Tod im Kanzleramt. Stefan Koenig
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Название: Tod im Kanzleramt

Автор: Stefan Koenig

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738048872

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СКАЧАТЬ Kerze an, während die anderen die Kartons mit den Kerzen trugen. Wir gingen zurück in den Partysaal. Er wurde von einer Serie weißer und purpurner Blitze in grelles Licht getaucht. Auf dem Weg dorthin hörte ich, dass Yousef in einem Nebenraum in Tränen ausbrach, und dass Gabriele leise und beruhigend auf ihn einsprach. Angela war wieder zu den Partygästen gegangen, um ermutigend auf sie einzuwirken. Ich glaubte gehört zu haben wie sie sagte: „Wir schaffen das!“ Doch ich kann mich auch täuschen. Gut war, dass sie ihre bekannte Beruhigungshaltung einnahm; es wäre ja auch wirklich zu beschämend gewesen, wenn sie sich in dieser Situation nur um Yousef gekümmert hätte.

      Ich eilte zu Peter Altmaier, dem Kanzleramtsminister, der bereits mit einem Mitarbeiter der Gebäudeverwaltung und mit einem Sicherheitsbeamten sprach.

      „Herr Koenig, wir haben nicht nur einen Ausfall des Normalnetzes zu verzeichnen. Auch die Notstromaggregate sind ausgefallen und ich bitte Sie, jetzt keine Staatsaffäre daraus zu machen.“

      Ich kann diesen Mann, der dummerweise auch mein Büronachbar ist, nicht leiden. Er schießt immer völlig unnötige Spitzen gegen mich ab.

      „Ich habe Kerzen besorgen lassen“, antwortete ich.

      Er nickte gnädig. Ich spürte, dass er meine kluge Entscheidung später als vorauseilenden Gehorsam diffamieren wird. Der Regen hämmerte so schrecklich laut, dass ich den Eindruck hatte, das Kanzleramt würde von prasselnden Flammenzungen gefressen. Frau Illner ließ das Servicepersonal die Kerzen aufstellen und bald herrschte eine gemütlichere Stimmung als zuvor, wenn man in der Lage war zu vergessen, dass es ein Draußen gab. Ich fragte mich, ob die Moderatorin, oder sogar ich, vielleicht gute Innenarchitekten geworden wären. Allein dieser Gedanke zeugt davon, dass ich mir damals der dramatischen Situation nicht bewusst war.

      Ich ging nun nach unten. Yousef rannte auf mich zu und umklammerte meine Beine. Ich hob ihn hoch und drückte ihn fest an mich. Dann zündete ich auch hier im Schutzraum neben der Küche die Kerzen an, brachte Lafer noch einen Karton von diesen altbewährten Leuchtmitteln aus purem Wachs, damit er bei flackerndem Licht und mit der Umschaltung auf Gasbetrieb weiterkochen konnte, und wir lauschten dem Brausen des Sturms und seinem wütenden Zerren am Amtssitz unserer Regierung. Trotzdem wir uns im Untergeschoss befanden, hörten wir doch, wenn auch gedämpft, wie oben das Unwetter tobte.

      Gabriele und ich blieben vorerst hier, um den kleinen Yousef zu beruhigen. Etwa zwanzig Minuten später hörten wir ein gewaltiges Krachen; eine der großen alten Fichten im Kanzleramtsgarten stürzte zu Boden und das Gebäude schien zu erzittern. Angeblich ist es erdbebensicher gebaut, aber in dieser Situation konnten wir dem keinen Glauben schenken. Dann trat Windstille ein. Wir gingen wieder die Treppe hoch zur Party. Die Panoramafenster, die den Blick zum Garten hinaus freigaben, waren mit schweren Vorhängen verhangen worden. Wahrscheinlich hatten Illner und Angies Büroleiterin, Frau Baumann, beschlossen, die Gäste vor dem Anblick der wütenden Natur zu verschonen. Ich ging an die Fensterfront und schob den Vorhang etwas zur Seite. Der Mond schien in stummer Einsamkeit.

      „Ist es vorbei?“ fragte Gabriele.

      „Vielleicht“, antwortete ich. „Vielleicht aber auch nur eine kurze Unterbrechung.“

      Und genauso war es. Etwa eine halbe Stunde später setzte der Wind wieder ein. Drei Wochen hatten wir in Berlin und Brandenburg Temperaturen von über vierzig Grad gehabt, und an sechs dieser einundzwanzig Tage hatte der Deutsche Wetterdienst sogar über fünfundvierzig Grad gemeldet. Komisches Wetter!

      Ich sah mir jetzt mit der Distanz eines Scheintoten, wahrscheinlich den Ereignissen geschuldet, wie aus der Sicht eines plötzlich Schwebenden die Partygesellschaft an. Meine Tischnachbarin von vorhin, die Verteidigungsministerin, stand zusammen mit Günter Jauch und Carsten Maschmeier. Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, Maschmeier habe Uschi mit einem lauten Auflachen an den Hintern gefasst, aber ich führte diese Halluzination auf meinen überreizten Zustand zurück. Sie schienen sich jedenfalls köstlich zu amüsieren. Offensichtlich spielte das Unwetter für sie keine Rolle mehr.

