Название: Tod im Kanzleramt
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738048872
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Oleksander wurde gebeten, nicht über dieses Geheimprojekt zu berichten, da er ansonsten mit Schwierigkeiten zu rechnen habe. Aber damals, 2015, an der Bar im Prunkpalast von Minsk, erzählte er mir trotz Sprechverbot davon, während die Kanzlerin die Toilette aufsuchte, sich erfrischte und neu schminken ließ. Vielleicht hatte Oleksander ein wenig zu viel getrunken; vielleicht wollte er sich auch nur ein wenig wichtig tun, hatte ich ihm zuvor doch auf seine Frage, für wen ich arbeite, geantwortet, dass ich ein persönlicher Mitarbeiter der deutschen Kanzlerin sei. Nun gut, auch das war in gewisser Weise eine Aufschneiderei, weil ich ihn im Unklaren ließ, in welcher Funktion ich diente. Tatsächlich bin ich lediglich ein armseliger Hilfsautor für die Erstellung von Angies Biographie, und das nun schon seit über vier Jahren.
Wie mir Oleksander am Tresen berichtete, rückten irgendwann Bohrkräne an, und es begannen monatelange geheime Bohrarbeiten. Er verfolgte das Projekt nicht weiter und ging als Kriegsberichterstatter an die Front in der Ostukraine. Wir sahen uns nie wieder.
Die ersten Anzeichen
Ich hielt mich zu dieser Zeit gelegentlich in Berlin auf; und dort arbeitete ich für die Kanzlerin noch vier Jahre später (es war ein Samstag), als Angie - wie ich sie nennen durfte - und ich den ersten Sturm kurz vor Einbruch der Dämmerung aus Richtung der Joachim-Gauck-Allee im Osten Berlins, der früheren Josef-Stalin-Allee, heraufziehen sahen. Noch eine Stunde vorher war es völlig windstill gewesen. Die Hitze lastete schwer und drückend auf uns und auf den ersten Partygästen. Am Nachmittag hatten Angie und ich abgeschirmt im Pool des Kanzleramtes gebadet, aber das Wasser, das direkt aus einer kühlen Quelle gespeist wurde, brachte keine Erfrischung – die Sonne hatte es in kürzester Zeit aufgeheizt. Vielleicht können Sie sich die Kanzlerin nicht in einem Swimmingpool vorstellen, doch ich versichere Ihnen, sie ist ein ganz normaler Mensch, und sie schwimmt wirklich sehr gerne. Weder die Kanzlerin noch ich wollten länger im Pool bleiben, weil wir befürchteten, Yousef könne einen Hitzekoller bekommen. Yousef ist fast sechs Jahre alt. Gegen Ende des Jahres 2015 hatte das Ehepaar Merkel-Sauer ihn adoptiert. Für Yousef hieß die Kanzlerin einfach „Mama“ und Professor Sauer nannte er selbstverständlich „Papa“. Gelegentlich musste ich auf Yousef aufpassen. So wie an jenem Samstag, dem 20. Juli 2019.
Eine Stunde vor Beginn der Party kam ein Kanzleramtsbediensteter, und an seiner Seite sah ich Gabriele Krone-Schmalz, eine gute Freundin von mir und meiner Frau, und eine noch viel bessere Journalistin. Sie war meiner Einladung gefolgt; Frau Merkel hatte mir mit ihrem spitzbübischen Lächeln freigestellt, jemanden mitzubringen, unter der Voraussetzung, meine Frau, die zuhause in Lowbrook geblieben war, wäre damit einverstanden. Gabriele ist meine ehemalige Journalisten-Kollegin und wollte schon immer mal die Kanzlerin persönlich kennen lernen, außerhalb von beruflichen Interviewterminen. So hatte ich sie kurzfristig angerufen, und nun stellte ich sie meiner Arbeitgeberin vor.
Um halb sechs nahmen wir auf der großzügig angelegten Kanzleramts-Terrasse, die nach Osten mit Blick zum Fernsehturm am Alexanderplatz hinausgeht, ein kaltes Abendessen ein. Die Kanzlerin hatte bereits eine kurze Ansprache gehalten, und die annähernd 200 Gäste hatten an den Tischen Platz genommen. An unserem Achtertisch saß Yousefs deutscher Professoren-Vater, der Physiker (und ich erwähnte es schon: der Gatte meiner Arbeitgeberin) Joachim Sauer. Neben ihm saßen in ausgesuchter Reihenfolge die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, dann einer der unauffälligen Typen vom Sicherheitsdienst, neben ihm der Außenminister mit den exklusiv herabhängenden Mundwinkeln, der emsige Frank-Walter Steinmeier, schließlich Gabriele und ich neben Yousef, der direkt neben seiner Mutter saß. Wir alle knabberten ziemlich lustlos an Käsesandwiches und stocherten in einem hausgemachten Kartoffelsalat von Johann Lafer herum. Keiner ließ sich die Lustlosigkeit so richtig anmerken. Alle gaben dem Wetter die Schuld. Das Essen war wirklich vorzüglich und es gab eine große Auswahl; von Seezunge und Shrimps über Steaks und Königsberger Klopsen bis zu veganen und vegetarischen Speisen. Aus jedem Bundesland wurde eine typische Speise angeboten.
