Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
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Wir hielten es nicht für schicklich, den so ungemuth Klagenden zu unterbrechen: und als er melancholisch verstummte, wagten wir doch nicht, ihm zu sagen, wie sehr uns diese mißtrauische Ablehnung der Studenten verdrießen mußte.
Endlich wendete sich der Begleiter an den Philosophen und sagte: »Sie erinnern mich, mein Lehrer, daran, daß Sie ja auch in früherer Zeit, bevor ich Sie kennen lernte, an mehreren Universitäten gelebt haben und daß Gerüchte über Ihren Verkehr mit Studierenden, über die Methode Ihres Unterrichts noch aus jener Periode im Umlauf sind. Aus dem Tone der Resignation, mit dem Sie eben von den Studenten sprachen, dürfte Mancher wohl auf eigenthümliche verstimmende Erfahrungen rathen; ich aber glaube vielmehr, daß Sie eben Das erfahren und gesehen haben, was Jeder dort erfährt und sieht, daß Sie aber dies strenger und richtiger beurtheilt haben als jeder Andere. Denn soviel habe ich aus Ihrem Umgange gelernt, daß die merkwürdigsten, lehrreichsten und entscheidenden Erfahrungen und Erlebnisse die alltäglichen sind, daß aber gerade Das, was als ungeheures Räthsel vor aller Augen liegt, von den Wenigsten als Räthsel verstanden wird, und daß für die wenigen rechten Philosophen eben diese Probleme unberührt, mitten auf der Fahrstraße und gleichsam unter den Füßen der Menge, liegen bleiben, um von ihnen dann sorgsam aufgehoben zu werden und von nun an als Edelsteine der Erkenntniß zu leuchten. Vielleicht sagen Sie uns in der kurzen Pause, die uns noch bis zur Ankunft Ihres Freundes bleibt, noch Etwas über Ihre Erkenntnisse und Erfahrungen in der Sphäre der Universität und vollenden damit den Kreis der Betrachtungen, zu denen wir unwillkürlich in Betreff unserer Bildungsanstalten genöthigt worden sind. Zudem sei es uns erlaubt, Sie daran zu erinnern, daß Sie, auf einer früheren Stufe Ihrer, Besprechungen, mir sogar eine derartige Verheißung gemacht haben. Von dem Gymnasium ausgehend, behaupteten Sie für dasselbe eine außerordentliche Bedeutung: an seinem Bildungsziele, je nachdem es gesteckt ist, müßten sich alle anderen Institute messen, an den Verirrungen seiner Tendenz hätten jene mitzuleiden. Eine solche Bedeutung, als bewegender Mittelpunkt, könne setzt selbst die Universität nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, die, bei ihrer jetzigen Formation, wenigstens nach einer wichtigen Seite hin nur als Ausbau der Gymnasialtendenz gelten dürfe. Hier versprachen Sie mir eine spätere Ausführung: Etwas, was vielleicht auch unsere studierenden Freunde bezeugen können, die unser damaliges Gespräch möglicher Weise mit angehört haben.«
»Dies bezeugen wir«, versetzte ich. Der Philosoph wendete sich gegen uns und versetzte: »Nun, wenn ihr wirklich zugehört habt, so könnt ihr mir einmal beschreiben, was ihr, nach allem Gesagten, unter der jetzigen Gymnasialtendenz versteht. Zudem steht ihr dieser Sphäre noch nahe genug, um meine Gedanken an euren Erfahrungen und Empfindungen messen zu können.«
Mein Freund erwiderte, schnell und behend wie seine Art ist, etwa Folgendes: »Bis jetzt hatten wir immer geglaubt, daß die einzige Absicht des Gymnasiums sei, für die Universität vorzubereiten. Diese Vorbereitung aber soll uns selbständig genug für die außerordentlich freie Stellung eines Akademikers machen. Denn es scheint mir, daß in keinem Gebiete des jetzigen Lebens dem Einzelnen so viel zu entscheiden und zu verfügen überlassen sei, wie im Bereiche des studentischen Lebens. Er muß sich selbst, auf einer weiten, ihm völlig freigegebnen Fläche, auf mehrere Jahre hinaus führen können: also wird das Gymnasium versuchen müssen, ihn selbständig zu machen.«
Ich setzte die Rede meines Kameraden fort. »Es scheint mir sogar,« sagte ich, »daß alles Das, was Sie, gewiß mit Recht, an dem Gymnasium zu tadeln haben, nur nothwendige Mittel sind, um, für ein so jugendliches Alter, eine Art von Selbständigkeit und mindestens den Glauben daran zu erzeugen. Dieser Selbständigkeit soll der deutsche Unterricht dienen: das Individuum muß seiner Ansichten und Absichten zeitig froh werden, um ohne Krücken, allein gehen zu können. Deshalb wird es schon frühe zur Produktion und noch früher zu scharfer Beurteilung und Kritik angehalten. Wenn die lateinischen und griechischen Studien auch nicht im Stande sind, den Schüler für das ferne Alterthum zu entzünden, so erwacht doch wohl, bei der Methode, mit der sie betrieben werden, der wissenschaftliche Sinn, die Lust an strenger Causalität der Erkenntniß, die Begier zum Finden und Erfinden: wie Viele mögen durch eine auf dem Gymnasium gefundene, mit jugendlichem Tasten erhaschte neue Lesart zu den Reizungen der Wissenschaft dauernd verführt worden sein! Vielerlei muß der Gymnasiast lernen und in sich einsammeln: dadurch wird wahrscheinlich allgemach ein Trieb erzeugt, von dem geleitet er dann auf der Universität selbständig in ähnlicher Weise lernt und einsammelt. Kurz, wir glauben, es möge die Gymnasialtendenz sein, den Schüler so vorzubereiten und einzugewöhnen, daß er nachher so selbständig weiter lebe und lerne, wie er unter dem Zwange der Gymnasialordnung leben und lernen mußte.«
Der Philosoph lachte hierauf, doch nicht gerade gutmüthig, und versetzte: »Da habt ihr mir sogleich eine schöne Probe dieser Selbständigkeit СКАЧАТЬ