Название: Tod im Kanzleramt
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738048872
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Rundum herrschte Partystimmung. Die Puhdys, eine bekannte Rockband aus DDR-Zeiten, spielten in angenehmer Lautstärke Songs der achtziger und neunziger Jahre. Ich vernahm Stimmen, die ich, ohne mich größer umsehen zu wollen, versuchte, irgendwelchen bekannten Personen zuzuordnen. Hörte ich da nicht die Stimmen der gut versicherten Veronika Ferres und ihrem Gemahl Maschmeyer? Na klar. Und dann schien ich Til Schweiger zu hören, und etwas weiter entfernt vernahm ich zwei unangenehme Stimmen, auf die ich heute wirklich hätte verzichten können; sie gehörten, ich war mir sicher, zu Alice Schwarzer und Wolf Biermann.
Nun hatten unsere Tischgäste die wetterbedingte Lustlosigkeit doch noch überwunden und sich bis eben angeregt und locker unterhalten. Aber jetzt saßen die Kanzlerin, ihre Tischgesellschaft und ich eine kurze Zeitlang da, ohne viel zu reden, tranken kaltes Cola, O-Saft oder Wasser und blickten hinüber nach Osten in Richtung des hochragenden Berliner Fernsehturms. Die immer grünen Bäume des äußerst gepflegten Kanzleramtsgartens sahen staubig aus und wirkten erschlafft. Selbst der immer blaue Himmel der letzten Tage nahm allmählich ein staubiges Blau an.
Im Osten bauten sich langsam massive purpurne Gewitterwolken auf, formierten sich wie eine grandiose und schlagkräftige Armee, wie gemacht für Frau von der Leyen. Ein feiner Nebel zog auf. Blitze zuckten, die selbst die dunklen Gewitterwolken in ein grelles merkwürdiges Hell verwandelten; sie waren noch weit entfernt und doch registrierte sie mein Bewusstsein, als zuckten sie unmittelbar vor dem Kanzleramt.
Yousef schrie vom Klettergerüst herunter: „Achtung, Blitzschüsse auf den Bug!“
Flinten-Uschi lachte. Man durfte sie niemals so nennen, aber wenn wir einfachen Mitarbeiter unter uns waren, rissen wir schon einmal Schoten und nannten sie so.
Ich musste zur Toilette. Als ich am Büro des Kanzleramtsministers Peter Altmaier vorbeikam, hörte ich, dass sein Radio - er war ein passionierter Radiohörer - auf jene Rundfunkstation eingestellt war, die vom östlich gelegenen Frankfurt/Oder klassische Musik sendet, und bei jedem Blitz gab es laute Störgeräusche von sich. Altmaier war ein dicker Freund von Angie, eine echte alte Seilschaft, ein typisch sparsames Nachkriegskind, was man seinem Bauchumfang jedoch nicht ansah. Sein Vater war Bergmann, seine Mutter Krankenschwester. Vielleicht war es das, weshalb viele in dem später einsetzenden Partychaos ihre ganze Hoffnung auf ihn setzten. Einst arbeitete er als Rechtsanwalt, dann eine Zeitlang als Hoher Beamter in der Generaldirektion der Europäischen Kommission.
Altmaier war einem kleinen Dorf an der Saar entsprungen, und hier oben in Berlin hatte er in Affengeschwindigkeit eine Karriere im Kanzleramt hingelegt. Er hatte sich vor zwei Jahren mit mir zerstritten, und er hat ein Elefantengedächtnis und kann weder vergessen, noch verzeihen. Er hatte gegenüber dem Vizekanzler Gabriel behauptet, ich nutze meine Stellung als Kanzlerin-Biograf, um die Regierungschefin politisch zu beeinflussen, was natürlich völliger Quatsch war. Er spielte auf meine Einstellung zur Ukraine an, deren Regierung ich wahrhaftig nicht als leuchtendes Vorbild einer demokratischen europäischen Demokratie bezeichnen würde. Aber Siegmar Gabriel hatte ohne mich zu fragen in bester sozialdemokratischer Manier nichts Anderes zu tun, als dies weiter zu tratschen.
Die Sache kam vor die Kanzlerin. Sie stellte sich auf meine Seite, was Altmaier als Niederlage empfand. Er behauptete, ich hätte nur gewonnen, weil sie und ich uns duzten und weil er weniger im Kanzleramt sei als ich. Und weil er kein »Privatsekretär« wäre, so wie ich. Und weil ich »besondere Beziehungen« zu Frau Merkel hegen würde. Das war schon nicht mehr nur Quatsch, das grenzte stark an Verleumdung, und Altmaier und ich empfinden seitdem wenig Sympathie für einander.
