Название: Carl Schmitts Gegenrevolution
Автор: Reinhard Mehring
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783863935771
isbn:
„Im Romantischen wird alles zum ‚Anfang eines unendlichen Romans‘. Diese auf Novalis zurückgehende, den sprachlichen Sinn des Wortes wieder zur Geltung bringende Formulierung bezeichnet am besten die spezifisch romantische Beziehung zur Welt.“ (PR 26)
Im Haupttext ergänzt Schmitt 1925: „Dieses Fragment (Nr. 66) gibt die eigentliche Formel des Romantischen.“ (PR 121, vgl. 122) Schmitt bezieht sich vermutlich auf folgende Bemerkungen aus Novalis’ Blütenstaub-Fragmenten:
„Alle Zufälle unseres Lebens sind Materialien, aus denen wir machen können, was wir wollen. Wer viel Geist hat macht viel aus seinem Leben – jede Bekanntschaft, jeder Vorfall wäre für den durchaus Geistigen – erstes Glied einer unendlichen Reihe – Anfang eines unendlichen Romans.“81
Es wäre Schmitt leicht möglich gewesen, diese Bemerkungen näher auszulegen und von der romantischen „Formel“ vom „magischen Idealismus“ her zu entwickeln. Der apodiktische Ansatz beim Okkasionalismus ist dagegen alles andere als naheliegend und plausibel. Schmitt ignorierte aber die idealistische Grundlegung der Romantik und wählte einen externen, polemisch charakterisierenden Zugang. Er suchte die „eigentliche Formel“ des Novalis nicht aus den Voraussetzungen des magischen Idealismus zu explizieren, sondern setzte eine gänzlich andere „Formel“ voraus:
„Romantik ist subjektiver Occasionalismus, d.h. im Romantischen behandelt das romantische Subjekt die Welt als Anlass und Gelegenheit seiner romantischen Produktivität.“ (PR 23)
Man könnte Schmitts Alternativformel als polemische Strategie verstehen, sich auf die romantische Philosophie nicht einzulassen. Mit seiner Gegenformel ist der Explikationsverzicht beschlossen. Seine weiteren Novalis-Erwähnungen variieren und exemplifizieren meist nur den Satz vom „Anfang eines unendlichen Romans“. Schmitt verzichtete auf die nähere Auseinandersetzung mit Novalis, weil er sich buchstäblich ganz auf die exemplarische Hinrichtung Adam Müllers konzentrierte. Für die zweite Auflage weitete er die Belege unter dem Eindruck der Kritik zwar etwas aus, ohne jedoch sein homogenisierendes Verfahren aufzugeben und genauer zwischen Früh- und Spätromantik zu differenzieren. Deshalb rückte Novalis nicht aus dem Schatten Adam Müllers heraus und verblieb in seiner marginalen und illustrativen Rolle. Eine nähere Auseinandersetzung etwa mit dem Europabild oder der Philosophie des Novalis fehlt 1919 wie 1925. Das heißt nicht, dass Schmitt dazu keine Meinung gehabt hätte; er wollte aber offenbar nicht in die nähere Auseinandersetzung eintreten, weil dies der literarischen Anlage des Buches widersprach: Die exemplarische, prototypische Auseinandersetzung mit Adam Müller sollte im Zentrum bleiben.
1925 grenzte Schmitt Joseph de Maistre in einer Rezension von der Romantik ab.82 Eine ätzende Besprechung von Paul Kluckhohns Studien zur Staatsanschauung der deutschen Romantik kann dann als letztes Gefecht gelten: Schmitt attestiert Kluckhohn hier, „dass eine Kompetenz auf dem Gebiet der romantischen Liebe noch keinerlei Kompetenz auf dem Gebiet der Staatsauffassung zu begründen vermag.“83 Schmitt kritisierte, dass Teile der Forschung ihren Gegenstand immanent, aktualisierend, mimetisch und romantisch erörterten. Seine eigenen Versuche, sich dagegen in katholische Traditionen der Gegenrevolution zu stellen, wurden vom Mehrheitskatholizismus niemals akzeptiert. Als Schmitt infolge seiner Scheidung und erneuten Heirat 1926 dann förmlich exkommuniziert wurde, brach er mit der Kirche und verschob die konfessionelle Stereotypisierung in den Antisemitismus. Polemische Abgrenzungen vom Protestantismus finden sich zwar weiterhin gelegentlich, Schmitt verzichtete aber fortan auf starke katholische Identifikationen und beteiligte sich nicht weiter an der innerkatholischen Diskussion. Damit hatte er auch das Interesse an der Romantik eigentlich verloren, das stellvertretend für seine Stellung zum Mehrheitskatholizismus stand. Seine Ablehnung der Politischen Romantik stellte Schmitt nach 1925 nicht mehr ernstlich in Frage und er positionierte sich auch nicht weiter im Feld der Romantikkritik.