Der Exklusivkoch arbeitete heute - extra eingeflogen aus München - im Untergeschoss des Kanzleramtes in einer supermodernen Küche, wo er von den folgenden schrecklichen Ereignissen erst ziemlich spät, fast zu spät, erfuhr. Eine weibliche Bedienung, eine sehr stilvolle junge Frau mit brünettem Haar unter ihrem Häubchen, kam an unseren Tisch. Niemand schien etwas anderes zu wollen als Mineralwasser oder, wie ich, Cola Zero, das man uns in einem schicken Metallgefäß voller Eiswürfel kühlte. Wir beobachteten die unruhigen Vögel auf den Baum-Ästen im Kanzleramtsgarten.
Plötzlich überkam mich ein komisches Gefühl und in meinem Geiste sah ich vorüberfliegende Drohnen, immer taumelnd, in Gefahr abzustürzen – und reflexartig warf ich Uschi, unserer Drohnenexpertin, unauffällig einen Blick zu. Sie saß ziemlich ungerührt auf ihrem Platz, etwas steif, vielleicht sogar so steif wie ihre Frisur. Und dann lenkte ich mich ab und stellte mir vor, wie auf der Friedrichstraße hübsche Frauen ihre zunehmend nervösen Hunde eilig Gassi führten.
Als mir dies nicht weiterhalf, wandte ich mich mit einem Ruck an den Kanzlergatten; ich weiß auch nicht, was mich geritten hatte, jedenfalls fragte ich ihn ganz unverblümt: “Wie sollte man unter physikalischen Gesichtspunkten das Fracking beurteilen, was meinen Sie, Herr Sauer?“ Ich kann mich erinnern, dass er mich mehr als nur merkwürdig ansah. Vielleicht zweifelte er in diesem Moment an meinem Verstand, und ich glaube, einen kurzen Augenblick lang zweifelte ich selbst daran. Denn das war keineswegs eine der üblichen Small-Talk-Fragen, die man auf der Party von Sauers Gattin hätte stellen sollen. Aber nun war mir die Frage in all meiner Hilflosigkeit herausgerutscht und so musste ich das Beste daraus machen.
„Fracking kennen wir hier ja gar nicht“, sagte er trocken und stocherte mit professoraler Würde in Lafers Kartoffelsalat herum.
„Ich meine, diese tiefen Bohrungen und all die Chemie, die Umweltschäden …“
„Nicht hier. Haben wir hier nicht“, wiederholte er knapp sein Statement.
„Aber in Amerika; man liest so viel darüber …“
„Ja, es wird viel geschrieben.“ Sauer sah zur Kanzlerin und sie sah zu mir. In ihrem Blick loderte jener Funke Misstrauen auf, der mich veranlasste, die entscheidende Frage nicht zu stellen. Zu gerne hätte ich gewusst, ob der Kanzlergatte eingeweiht war in das Wissen seiner Frau. Ob er wusste, dass amerikanische Unternehmen in der Ukraine experimentierten. Eine unangenehme Stille entstand. Langsam dämmerte mir, dass ich ihm die Frage vielleicht in vertrauter Zweisamkeit hätte stellen sollen. Um die Peinlichkeit zu überbrücken, landete ich meinen nächsten Gesprächsversuch nun bei einer sicheren Zielperson, bei Gabriele Krone-Schmalz, und ich sagte: „Schön, dass Du doch noch gekommen bist.“ Sie hat extra wegen der Kanzleramts-Party einen Termin für den Bericht aus Berlin mit der ARD abgesagt. Doch man hatte ihr versprochen, sie stattdessen in der Folgewoche zu interviewen. Das war ein Wort. Ob man jedoch Wort hielt - das war Gabriele wohl bewusst -, war eine andere Sache. Sie nickte mir milde zu. Sie spürt immer, wenn ich etwas aus Verlegenheit sage. Ich glaube mich zu erinnern, dass sie kurz meinen unbeholfenen Gesprächsfaden aufnahm und daraufhin jedenfalls ein paar der üblichen Höflichkeiten mit Angela wechselte; wahrscheinlich Belanglosigkeiten, obwohl das nicht ihr Ding ist. Ich weiß es nicht mehr.
Nach dem Abendessen ging Yousef im hinteren Bereich des Kanzleramtsgartens auf СКАЧАТЬ