Tod im Kanzleramt. Stefan Koenig
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Название: Tod im Kanzleramt

Автор: Stefan Koenig

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738048872

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СКАЧАТЬ gegenüber des Pergamon-Museums – zu jeder gewünschten Uhrzeit; wenn es sein muss auch mitten in der Nacht.

      Die Gewitterwolken kamen jetzt näher und verdrängten den blauen Himmel. Nun konnte es keinen Zweifel mehr darüber geben, dass sich ein Sturm ankündigte.

      Yousef saß zwischen seiner Mutter und mir und beobachtete fasziniert-ängstlich, wie es ein Kind tut, das zum ersten Mal im Leben ein solches Naturschauspiel sieht, den merkwürdigen Himmel. Donner grollte. Die Wolken griffen ineinander, verflochten sich, strebten wieder auseinander und wechselten ständig die Farbe; von schwarz zu Purpur, dann geädert, dann wieder schwarz wie die Nacht. Allmählich überquerten sie die weit östlich gelegenen Vororte der Hauptstadt, und ich sah, wie sie ein breites dichtes Regennetz unter sich ausbreiteten. Es war noch ein ganzes Stück entfernt.

      Die Luft geriet in Bewegung, zuerst nur stoßweise, dann setzte ein stetiger frischer Wind ein, der den leichten Schweiß auf unseren Körpern trocknete und uns gleich darauf ein wenig frösteln ließ. Jetzt kamen die amtlichen Partybediensteten und baten die rund hundertfünfzig Gäste, den Kanzleramtsgarten und die großflächige Terrasse zu verlassen und im Inneren des Gebäudes weiter zu feiern.

      Im nächsten Moment sah ich den blitzdurchzuckten Silberschleier über Berlins Silhouette wirbeln. Er verhüllte die Ostteile der Stadt in Sekundenschnelle und kam direkt auf uns zu.

      "Geh'n wir rein", sagte ich, stand auf und legte den Arm um Yousefs Schultern.

      "Siehst du es? Stefan, was ist das?" fragte er mich.

      "Eine Windhose. Gehen wir lieber rein."

      Die Kanzlerin warf einen raschen bestürzten Blick auf mein Gesicht, streichelte über seinen Kopf und sagte dann: "Komm, Yousef. Tu, was Stefan sagt."

      Ich sah auf meine Uhr; es war kurz nach 20:00 Uhr.

      Wir gingen zurück durch eine der ultragroßen automatisch bewegten Glasschiebetüren in den großzügigen Empfangssalon. Hinter uns, hinter Gabriele und Frau von der Leyen, hinter dem Außenminister und dem Bodyguard schloss sie völlig geräuschlos, und ich warf bei dieser Gelegenheit noch einen Blick nach draußen. Angie stand links neben mir am riesigen Panoramafenster, Yousef zwischen uns; rechts neben mir meine Partybegleitung, die Journalistin. Etwas verteilt an der Fensterfront standen andere Partygäste und schauten in das herannahende Spektakel. Auch wir vier schauten uns einen kleinen Augenblick das Kräftespiel der Natur an. Der Silberschleier hatte Berlins östliche Vororte zu drei Vierteln überquert. Die Windhose glich jetzt einer riesigen, mit rasender Geschwindigkeit herumwirbelnden Teetasse zwischen dem tiefhängendem schwarzen Himmel und den Alleen und Straßenschluchten, ihren Büroblocks und Hochhäusern, durchzogen von weißen nebligen Chromstreifen. Die grauen Straßen sahen gespenstisch aus wie Teilungsstreifen von Parzellen, die jetzt durch eine bedrohlich heranrollende Tsunamiwelle geflutet werden.

      Es war ein hypnotischer Anblick, von dem ich mich, ebenso wie wohl viele andere Partygäste, nicht losreißen konnte. Schlagartig wurde es stockfinster. Die Windhose hatte uns fast erreicht, als ein wahnsinnig greller Blitz aufzuckte. In allen Räumen des Kanzleramtes befinden sich neben den Türen kleine Nischen, in denen Haustelefone angebracht sind. Die Telefone gaben ein bestürztes »Kling« von sich; ich drehte mich zur Seite und nahm erst jetzt die Kanzlerin und ihren Adoptivsohn bewusst wahr. Dann sah ich zu meiner Rechten Gabriele, die ich sehr oft einfach Gaby nenne. Im Normalfall bot einem das Fenster ein großartiges Panorama der östlich gelegenen Stadtsilhouette. Aber jetzt prasselte der Regen mit einer plötzlichen Wucht und verstellte uns die Sicht, als habe er uns etwas heimzuzahlen. Im selben Moment hatte ich eine jener schrecklichen Horrorvisionen, die vermutlich nur Ehemännern und Künstlern vorbehalten sind - das große Panoramafenster zerbirst mit einem tiefen, harten Klirren und bohrt seine zackigen Glassplitter in den nackten Bauch meiner geliebten Frau, und - in Gesicht und Hals jenes mir anvertrauten syrischen Jungen.

