Название: Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Автор: Jeremias Gotthelf
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
isbn:
Wenn ich beim Zurückdenken an diese Sachen wild werde, verzeiht es mir, liebe Leute. Ich will Euch jetzt auf die andere Seite des Bildes blicken lassen; vielleicht werde ich dann wieder weich, oder auch wieder wild; denn ich habe eine gar wundersame Natur; ich weiß nie, ob ich über eine Sache wild oder weich werde.
Rührsam war sicher der Anblick der Lehrlinge und ihr Treiben. Alle hatten tief gefühlt, daß ihr Wissen Stückwerk sei, so viel sie sich auch auf dieses Stückwerk einbildeten, hatten gefühlt, daß es ihrer Bestimmung nicht genüge. Alle waren wahrhaft hungrig und durstig, lechzeten ordentlich nach Vervollständigung dieses Stückwerkes. Aber alle waren durchaus ohne Bildung, ohne Hülfsmittel; sie wußten, was sie wußten; aber von dem, was sie nicht wußten, was es sei und wie viel es sei, hatten sie keinen Begriff, also ebenso wenig von dem, was sie eigentlich bedurften außer einigen Namen, wie z. B. Konstruieren. Vor allem Wissen lag für sie ein undurchdringlicher Vorhang, wie für alle Menschen vor der Zukunft. Alle hatten mit tausend Schwierigkeiten zu kämpfen, um diese Normalschulen zu besuchen. Einige mußten ihren Familien den notwendigen Sommerverdienst entziehen, mußten ihre Sonntagskleider, die für einen Schulmeister manches Jahr halten müssen, abnutzen; sahen einem Winter entgegen, wo geschmalbartet werden mußte; sahen allemal, wenn sie heim kamen, der Frau saures Gesicht und hörten saure Klagen über Kinder und Nachbarsleute; sahen voraus, dieses saure Gesicht den ganzen Winter über sehen zu müssen, wenn der Schmutz in der Küche fehlte und fast das Salz auf dem Tisch. Aber sie kamen doch. Andere hatten ähnlichen Stand mit Vätern und Müttern, die das Geld für so etwas Neumodisches zu lernen nicht hergeben wollten; mußten von allen Geschwistern sich angrännen lassen, wenn sie das wöchentliche Kostgeld, mühselig erbettelt, endlich forttrugen. Andere brachten den sauren Verdienst von Jahren dar, alle aufgesparten Kreuzer seit ihrer Geburt, versagten sich das Notwendigste, um nur auszukommen, oder mußten, wie auch ich, jede Zwischenstunde, die zu ermüßigen war, zur Arbeit benutzen, mußten, an Leib und Seele ermüdet, ein Werkholz in die Finger nehmen, wenn auch die ermatteten Augen alle Augenblicke zufallen wollten.
Alle diese sammelten sich des Morgens, wie die Spatzen auf einem Weizenfelde, auf den harten hölzernen Bänken und horchten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf die vorgetragene Weisheit. Sie schrieben mit einer Ängstlichkeit, als wenn sie Evangelien zu schreiben hätten, und auch das vergessene Komma ließ sie nicht ruhen, bis sie es ergänzt. Alles wollte man behalten und es konnte einen recht unglücklich machen, wenn man am Abend nicht alle Worte des Lehrers wieder hersagen konnte, wie die Fragen im Heidelberger. Denn das Auswendigbehalten hielt man natürlich für die Hauptsache; war es doch auch die Hauptsache in den Schulen. Man begnügte sich aber nicht nur mit den Lehrstunden, sondern auch in den Mittags- und Abendstunden schrieb man und trieb man, was zur Sache gehörte; kaum ließ man sich Zeit zum Essen. So wollte mir z. B. das Konstruieren nicht recht in Kopf. Wo ich stund, ging und arbeitete, hatte ich das Konstruieren im Kopf und repetierte das am Tage Vorgekommene. Ich konnte die meisten Geschichten auswendig; daher konnte ich mich allenthalben damit beschäftigen.
