Название: Tod im Kanzleramt
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738048872
isbn:
Die Kellner und Kellnerinnen trugen weiße Togen und machten mit Cocktails und kleinen Kanapees die Runde, die ich natürlich ignorierte. Low-Carb-Diät, wenn Sie wissen, was ich meine. Das Behelfsbüffet entdeckte ich auf der linken Seite neben dem Standort der Band. Ich ignorierte es mit Höchstignoranz. Ich sah Frank-Walter Steinmeier davor stehen und machte einen diplomatischen Bogen. Vielleicht konnte ich ihm ja später etwas über die Ukraine, über die dortigen Fracking-Experimente und die Flüchtlingsströme aus Afrika und dem Nahen Osten entlocken. Im Moment war mir nicht danach.
Gaby schlief, Ken Jebsen konnte ich nirgendwo entdecken, also näherte ich mich der Smalltalkgruppe, die sich um die Kanzlerin gebildet hatte. Günther Jauch stand schlacksig neben meiner Chefin, die jetzt pummelig und etwas plump aussah. Volker Bouffier, mein CDU-Landesvater, und sein grüner Stellvertreter Tarek Al-Wazir standen dabei. Wieder hörte man ein fernes Grollen, als tobe sich die Natur einmal anständig aus - und lege uns eine dringende Warnung nahe. Ich sagte bereits: Komisches Wetter. Komische Gäste. Und – mich eingeschlossen – komische Gastgeber. Denn wir alle, die wir im Kanzleramt arbeiteten, hatten ein komisches Gefühl. So viel Pleiten, Pech und Pannen hatten wir hier selten erlebt. Weder funktionierten die Amtsleitungen, noch unsere Handys oder auch nur die Handys unserer Gäste. Soweit wir durch die Fenster unserer Büros nach draußen in die regendurchpeitschte Nacht blicken konnten, sahen wir keinen Menschen. Und keine Fahrzeuge. Und keine Straßenbeleuchtung. Berlin schien wie tot.
Verwunderlich war, wie gelassen die Partygäste alles hinnahmen; den Ausfall der gesamten Elektrik, das Ausbleiben externer Hilfe, ihre Quasigefangenschaft im wichtigsten Regierungsgebäude der Europäischen Union. Ich glaube, es ist das Vertrauen in solch einen riesigen Apparat, der die Unbedarften ruhig bleiben lässt. Aber es flossen ja auch Bier, Wein, Sekt, Saft und Champagner. Und Lafer kredenzte alles, was das teure Partyherz begehren mochte. Dass wir auch auf der Ebene der Kommunikation von der Außenwelt völlig abgetrennt waren, dass die unterirdischen Zugänge zu den Ministerien der Verteidigung und des Innern total blockierten, dies war zu diesem Zeitpunkt freilich nur einem internen Zirkel bekannt: Angela Merkel, Amtsmanager Altmaier, Außenmanager Steinmeier, Frau von der Leyen und mir sowie den beiden Chefs der hausinternen Sicherheitsgruppe.
Die Gäste waren ahnungslos. Man unterhielt sich glänzend über dies und das, tauschte allerlei Informationen und noch mehr Belanglosigkeiten aus. Als die ersten Gäste gehen wollten, überzeugte sie Altmaier mit seinem berüchtigten Charme, den ich hasste. „Wir haben im Moment ein kleines elektrisches Malheur mit der Schleusenfunktion unserer Sicherheitstüren und würden Sie gerne bitte, vielleicht noch ein Stündchen mit uns zu feiern.“ Das war gegen ein Uhr am Morgen.
Nach einem Party-Krisengipfel im Büro der Kanzlerin mit dem erwähnten internen Zirkel verkündete um zwei Uhr morgens Maybritts lieblich-strenge Stimme, man müsse sich aufgrund besonderer Umstände damit abfinden, entweder bis zum Morgen durchzufeiern oder aber vom Übernachtungsangebot der Kanzlerin Gebrauch zu machen. Ihre Stimme klang entschlossen und topfit. Im zweiten Untergeschoss hatte der Hausservice bereits in einem turnhallengroßen Saal Feldbetten aufgestellt. Unwillkürlich dachte ich an die Erstaufnahmelager von Kriegsflüchtlingen. Während ein großer Teil der Gäste – vielleicht an die hundertfünfzig – noch feierten und Steffen Seibert etwas unsexy in seiner steifen Regierungssprecherart zum Tanz aufrief, sah ich fast ein Viertel der Gäste nach unten ins Bettenlager verschwinden. Ich blieb wach und nahm noch einen Schluck aus meinem Glas Orangensaft, das ich mir hatte reichen lassen.
