Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше страница 133

СКАЧАТЬ Un­recht sein.

      Ich will euch, mei­ne Freun­de, ein Bei­spiel ge­ben. Wollt ihr einen jun­gen Men­schen auf den rech­ten Bil­dungs­pfad ge­lei­ten, so hü­tet euch wohl, das nai­ve zu­trau­ens­vol­le, gleich­sam per­sön­lich-un­mit­tel­ba­re Ver­hält­niß des­sel­ben zur Na­tur zu stö­ren: zu ihm müs­sen der Wald und der Fels, der Sturm, der Gei­er, die ein­zel­ne Blu­me, der Schmet­ter­ling, die Wie­se, die Ber­ges­hal­de in ih­ren eig­nen Zun­gen re­den, in ih­nen muß er gleich­sam sich wie in zahl­lo­sen aus­ein­an­der­ge­worf­nen Re­fle­xen und Spie­ge­lun­gen, in ei­nem bun­ten Stru­del wech­seln­der Er­schei­nun­gen wie­der­er­ken­nen: so wird er un­be­wußt das me­ta­phy­si­sche Eins­s­ein al­ler Din­ge an dem großen Gleich­niß der Na­tur nach­emp­fin­den und zu­gleich an ih­rer ewi­gen Be­harr­lich­keit und No­thwen­dig­keit sich selbst be­ru­hi­gen. Aber wie vie­len jun­gen Men­schen darf es ge­stat­tet sein, so nahe und fast per­sön­lich zur Na­tur ge­stellt her­an­zu­wach­sen! Die An­de­ren müs­sen früh­zei­tig eine and­re Wahr­heit ler­nen: wie man die Na­tur sich un­ter­jocht. Hier ist es mit je­ner nai­ven Me­ta­phy­sik zu Ende: und die Phy­sio­lo­gie der Pflan­zen und Thie­re, die Geo­lo­gie, die un­or­ga­ni­sche Che­mie zwingt ihre Jün­ger zu ei­ner ganz ver­än­der­ten Be­trach­tung der Na­tur. Was durch die­se neue an­ge­zwun­ge­ne Be­trach­tungs­art ver­lo­ren ge­gan­gen ist, ist nicht etwa eine poe­ti­sche Phan­tas­ma­go­rie, son­dern das in­stink­ti­ve wah­re und ein­zi­ge Ver­ständ­nis; der Na­tur: an des­sen Stel­le jetzt ein klu­ges Be­rech­nen und Über­lis­ten der Na­tur ge­tre­ten ist. So ist dem wahr­haft Ge­bil­de­ten das un­schätz­ba­re Gut ver­liehn, ohne je­den Bruch, den be­schau­li­chen In­stink­ten sei­ner Kind­heit treu blei­ben zu kön­nen und da­durch zu ei­ner Ruhe, Ein­heit, zu ei­nem Zu­sam­men­hang und Ein­klang zu kom­men, die von ei­nem zum Le­bens­kamp­fe Heran­ge­zo­ge­nen nicht ein­mal ge­ahnt wer­den kön­nen.

      Glaubt also ja nicht, mei­ne Freun­de, daß ich un­sern Real­schu­len und hö­he­ren Bür­ger­schu­len ihr Lob ver­küm­mern will: ich ehre die Stät­ten, an de­nen man or­dent­lich rech­nen lernt, wo man sich der Ver­kehrs­s­pra­chen be­mäch­tigt, die Geo­gra­phie ernst nimmt und sich mit den er­staun­li­chen Er­kennt­nis­sen der Na­tur­wis­sen­schaft be­waff­net. Ich bin auch gern be­reit zu­zu­ge­ben, daß die auf den bes­se­ren Real­schu­len un­se­rer Tage Vor­be­rei­te­ten voll­kom­men zu den An­sprü­chen be­rech­tigt sind, die die fer­ti­gen Gym­na­sias­ten zu ma­chen pfle­gen, und die Zeit ist ge­wiß nicht mehr fern, wo man der­ar­tig Ge­schul­ten die Uni­ver­si­tä­ten und die Staats­äm­ter über­all eben­so un­um­schränkt öff­net wie bis­her nur den Zög­lin­gen des Gym­na­si­ums – wohl­ge­merkt den Zög­lin­gen des jet­zi­gen Gym­na­si­ums! Die­sen schmerz­li­chen Nach­satz kann ich aber nicht un­ter­drücken: wenn es wahr ist, daß Real­schu­le und Gym­na­si­um in ih­ren ge­gen­wär­ti­gen Zie­len im Gan­zen so ein­müthig sind und nur in so zar­ten Li­ni­en von ein­an­der ab­wei­chen, um auf eine vol­le Gleich­be­rech­ti­gung vor dem Forum des Staa­tes rech­nen zu kön­nen – so fehlt uns so­mit eine Spe­cies der Er­zie­hungs­an­stal­ten voll­stän­dig: die Spe­cies der Bil­dungs­an­stal­ten! Dies ist am we­nigs­ten ein Vor­wurf ge­gen die Real­schu­len, die viel nied­ri­ge­re, aber höchst nothwen­di­ge Ten­den­zen eben­so glück­lich als ehr­lich bis­her ver­folgt ha­ben; aber viel we­ni­ger ehr­lich geht es in der Sphä­re des Gym­na­si­ums zu, auch viel we­ni­ger glück­lich: denn hier lebt et­was von ei­nem in­stink­ti­ven Ge­fühl der Be­schä­mung, von ei­ner un­be­wuß­ten Er­kennt­niß, daß das gan­ze In­sti­tut schmäh­lich de­gra­dirt sei, und daß den klang­vol­len Bil­dungs­wor­ten klu­ger apo­lo­ge­ti­scher Leh­rer die bar­ba­risch-öde und ste­ri­le Wirk­lich­keit wi­der­spricht. Also es giebt kei­ne Bil­dungs­an­stal­ten! Und dort, wo man de­ren Mie­nen we­nigs­tens noch er­heu­chelt, ist man hoff­nungs­lo­ser, ab­ge­ma­ger­ter und un­zu­fried­ner als an den Her­den des so­ge­nann­ten »Rea­lis­mus«! Üb­ri­gens, merkt euch, mei­ne Freun­de, wie roh und un­un­ter­rich­tet man in den Leh­rer­krei­sen sein muß, wenn man den stren­gen phi­lo­so­phi­schen Ter­mi­nus »real« und »Rea­lis­mus« in dem Maa­ße miß­ver­stehn konn­te, um da­hin­ter den Ge­gen­satz von Stoff und Geist zu wit­tern und um den »Rea­lis­mus« in­ter­pre­ti­ren zu kön­nen als »die Rich­tung auf das Er­ken­nen, Ge­stal­ten, Be­herr­schen des Wirk­li­chen«.