So heißt es z. B. in der zweiten Geschichte des N. T.: Um jene Zeit befahl der Kaiser Augustus, daß alle Einwohner Palästinas aufgeschrieben würden. Nun suchte ich das Zeitwort, fand es aber gewöhnlich lange nicht. Ich versuchte mit würden, mit jene, mit aufgeschrieben; aber alles ging nicht. Endlich probierte ich mit befahl. Es befahl! Wer befahl? Der befahl! Wer der befahl? Der Kaiser Augustus befahl! Was befahl er? Um jene Zeit. Ja, das war nicht recht; ich sann lange und fand endlich, daß ich fragen müsse, um alle Worte ordentlich zu bekommen: Wann befahl der Kaiser Augustus? Um jene Zeit befahl der Kaiser Augustus. Und was befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. Was daß befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß (nun langes Besinnen und Irriges) würden. Was daß würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß aufgeschrieben würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. Daß wer (das was setzte mich lange in Verwirrung) aufgeschrieben würden, befahl um jene Zeit der Kaiser Augustus? Daß alle Einwohner Palästinas aufgeschrieben würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. O, wenn ich einen solchen Satz glücklich zu Ende gebracht hatte, wie glücklich war ich dann; und wohl zehnmal repetierte ich ihn, um ihn ja nicht wieder zu vergessen.
Doch selten kam ich so glücklich und leicht durch. Dann mußte mich ein anderer abhören, mir einhelfen, dem ich den gleichen Dienst bei Gelegenheit wieder that. Ebenso repetierte ich anderes, namentlich die verschiedenen Taktarten, die Schläge aller Arten, und verwarf für mich die Hände, ärger als der Pfarrer auf der Kanzel. Auch die Zauberformeln des Rechnens, das Multiplicieren der Zähler mit den Nennern, der Zähler mit einander und wieder der Nenner: das Teufelswerk konnte ich nie recht behalten. Ich glich einer wandelnden Brummelsuppe; man hörte mich schon von weitem surren und meine Kostleute beklagten sich, das gehe auch im Traume fort, so daß des Nachts sie meinten das Spulrad zu hören.
Nebenbei sorgte man noch vorsichtig für die Zukunft, für Kinderlehren und Leichenpredigten, auf die man hinsah mit schauerlicher Wonne, wie die Weiber auf eine Kindbetti. Es besuchte uns oft einer, der gab sich aus für gar einen Gelehrten, und im Reden fürchte er niemand und keinen Pfarrer, und es hätte ihn schon manchmal dünkt, es seien viel schlechtere Sachen gedruckt, als was er aufsetze. Er setze zwar nie für sich auf, sagte er, sondern für gute Freunde, die ihn darum bitten. Wir betrachteten den Mann mit gar großem Respekt, der es fast bis zum Drucken gebracht, und baten auch von ihm Aufgesetztes, um es abzuschreiben. Er brachte uns gar willig und erzählte uns bei jeder Rede gar schön ihre Empfängnis, ihre Geburt und ihre Wirkung. Einmal verlor er ein ganzes Säckli voll; wie er das machte, weiß ich nicht, man wurde nie recht klug daraus. Das hätte jeder von uns so gerne gefunden, aber, ich glaube, keiner den papierenen Schatz zurückgegeben. Glücklicherweise fand ihn keiner von uns, sondern ein anderer, der nichts damit zu machen wußte. Unser Gelehrte hatte das aber sehr ungerne.
Obgleich schon anfangs wir die Sache so ernst betrieben, so war doch das noch gar nichts gegen unseren Eifer, als es gegen das Ende der Schule und gegen das Examen ging; da wußten wir wirklich nicht mehr recht, gingen wir auf den Köpfen oder auf den Füßen. Man glaube aber gar nicht, daß dieser Eifer nur erzeugt wurde durch das Examenfieber. Allerdings klopfte uns das Herz, wenn wir daran dachten, daß wir nach Bern vor die Herren des Kirchenrates müßten, die wir uns vorstellten wie kleine Hergötter oder wenigstens wie Erzengel. Damals wußte man noch nicht, daß Erzväter eigentlich Erziehungsväter bedeuteten, wie Erz.-Departement Erziehungs-Departement; sonst hätten wir sie uns wie Erzväter vorgestellt, wie Aberham, Isaak und Jakob. Nein, sondern es war die Angst, wir möchten um einige Bissen Wissen verkürzt werden oder einige erhaltene Bissen wieder vergessen. Die Felder des Wissens blieben uns wie zuvor hinter dem dicken Umhang und aus dem hervor reichte uns der Lehrer Brocken um Brocken. Wie viel noch dahinter sei, wußten wir nicht. O, wie wir uns über jeden erhaltenen freuten, weil er uns ein ganz neuer und eben ein Brocken war, und wie wir uns meinten, wenn wir ihn zu uns gesteckt hatten! Und um so mehr meinten wir uns, weil wir glaubten, wir hätten bald alles im Leibe, was brauchbares hinter dem Umhang sei. Das war es, was uns den Trieb und die Ausdauer gab, welche die meisten von uns beseelten. Freilich waren auch einige darunter, СКАЧАТЬ