Ich habe nur ein einziges Mal bei Angie wegen dem Geheimprojekt nahe Tschernobyl nachgefragt. Schließlich ging es nun, knapp drei Jahrzehnte nach dem tödlichen Atomdesaster von Tschernobyl, schon wieder um die Gesundheitsgefährdung unserer Kinder. Damals, in der ersten Hälfte des Jahres 2015, verhielt sich die Kanzlerin mir gegenüber eher zurückhaltend; sie könne nichts sagen, was über das allgemein Bekannte hinausginge; die Genehmigungen und Bohrungen zu Forschungszwecken seien Sache der souveränen ukrainischen Regierung; alles andere gehöre in den Bereich des Privatrechts oder der Phantasie. Die Ukraine profitiere enorm von den amerikanischen Investitionen und sei gerade deshalb in der Lage, schon bald ohne EU-Kredite auszukommen.
Das war die Zeit, als – trotz zunehmender Armut und trotz dem täglichen Hamsterrad, in dem sich ein Drittel der Deutschen befand – eine Teuerungsrate durch unser Land rollte; als der Euro gegenüber dem Dollar abschmierte, als Mietpreise, Grund- und Gewerbesteuer um durchschnittlich fünfzig Prozent angehoben wurden und die Bürgermeister mit den Fingern auf Berlin zeigten: „Letztendlich verbleibt uns am Ende der staatlichen Kette nur, für alle Leistungen, die wir den Bürgern erbringen, Steuern und Gebühren anzuheben. Ein Schritt, der allen Beteiligten nicht leicht fällt.“
Da ahnte noch niemand in Europas reichstem Land, wie die staatliche Kette zerreißen und das Ketten-Ende sich in seine Einzelteile auflösen würde. Noch regierte Hoffnung und man feierte die jährlichen Kanzleramtspartys. Und die eine Billion schwere Beamten-Pensions-Welle rollte, ohne dass jemand Tsunami-Warnung gab; die hauptberuflichen Warner kamen ungern ihrer Pflicht nach, schließlich waren sie selbst bald Pensionäre.
Dann aber rollte die Flüchtlingswelle aus Afrika und dem Nahen Osten heran, bäumte sich zu einer wahren Sturmflut auf und flutete Europa. Alle bisherigen Probleme traten in den Hintergrund. Das Tagesgeschäft im Amt drehte sich um die Migranten und um ein neues Asylgesetz, um Zäune und Polizeieinheiten, die man rund um die Festung Europa zu ziehen sich bemüßigt sah. Aber auch damals schon wurde trotz alledem zu schicken Kanzleramts-Partys eingeladen. Der amtliche Planungsstab gab stets sein Bestes. Made in Germany. Nur die VW-Manager wurden in jenen Tagen ausgeladen. Sie rochen nach Diesel.
Ich unterbrach meine Erinnerungen. Denn nun, vier Jahre später, war ich erneut Teilnehmer an einer Kanzleramtsparty, an der Seite von Angie. Ich sah noch einmal zu dem heraufziehenden Gewitter, und der Abend nahm seinen verhängnisvollen Lauf.
Als der Sturm aufkam
Die Kanzlerin hatte zur Befriedigung der anwesenden Boulevard-Reporter ihr berühmtes Bayreuth-Kleid an, das Kleid mit dem besonders großen Dekolletee. Sie seufzte und fächerte sich die Brüste mit dem Rand ihres Dekolletees. Ich bezweifelte, dass es ihr viel Kühlung verschaffte, aber es verbesserte ganz erheblich den Einblick.
„Ich will dich nicht beunruhigen“, sagte ich. „Aber ich glaube, dass ein gewaltiger Sturm im Anzug ist.“
Angie konnte sich auf meine Empfindung verlassen, denn als alter Pfadfinder hatte ich alle Wetterphänomene korrekt einzuschätzen gelernt.
„Wie schlimm wird es denn?“ war ihre Gegenfrage.
„Das weiß ich auch nicht“, sagte ich wahrheitsgemäß. Doch ich hatte schon ein sehr mulmiges Gefühl. „Der Wind kann von Osten herangebraust kommen wie ein ICE.“
Mich wunderte, dass noch keiner vom amtsinternen Partymanagement oder vom Sicherheitsdienst Alarm geschlagen hatte.
Kurz danach kam Yousef zurück und beklagte sich, dass das Klettern keinen Spaß mehr mache, weil er »völlig verschwitzt« sei und außerdem Angst habe. Ich strich ihm ersatzweise übers Haar, weil sich Joachim Sauer wegen dringlicher Forschungsarbeiten gerade verabschiedet hatte, und ich gab Yousef noch einen O-Saft. Zusätzliche Arbeit für den Zahnarzt, der hervorragend СКАЧАТЬ