3. 1815 statt 1798: Hegel statt Novalis, Staat statt Nation
Von Novalis ausgehend sehe ich wenigstens zwei Ansätze einer Entgegnung: die idealistische Aufwertung der Kategorie der „Möglichkeit“ und „Zukunft“ und die Verteidigung der „poetischen“ Staatslehre gegen Schmitts Polemik. Dabei sei geschenkt, dass Novalis seine politische Philosophie nur fragmentarisch ausführen konnte und seine einschlägige Publikation von Glauben und Liebe in den Jahrbüchern der Preußischen Monarchie strategische Kompromisse machte. Novalis hatte einen starken Begriff von der Repräsentation und leitete daraus vieles ab. Im Brouillon schreibt er:
„Die Lehre vom Mittler leidet Anwendung auf die Politik. Auch hier ist der Monarch – oder die Regierungsbeamten – Staatsrepräsentanten – Staatsmittler.“84
Er notiert auch:
„Der Staat ist immer instinktmäßig nach der relativen Einsicht und Kenntnis der menschlichen Natur eingeteilt worden – der Staat ist immer ein Makroanthropos gewesen – die Zünfte = die Glieder und einzelnen Kräfte – die Stände = die Vermögen. Der Adel war das sittliche Vermögen – die Priester das religiöse Vermögen – die Gelehrten die Intelligenz, der König der Wille. Allegorischer Mensch.“85
Manche Parallelstellen ließen sich finden. Novalis betont in seinen theoretischen Schriften und Notizen nicht nur die Analogie von Mensch und Staat, sondern auch die Menschwerdung im Staat. So schreibt er: „Um Mensch zu werden, bedarf es eines Staates.“86 Solchen Formulierungen hätte Schmitt zustimmen können. Er gibt sich aber keine Mühe, das staatstheoretische Argument von der monarchistischen Auslegung zu trennen und in der Lage von 1798 zu situieren. Novalis sieht sich damals in der Alternative „Form oder Unform“ und sucht eine Antwort auf die Revolution. Er meint: „Genau haben die meisten Revolutionisten gewiss nicht gewusst, was sie wollten – Form, oder Unform.“87 Der bürokratischen Maschine und Konstitution stellt er die personalistische Repräsentation entgegen und nennt den König das „Lebensprinzip des Staates“.88 Die Integration des Volkes zur Nation oder Republik erhofft er dabei von einer vorbildlichen Lebensführung des jungen Königspaares. Novalis spricht von „ästhetischer Erziehung“ oder soziomoralischer Identifikation und Integration der Bürger in den Staat: von der Schaffung einer preußischen Nation. Mit Smend gesprochen, betont er die „persönliche Integration“ durch politische Führer. Die strategische Idealisierung seiner Ausführungen ist Novalis klar. So sagt er auch: „Aber die Vortrefflichkeit der repräsentativen Demokratie ist doch unleugbar. Ein natürlicher, musterhafter Mensch ist ein Dichtertraum.“89 Vielen solchen Überlegungen hätte Schmitt zustimmen können. Er hätte dabei zwischen dem staatstheoretischen Grundansatz, der monarchistischen Auslegung und der republikanischen Politisierung unterscheiden können. Den „Divinationssinn“ des „magischen Idealismus“ lehnt er aber ab. Novalis meint:
„Die Philosophie ist von Grund auf antihistorisch. Sie geht vom Zukünftigen, und Notwendigen nach dem Wirklichen – sie ist die Wissenschaft des allgemeinen Divinationssinns. Sie erklärt die Vergangenheit aus der Zukunft“.90
Novalis idealisierte seine Überlegungen in Antizipation einer „neuen Zeit“ und „Zukunft“ des „tausendjährigen Reiches“. Schmitt hielt von einem solchen Utopismus gar nichts und ignorierte deshalb vielleicht auch den Ofterdingen-Roman. Das Mittelalter-Kleid ist nicht zuletzt die Rückprojektion einer Vorprojektion: die Fabel, die der Utopie eine Gestalt geben kann. Mittelalter ist Zwischenzeit, Transformationszeit, Zeit des Übergangs, wie die Lage um 1800. Im zweiten Kapitel des Romans heißt es dazu:
„In СКАЧАТЬ