      Auch wenn meine Kinder erwachsen sind, so fühle ich mich doch für Angies Adoptivsohn verantwortlich und habe stets sein traumatisches Kriegsschicksal in Syrien vor Augen. Dass die Splitter zuhause, im fernen Lowbrook, meine Staffelei samt Bild, an dem ich seit mehreren Wochen arbeitete, zerfetzen konnte, war mir in diesem Moment wirklich keinen einzigen Gedanken wert. Ich dachte an meine Frau und fragte mich, ob auch dort ein Unwetter tobte.

      Ich packte Gabriele und Yousef ziemlich unsanft und riss sie zurück. „Was zum Teufel macht ihr da? Macht, dass ihr hier wegkommt!“ Auch der Kanzlerin warf ich einen Blick zu, der nicht gerade Verständnis ausdrückte. Gabriele warf mir einen bestürzten Blick zu. Yousef sah mich an wie jemand, der gerade aus tiefem Traum gerissen worden ist. Ich ging mit den Dreien in Richtung der Musikband quer durch den Partysalon. Unterwegs wurde die Kanzlerin von verschiedenen Gästen artig begrüßt. Und sie selbst begrüßte - bis wir in der Nähe der Band ankamen – nach einander das Ehepaar Ferres-Maschmeier, die olivgrüne Familie Beck-Fücks mit ihrer erwachsenen Tochter, dann noch Til Schweiger und Anne Will. Die Band machte gerade Pause. Wir befanden uns nahe eines der Telefonnischen und wieder gab das Telefon ein ungewohntes »Klingelingeling« von sich.

      „Geh mal“, sagte die Kanzlerin, und ich eilte hin, um den Hörer abzunehmen. Doch alles was ich hörte, war ein unbestimmtes Rauschen, kein Tut-tut-tut, kein gewohntes Signal.

      Dann war der Wirbelsturm direkt über uns. Es war so, als hätte das ganze große Kanzleramt vom Boden abgehoben wie ein Airbus. Es war ein hohes, atemloses Pfeifen, dann wieder ein dröhnender Bass, der Sekunden später in ein keuchendes Kreischen überging. Einige der Partygäste begannen laut zu reden und manche Stimmen überschlugen sich.

      „Gehen Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit bitte nach unten! Folgen Sie den Anweisungen Ihrer Servicekraft“, sagte eine bekannte weibliche Stimme aus den Lautsprecherboxen. Es war die bestimmte, aber äußerst verbindliche Stimme von Maybrit Illner, die hier ihre Wette mit Markus Lanz einlösen und sich als Eventmanagerin beweisen musste. Ich wollte mich mit Angie wegen Yousef abstimmen, aber der Lärm des brüllenden Sturms schien das Partygetöse locker zu übertönen. Jetzt musste ich brüllen, um mich verständlich zu machen: „Geht auch ihr runter!“

      Direkt über dem Regierungsgebäude trommelte der Donner mit riesigen Stöcken, und Yousef klammerte sich an mein Bein.

      „Geh Du auch runter!“ schrie Gabriele zurück.

      Ich nickte und machte scheuchende Bewegungen. Angela schien es mir nicht übel zu nehmen, dass ich in dieser Situation das Kommando übernahm. Yousef musste ich von meinem Bein regelrecht losreißen. „Geh mit deiner Mutter. Ich will noch dafür sorgen, dass überall Kerzen stehen, für den Fall, dass der Strom ausfällt.“ Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, da das Kanzleramt mit Hochtechnik und allen nur denkbaren Notfallaggregaten bestückt ist. Ich ging dennoch Kerzen suchen.

      Er ging mit ihr und mit Gabriele, und ich suchte Maybrit auf. Wie Sie vielleicht selbst wissen, sind Kerzen verdammt unauffindbar, wenn man sie einmal braucht. Glauben Sie nicht, dass das in einem Kanzleramt anders ist. Eine gefühlte Ewigkeit dauerte es, bevor das hinzugezogene Hausmanagement, das Hausmeisterteam und die Büroleiterin, Frau Baumann, die Kerzen in einer der zahlreichen Asservatenkammern im Seitentrakt des Hauptgebäudes fanden, in der sich all das Zeug für Staatsempfänge stapelt: eine schwarz-rot-goldene Autoflagge und 195 andersfarbige kleine Flaggen für die Limousinen ausländischer Staatsgäste. Tischfähnchen aller Nationen, weit über hundert Fahnen aller Herrgottsländer, Reinigungsmittel, Vorratspakete für den Notstandsfall, zig Schutzbrillen, Instantverpflegung. Die Kerzen lagen genau hinter dem Regal mit den antistatischen Handschuhen aus Latex. Als Frau Illner, die uns begleitete, einen der Kartons mit den Tischkerzen gerade zur Hand nahm, ging die Beleuchtung aus, und die einzige Elektrizität waren jetzt die Blitze.

      Wir warteten eine Weile СКАЧАТЬ