      Ich für mei­nen Theil ken­ne nur einen wah­ren Ge­gen­satz, An­stal­ten der Bil­dung und An­stal­ten der Le­bens­noth: zu der zwei­ten Gat­tung ge­hö­ren alle vor­han­de­nen, von der ers­ten aber rede ich.«

      +++

      Es mö­gen etwa zwei Stun­den ver­gan­gen sein, wäh­rend die bei­den phi­lo­so­phi­schen Ge­nos­sen sich über so be­frem­den­de Din­ge un­ter­re­de­ten. In­zwi­schen war es Nacht ge­wor­den: und wenn schon in der Däm­me­rung die Stim­me des Phi­lo­so­phen wie eine Na­tur­mu­sik in dem wal­di­gen Ge­he­ge er­k­lun­gen war, so brach sich jetzt, in der völ­li­gen Schwär­ze der Nacht, wenn er er­regt oder gar lei­den­schaft­lich sprach, der Klang in man­nig­fal­ti­gem Don­nern, Kra­chen und Zi­schen an den in’s Thal hin­ab sich ver­lie­ren­den Baum­stäm­men und Fels­blö­cken. Plötz­lich wur­de er stumm: er hat­te so­eben, mit fast mit­lei­di­ger Wen­dung wie­der­holt: »wir ha­ben kei­ne Bil­dungs­an­stal­ten, wir ha­ben kei­ne Bil­dungs­an­stal­ten!« – da fiel Et­was, viel­leicht ein Tan­nen­zap­fen, un­mit­tel­bar vor ihm nie­der, bel­lend stürz­te der Hund des Phi­lo­so­phen auf die­ses Et­was zu: – so un­ter­bro­chen, hob der Phi­lo­soph den Kopf und fühl­te mit ei­nem Male die Nacht, die Küh­le, die Ein­sam­keit. »Was ma­chen wir doch!« sag­te er zu sei­nem Beglei­ter: »es ist ja fins­ter ge­wor­den. Du weißt, wen wir hier er­war­te­ten: aber er kommt nicht mehr. Wir wa­ren um­sonst so lan­ge hier: wir wol­len ge­hen.«

      +++

      Nun muß ich Sie, mei­ne ver­ehr­ten Zu­hö­rer, mit den Emp­fin­dun­gen be­kannt ma­chen, mit de­nen ich und mein Freund, von un­se­rem Ver­ste­cke aus, dem deut­lich wahr­nehm­ba­ren und von uns gie­rig er­lausch­ten Ge­sprä­che ge­folgt wa­ren. Ich habe Ih­nen ja er­zählt, daß wir, an je­ner Stel­le und in je­ner Abend­stun­de, ein Erin­ne­rungs­fest zu fei­ern uns be­wußt wa­ren: die­se Erin­ne­rung be­zog sich auf nichts An­de­res als auf Bil­dungs- und Er­zie­hungs­din­ge, von de­nen wir, nach un­se­rem ju­gend­li­chen Glau­ben, eine rei­che und glück­li­che Ern­te aus un­se­rem bis­he­ri­gen Le­ben heim­ge­bracht hat­ten. So wa­ren wir denn be­son­ders ge­neigt, mit Dank­bar­keit der In­sti­tu­ti­on zu ge­den­ken, die wir einst, an die­ser Stel­le aus­ge­dacht hat­ten, um, wie ich schon frü­her mit­t­heil­te, in ei­nem klei­nen Kreis von Ge­nos­sen un­se­re le­ben­di­gen Bil­dungs­re­gun­gen ge­gen­sei­tig an­zu­spor­nen und zu über­wa­chen. Plötz­lich aber fiel auf jene gan­ze Ver­gan­gen­heit ein gänz­lich un­er­war­te­tes Licht, als wir schwei­gend und lau­schend uns den star­ken Re­den des Phi­lo­so­phen über­lie­ßen. Wir ka­men uns vor wie Sol­che, die mit ei­nem Male in un­be­wach­tem Wan­dern ih­ren Fuß an ei­nem Ab­grund fin­den: wir ahn­ten den größ­ten Ge­fah­ren nicht so­wohl ent­gan­gen als ent­ge­gen­ge­lau­fen zu sein. Hier, an der für uns so denk­wür­di­gen Stel­le, hör­ten wir den Mahn­ruf: »Zu­rück! Kei­nen Schritt wei­ter! Wißt ihr, wo­hin euer Fuß СКАЧАТЬ