oder die boshaften Selbstsüchtigen. Trotz euch schufen Jene ihre Werke, gegen euch wandten sie ihre Angriffe und Dank euch starben sie zu früh, in unvollendeter Tagesarbeit, unter Kämpfen zerbrochen oder betäubt, dahin. Wer kann ausdenken, was diesen heroischen Männern zu erreichen beschieden war, wenn jener wahre deutsche Geist in einer kräftigen Institution sein schützendes Dach über sie ausgebreitet hätte, jener Geist, der ohne eine solche Institution vereinzelt, zerbröckelt, entartet sein Dasein weiterschleppt. Alle jene Männer sind zu Grunde gerichtet: und es gehört ein tollgewordener Glaube an die Vernünftigkeit alles Geschehenden dazu, um mit ihm eure Schuld entschuldigen zu wollen. Und nicht jene Männer allein! Aus allen Bereichen intellektueller Auszeichnung treten die Ankläger gegen euch auf: mag ich auf alle die dichterischen oder philosophischen oder malerischen oder plastischen Begabungen hinsehn und nicht nur auf die Begabungen des höchsten Grades, überall bemerke ich das nicht Reifgewordene, das Überreizte oder zu früh Erschlaffte, das vor der Blüthe Versengte oder Erfrorene, überall wittere ich jenen »Widerstand der stumpfen Welt«, das heißt eure Verschuldung. Was will es besagen, wenn ich nach Bildungsanstalten verlange und den Zustand Derer, die sich so nennen, erbarmungswürdig finde. Wer dies ein »ideales Verlangen« und überhaupt »ideal« zu nennen beliebt und wohl gar damit wie mit einem Lobe mich abzufinden meint, dem diene zur Antwort, daß das Vorhandene einfach eine Gemeinheit und eine Schmach ist, und daß, wer in klapperdürrem Frost nach Wärme verlangt, wild werden muß, wenn man dies ein »ideales Verlangen« nennt. Hier handelt es sich um, lauter aufdringliche, gegenwärtige, augenscheinliche Wirklichkeiten: wer etwas davon fühlt, der weiß, daß es hier eine Noth giebt, wie Frost und Hunger. Wer aber nichts davon fühlt – nun, der hat dann wenigstens einen Maßstab, um zu messen, wo Das aufhört, was ich »Bildung« nenne, und bei welchen Quadern der Pyramide sich die Sphäre, die von unten, und die andere, die von oben beherrscht wird, scheidet.«
Der Philosoph schien sich sehr erhitzt zu haben: wir forderten ihn auf, wieder etwas herumzugehn, während er seine letzten Reden stehend, in der Nähe jenes Baumstumpfes, der uns als Zielscheibe für unsere Pistolenkünste diente, gesprochen hatte. Es wurde für eine Zeit unter uns ganz still. Langsam und nachdenklich schritten wir auf und ab. Wir empfanden viel weniger Beschämung, so thörichte Argumente vorgebracht zu haben, als eine gewisse Restitution unserer Persönlichkeit: gerade nach den erhitzten und für uns nicht schmeichelhaften Anreden glaubten wir uns dem Philosophen näher, ja persönlicher gestellt zu fühlen. Denn so elend ist der Mensch, daß er durch Nichts einem Fremden so schnell nahe kommt, als wenn dieser eine Schwäche, einen Defekt merken läßt. Daß unser Philosoph erhitzt wurde und Schimpfworte gebrauchte, überbrückte СКАЧАТЬ