Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
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Читать онлайн книгу Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias Gotthelf страница 32

СКАЧАТЬ hatte, so war man mit dem Satz fertig. Gewöhnlich wurde noch auf die Hauptwörter aufmerksam gemacht, die man an den großen Anfangsbuchstaben kennen lernte; um die andern Wörterklassen bekümmerte man sich weniger. Der Sinn der Worte, der Inhalt des Gelesenen :c. wurde nie erklärt. So geschah es z. B., daß bei dem Vorexamen der Schulkommissär naseweis fragte, was das Wort Palästina bedeute. Schnell flüsterte unser Lehrer dem Gefragten zu: »Eine Stadt im jüdischen Lande.« Er wußte also wohl, warum er sich nicht tiefer ins Erklären einließ. Beim Themaschreiben ging es wieder recht langsam zu; denn im Auffassen der Worte waren wir ungeübt, und noch viel mehr im Auswendigbuchstabieren derselben, und ebensosehr im Auffinden der nötigen Buchstaben, so daß wir selten Zeit hatten, an die Wörterklassen noch obendrein zu denken. Das Denken an die Satzzeichen ersparte man uns, indem sie angegeben wurden. War man endlich fertig, so gab der Lehrer einem sein Buch; dieser buchstabierte vor und wir sollten korrigieren, wobei selten einer nachkam, und gewöhnlich die Hälfte der Fehler stehen blieb. Auch wechselte man dabei untereinander die Tafeln, in dem schönen Glauben, daß man die Fehler des Nächsten besser sehen werde als die eigenen; aber das half nicht viel, weil der Buchstabierende manches Wort buchstabierte, während der Korrigierende in seiner Unbehülflichkeit einen einzigen Buchstaben machte. Und einen Buchstaben machen und zugleich auf den andern hören, das gehörte mir damals unter das Hexenwerk, das einem ehrlichen Christenmenschen nicht zuzumuten sei.

      Bei dem Rechnen aber wurde wirklich Hexenwerk getrieben. Denn wir machten fast alle möglichen Rechnungsarten durch: die vier Species in ganzen und gebrochenen Zahlen, Heustockrechnung, Regula de tri, Gesellschaftsrechnung, Zinsrechnung; sogar die Quadratwurzel zogen wir aus und fast wären wir sogar bis zur Kettenregel gekommen. Das ging wunderschnell zu. Es hieß: »Passet auf, das macht man so und so,« und an der Tafel wurde es vorgemacht. Dann mußten ein oder mehrere Beispiele an der Tafel von Schülern durchgerechnet werden, und wer ein gutes Gedächtnis hatte, der machte Strich für Strich nach, wie er es vor einigen Minuten gesehen hatte. Dann hieß es: »Es geht; schreibt jetzt das oder diese Beispiele in Eure Schrift ab, damit Ihr es nicht wieder vergesset.« Und es geschah also. Wahrscheinlich kannte der Lehrer das Lied: »Mit seinen Heften ausstaffieret, heißt er ein grundgelehrter Mann.« An das Zahlensystem dachte niemand; das setzte man voraus; man nahm an, es sei uns des Nachts über in die Köpfe gefallen wie den Kindern Israel in der Wüste das Manna.

      Auf das Katechisieren wurde besonders viel verwandt. Hing es doch mit den Kinderlehren zusammen, der Herzensangst der angehenden Schulmeister, der Seelenlust der ältern. Natürlich lag hier einzig und allein das Fragenbuch zu Grunde, über dessen Abfassung, Form, Veranlassung uns gar nichts gesagt wurde. Wir wußten nicht, wer da fraget und wer antwortet. Von den christlichen Lehrsätzen, auf welchen die Antworten ruhen, sagte man uns gar nichts, sagte uns nichts von der Trennung und dem Unterschied der katholischen und reformierten Kirche, wodurch einzig eine Menge Fragen begreiflich werden. Also eigentlichen Stoff gab man uns nicht zur Hand; eine eigentliche Grundlage legte man nicht. Die Hauptsache war die, daß der Lehrer fragen konnte, was er zu fragen wußte, mit dem Fragen nie stockte. Ob auf die Frage eine vernünftige Antwort natürlich folgen könne, ob auf die letzte Antwort die nächste Frage passe, und ob jede zum Ziele führe, darauf kam es wieder nicht an. Man fragte so, daß man Ja oder Nein bestimmt erwarten konnte; man half sich mit Müslins Erklärungen zum Heidelberger durch, der das Fragen und auf das Fragen das Antworten auch recht bequem macht. So wußte mancher nicht, ob die erhaltene Antwort die rechte sei. Die Erklärung der Worte und Begriffe bestund nur darin, daß man die Hauptwörter mit dem Zeitwort umschrieb, und wo kein Zeitwort aus dem Hauptwort zu machen war, da nahm man einen Gump über das Wort, z. B. Natur, Reich ec. Z. B.: Was isch Trost? Wenn man einen tröstet. Ja, wenn er betrübt ist und man ihn dann tröstet. Was ist Leben? Wenn einer lebt, wenn einer hier auf der Welt ist und lebt. Dann mußten wir auch Anwendungen machen, zu welchen Bücher uns halfen, und machten gar oft solche, die wir selbst nicht begriffen. Begriffen wir doch auch die Fragen nicht.