Kai Diekmann, der BILD-Chefredakteur, kam auf mich zu. „Herr Koenig, irgendwann schreiben Sie auch für mich, wetten?“ begrüßte er mich und schlug hart in die Hand, die ich ihm höflich-zaghaft entgegenstreckte.
„Haben Sie je eine Wette verloren?“ fragte ich.
„Gerade eben“, antwortete er und lachte schallend. „Hab ich doch glatt darauf gewettet, dass die Herren aus dem Porsche- und VW-Vorstand geladen sind.“
„Vielleicht wieder einmal vor Gericht. Nicht hier.“ Ich sah ihn lächelnd an. „Die Gastgeberin dachte, bevor es hier zu sehr nach Abgasen riecht wie damals, lässt sie den Herren lieber mitteilen, dass die Gästeliste bereits erschöpft sei.“ Ich sagte zum BILD-Chef, dass all diese Skandale zwar nun vier Jahre zurück lagen, aber offensichtlich doch noch Auswirkungen zeitigten, aber Kai Diekmann sah zu Maike Kohl und wandte sich halb von mir ab. Er hatte sich für sie und Helmut Kohl damals als Trauzeuge zur Verfügung gestellt. Er zeigte mir, dem kleinen Auftragsschreiberling, ziemlich schnell die kalte Schulter und hängte mich gesprächstechnisch ab, indem er - leiser werdend - mit Maike Kohl über Helmuts Gesundheitszustand sprach.
Nebenan hörte ich Prof. Stefan Stevanovicz, den Leibarzt der Kanzlerin, wie er mit einer hochhackigen Dame witzelte. „Das Dumme am Leben ist, dass man eines Tages tot ist.“
Die Dame verzog ihren rotbemalten Mund ohne zu zeigen, ob ihr das etwas sagte oder nicht. Ich fand es jedenfalls witziger als Herrn Maschmeiers halb alkoholisiertes Geständnis, das von nebenan an mein Ohr drang. „Wissen Sie, wenn ich ehrlich bin, dann lüg ich richtig gut!“ Die um ihn versammelte Männerrunde – so stellte ich mir seine Drückerkolonne vor – lachte auffallend laut.
Ich bummelte noch eine Weile durch die Reihen, sah Alice Schwarzer mit ihren Händen umherfuchteln, begegnete Wolf Biermann, der wohl auch einen Auftritt hier haben sollte. Ralf Fücks, der Vorsitzende der einflussreichen grünen Heinrich-Böll-Stiftung, stand bei seiner Gattin Marie-Luise Beck, die von Anfang an beste Beziehungen zum Kiewer Putschregime gehalten hatte. Neben ihnen stand ihre Tochter Charlotte Beck, die – wie mir Frau Baumann erzählt hatte – für Angies Party extra aus den USA angereist war, wo ihr Daddy ihr im Washingtoner Büro der Grünen Stiftung einen Job als Abteilungsleiterin für den Bereich Außen- und Sicherheitspolitik besorgt hatte.
Dann ging ich hinauf in den Trakt, wo mein Büro lag, um bei Altmaier hineinzusehen. Würde sein Weltempfänger wieder funktionieren? Würden wir Nachrichten oder zumindest irgendein musikalisches Lebenszeichen von außerhalb empfangen? Als ich anklopfte, sein forsches „Herein“ hörte und die Tür sanft öffnete, saß er mit Steffen Seibert vor dem Radio und versuchte einen Sender zu finden. „Unglaublich! Ich kann noch nicht einmal den Deutschlandfunk bekommen“, sagte der Kanzleramtsminister. „Glaubst du, dass der Sturm den Sender unterbrochen hat?“
Seibert nickte. Der Deutschlandfunk ist der UKW-Sender für deutsche Nachrichten, die in alle Welt hinausgesendet werden. Bei den Russen spricht unser Regierungssprecher in einem solchen Fall von einem Propagandasender. Die nächste DF-Sendestation befindet sich auf dem Fernsehturm am Alexanderplatz, etwa einen Kilometer Luftlinie von uns entfernt.
„Vermutlich ist das Unwetter schuld“, meinte ich, nachdem ich den beiden freundlich zugenickt hatte. „Haben Sie schon einmal versucht, ihn auf Mittelwelle Mainz zu bekommen?“
„Von Kurz- über Mittelwelle bis UKW haben wir alles seit dreißig Minuten durchgespielt“, antwortete Seibert. „Alles, was wir hörten, war ein unbestimmtes Rauschen. Sehr merkwürdig.“
„Am besten wir mischen uns unter die Gäste und vertrösten sie auf eine Lösung am Morgen. Wissen Sie, ob wir genügend Schlafplätze für zweihundert Leute vorbereitet haben, СКАЧАТЬ