      Ein paar Meter entfernt stand eine Gruppe von Partygästen, denen eine Servicekraft gerade ein Tablett mit Sekt oder Champagner unter die Nase hielt. Ich erkannte Anne Will in dieser Runde ebenso wie Volker Kauder und Gregor Gysi. Auch sie schäkerten oder alberten herum. Eine furchtbar aufgetakelte, halbnackte Lady tippte Gregor von hinten auf die Schulter. Als er sich umdrehte, wandte sie mir das Gesicht zu und ich erkannte sie. Es war Lady Marmelade. Wahrscheinlich hatte sie hier im Laufe der Partynacht einen ihrer schrillen Auftritte. Veronika Ferres blickte amüsiert auf Till Schweiger hinunter. Ich sah, wie sie ihn am Ohr zupfte. Aha, dachte ich, Keinohrhase. Draußen donnerte es. Irgendwas prasselte gegen die Fenster. Komisches Wetter. Komische Gäste.

      Herunterkrachende Bäume

      Zusammen mit dem strengen Winter und dem späten Frühling hatte es schon dazu geführt, dass manche Kommentatoren der BILD, WELT, aber auch von SPIEGEL und der SÜDDEUTSCHEN den Scientologen, der allgemeinen Gottlosigkeit, dem terroristischen IS oder eben Putin und seinen Trollen die Schuld gaben.

      Die wenigen kritischen Medien, die sich zu den merkwürdigen Wetterphänomen ihre Gedanken machten, brachten andere Überlegungen ins Spiel. Angeblich wurden in der Westukraine in viertausend Metern Tiefe die Basaltschichten mit Chemikalien unter hohem Druck aufgebrochen, um ein Gas zu gewinnen, das um das Dreifache ergiebiger sein sollte als das berüchtigte Schiefergas. Es hieß, amerikanische Unternehmen seien dort am Werk. Durch die Veränderung der Atmosphäre und wegen einer Unmenge anderer, angeblich wissenschaftlich bewiesener Faktoren, die überkreuzend sich gegenseitig verstärkten, habe dies nun mal Einfluss auf die hiesigen Wetterverhältnisse und so weiter. Ich habe mich allerdings gefragt, was diese fernen Ereignisse mit unserer meteorologischen Lage im Herzen Mitteleuropas zu tun haben sollen. Aber wie es eben mit komplizierten Fragen ist, man erhält meistens die Antwort zu spät. Viel zu spät.

      „Das alles ist nicht weit weg“, sagte mir Ken Jebsen, als ich mit ihm, zirka drei Wochen vor der Party, an einem dieser überhitzten Tage einen Eiskaffee im Café Einstein trank, wo wir nicht unweit von Joschka Fischer saßen. „Nur zwei Flugstunden!“

      Ken hatte über Neuigkeiten zum Abschuss der MH17 durch ukrainische BUK-Raketen berichtet, was nun endlich bewiesene Sache sei. Ich habe dies später selbst recherchiert, und sein Bericht bestätigte sich. Übrigens hatte ich Ken an jenem Nachmittag versprochen, ich würde dafür sorgen, dass er bei Angies Party antanzen könne. Wenn das klappt, so bat ich ihn, möge er sich aber nicht an mich klammern, weil es vorstellbar sei, dass alle versammelten Medienvertreter dies nur zu unserem Nachteil ausschlachten würden. Er und ich fanden meine Idee lustig. Und ich war später froh, dass ich ihn dann doch im Laufe des unheimlichen Geschehens an meiner Seite wusste.

      Wir hielten Fischers Anwesenheit im EINSTEIN nur so lange aus, bis sich John Kornblum, der ehemalige US-Botschafter, zu ihm setzte; der Amerikaner ist ein ausgemachter, aber durchaus sehr heimlicher und intriganter Gegner des europäischen Einigungsprojektes. Als sie sich brüderlich umarmten, ließen wir den Rest unseres Eiskaffees stehen, zahlten und gingen. Man kann sich nicht alles antun, nur um seinen Eiskaffee zu Ende zu trinken.

      Und natürlich gab es Leute, die behaupteten, die amerikanischen Ukraine-Projekte beschäftigten sich in Wahrheit mit der Quantenphysik, um den unauffälligsten Zugang zu anderen Dimensionen zu finden. Sobald man diese Dimensionen gefunden habe, wolle Washington die Russen mit einem Überraschungseffekt an-greifen.

      Gegen zweiundzwanzig Uhr - ich schlenderte gerade am Dessertbuffet vorbei und suchte mit den Augen Ken, an den ich gerade gedacht hatte - kam die zweite Böe und wir hörten das Krachen der Bäume, die vom ersten Angriff schon angeschlagen waren. Nur fünf Minuten später kam СКАЧАТЬ