      Ganz besonderes Gewicht wurde darauf gelegt, daß man eine Sache durch Gleichnisse erörtere. Wo mein Lehrer diesen Grundsatz aufgefischt, weiß ich nicht. Aber auf Beispielen hielt er viel; mochten sie übrigens passen wie eine Faust auf das Auge, das war gleichgültig, wenn es nur ein Gleichnis war.

      Das war an sich ganz recht, daß man die toten Begriffe übertragen sollte auf die lebendigen Verhältnisse und das Dunkle klar machen durch Anschauungen. Allein das wurde eigentlich gar nicht begriffen und so dem Kind Anschauungen und Verhältnisse vorgeführt, von denen es noch viel weniger begreifen konnte und sollte, als von den Begriffen und Worten selbst, z. B. über das siebente Gebot. Überhaupt ward hauptsächlich darauf gesehen, daß einer an einer Frage seine gehörige Zeit zu verbrauchen wüßte, ohne eben merklich zu stocken. Das ist allerdings eine große Kunst, die in der großen Welt besonders geübt und geschätzt wird, eine halbe Stunde über eine Sache zu schwatzen, ohne etwas davon zu verstehen. Diese Kunst hat schon viel Geld, viel Ehre erworben und viel Sand in die Augen gestreut. Und diese Kunst uns Lehrlingen, die wir ein so steifes schweizerisches Mundwerk hatten und so gar keinen Schwung in der Einbildungskraft und so gar keinen Wortvorrat, beizubringen, war eine noch viel größere Kunst. Ich glaube, man hätte uns fast ringer die Sache selbst beigebracht, unsere Seelen mit dem Stoff bereichert, als ohne Stoff uns darüber schwatzen gelehrt. Aber so haben es die Menschen; sie zäumen lieber das Roß beim Schwanz als beim Kopf, und treiben lieber das Verkehrteste mit großer Anstrengung und ohne Nutzen, als das Natürliche verständig. Es nimmt mich nur wunder, wie viele Menschen einsten zur Strafe ihres hiesigen Treibens in der Unterwelt Wasser in ein durchlöchertes Faß schöpfen und den Mühlstein den Berg keuchend hinaufwälzen müssen, um denselben droben entgleiten und ins Thal rollen zu schen, und so Tag um Tag, für und für in der langen, langen Ewigkeit.

      Es ist doch gewiß ein gräßlich Ding, ein solch Abrichten, gerade wie man Gügger abrichtet, zu pfeifen, was sie auch nicht begreifen. Und das ist das Schauervollste, daß man im neunzehnten Jahrhundert solches treiben konnte und nicht wußte, was man that, wie man sich damit an der Menschheit und somit auch an Gott versündigte. Vielleicht wußten die wohl, was sie thaten, welche mit solchen Normalschulen nur den Schein retten wollten, die Sache selbst aber nicht wollten. Nun dann möge der liebe Gott ihren armen Seelen gnädig sein! Am schauervollsten aber ist die Schamlosigkeit oder die bodenlose Dummheit, mit welcher sich diese Menschen dieses Treibens rühmen, behauptend, bei der künstlich erhaltenen Dummheit sei das Land glücklich und fromm gewesen, und durch Aufklärung, durch Weckung und Bildung der Geisteskräfte werde es unglücklich und gottlos. Glauben denn eigentlich solche Menschen auch an Gott, glauben die auch an Jesum Christum, der ein Licht der Welt war und kam, die Menschen zu erleuchten? Glauben solche Menschen an beide? — die öffentlich sich aussprechen, nur mit andern Worten: die Bestimmung des Menschen sei die der Sau, daß es ihm wohl sei und behaglich im D..ck; die nach obrigkeitlichem Maß und Gewicht dieser Sau nur so viel Verstand zukommen lassen wollen, daß sie einsehe, sie müßte sich mästen, um von Zeit zu Zeit das überflüssige Fett sich abzapfen zu lassen. Glauben denn die auch an Gott, welche die Geister der Menschen binden mit den Fesseln des Aberglaubens, der Finsternis, der Vorurteile, um der Leiber ungestörter sich bemächtigen zu können?

      Hatten wir uns sturm katechisiert, so ging es ans Singen, vom Psalmensingen bis zum Figuralgesang, in welchem zu üben wir den Gellert hatten.

      Da lernten wir die verschiedenen Kreuze kennen und die Noten teilen in halbe, Viertel- und Achtelnoten, lernten die Taktschläge, den Seitenschlag, den Brustschlag und wie die Schläge alle heißen; lernten singen, daß die Fenster klirrten und die Muheime auf dem alten Ofen herumsprangen wie wild. Damit beschlossen mir gewöhnlich unsere Lehrstunden.

      Fassen mir nun das Ganze ins Auge, so sieht man zuerst, wie weniges uns beigebracht wurde, und betrachtet man dann das wenige, wie man es uns beibrachte, so steht einem der Verstand stille. Daß wir es in diesem zu einiger Fertigkeit brächten, war die Hauptsache; ob es beim Kinde von Nutzen sei, und wie und in welcher Stufenfolge man es ihm beibrächte, darum bekümmerte sich niemand. Überhaupt von der Natur des Kindes war nie die Rede, also ebenso wenig von der Entwicklung seiner Geisteskräfte. Daß die Schule ein doppeltes solle: vor allem aus die inwohnenden Kräfte entbinden durch den den Kindern СКАЧАТЬ