Carl Schmitts Gegenrevolution. Reinhard Mehring
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Название: Carl Schmitts Gegenrevolution

Автор: Reinhard Mehring

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

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isbn: 9783863935771

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СКАЧАТЬ terroristisch wurde.

      Was Landauer 1919 zum gewaltbereiten Revolutionär machte, ist letztlich kaum entscheidbar. Im Verlauf der Revolution radikalisierte er sich aber immer mehr. Charismatischer Erwählungsglaube und revolutionäres Avantgardbewusstsein sperrten sich gegen eine verantwortliche Wahrnehmung der diktatorischen Praxis. Die Praktiker der Revolution glaubten an charismatische Herrschaft und betrachteten sich als Kommissare und Diktatoren „des Geistes“. Landauer war ein revolutionärer Gesinnungsethiker und Utopist, der zur Aktion schritt, einen Einklang von Theorie und Praxis suchte und das „Risiko des Politischen“ mit seinem Leben bezahlte.

       2. Landauer und Schmitt als Antipoden in der Münchner Revolution

      Landauer und Schmitt waren 1919 Antipoden. Während Landauer in München Revolution machte,127 war Schmitt als Jurist in der Heeresverwaltung tätig. Die bayerische Revolutionsgeschichte beginnt im Oktober 1918 mit der Entlassung Kurt Eisners aus Untersuchungshaft. Eisner organisierte mit dem Mehrheitssozialisten Erhard Auer zusammen dann eine Aktionseinheit. Sie proklamierte die Absetzung des bayerischen Königs, der umgehend nach Österreich floh. Es konstituierte sich ein Revolutionskabinett, ein Regierungsprogramm bekannte sich zum Sozialismus und zielte gegen Österreichs großdeutschen Anschlusswillen auf die Separation einer „Donauföderation“. Eine Aktenveröffentlichung zur Kriegsschuldfrage brüskierte das Reich. Eisner reklamierte die Kommandogewalt über die bayerischen Truppen und suchte Wahlen aufzuschieben. Darüber kam es auch innerhalb des Revolutionskabinetts zu Auseinandersetzungen. Die Wahlen vom 12. Januar 1919 brachten dann eine katastrophale Wahlniederlage. Die Unabhängigen Sozialisten erlangten lediglich drei von 180 Sitzen und das Revolutionskabinett war abgewählt.

      Eisner spielte nun auf Zeit und berief den gewählten Landtag erst zum 21. Februar ein. Auf dem Weg zum Landtag wurde er von Anton Graf Arco-Valley erschossen. Der Mehrheitssozialist Auer wurde dann im Landtag von einer anderen Person angeschossen und schwer verletzt. Ein „Rätekongress“ übernahm daraufhin die Macht und entschied gegen eine Rätediktatur, verschob aber erneut die Einberufung des Landtags und konstituierte ein Kabinett unter Martin Segitz, in dem u.a. Ernst Niekisch und Edgar Jaffé mitwirkten. Dieses Kabinett wurde von der Berliner Reichsregierung nicht anerkannt. Erst am 17. März wählte der Landtag den Mehrheitssozialisten Johannes Hoffmann zum Ministerpräsidenten, der einige Tage auf der Grundlage eines Ermächtigungsgesetzes eine Minderheitsregierung geführt hatte. Der weiterhin bestehende revolutionäre Zentralrat erklärte diese gewählte Regierung Hoffmann aber für abgesetzt und rief am 7. April 1919 mit Unterstützung eines Soldatenrates die Räterepublik aus. Das war ein Putsch der Unabhängigen Sozialisten im Bündnis mit Anarchisten, sozialistischen Intellektuellen und Mitgliedern des Bauernbundes. Diese Proklamation einer Räterepublik unterzeichneten u.a. Ernst Niekisch, Gustav Landauer und Erich Mühsam. Ernst Toller übernahm den Vorsitz. Das Kabinett Hoffmann floh nach Bamberg und suchte die Hilfe der Reichsregierung.

      Landauer stand damals zwischen Eisner und Leviné. Nach der Wahlniederlage vom 12. Januar 1919 schrieb er an Margarete Susmann: „Es hätte nie so kommen dürfen, nie hätte sich die Revolution dieser Sorte Wählerei und Parlamentarismus anvertrauen dürfen; sie hätte die Massen in ihren neuen Gebilden umformen und erziehen müssen“.128 Am 29. Januar sprach er davon, dass die Forderung nach dem „alten Parlamentarismus“ „sogar einen Mann wie Kurt Eisner vom rechten Wege abgebracht“129 habe. Landauer meinte hier, vor der Ermordung Eisners, die verspätete Anerkennung der Wahlniederlage, die Landauer offenbar ablehnte. Er bejahte die Revolutionsdiktatur gegen das demokratische Votum der Wahlen. Im letzten überlieferten Brief an Mauthner schreibt er dazu mit dünner Ironie:

      „Die Bayerische Räterepublik hat mir das Vergnügen gemacht, meinen heutigen Geburtstag zum Nationalfeiertag zu machen. Ich bin nun Beauftragter für Volksaufklärung, Unterricht, Wissenschaft und Künste und noch einiges. Läßt man mir ein paar Wochen Zeit, so hoffe ich etwas zu leisten; aber leicht möglich, daß es nur ein paar Tage sind, und dann war es ein Traum.“130

      Der „Vorgang der Ämterverteilung“, erinnert sich Niekisch später, war damals „voll grotesker Züge“. Fast unbekannte Personen erhielten Macht. Landauer hatte sich selbst vorgeschlagen.131 Er musste damals wissen, dass diese Räterepublik keine demokratische Legitimation und Machtbasis hatte. Politisch war er darüber mit Mauthner entzweit. Mauthner schrieb dazu am 3. April in seinem letzten Brief noch:

      „Was uns seit bald 5 Jahren trennen will, erscheint mir plötzlich, genau besehen, als etwas sehr Dummes: die Frage der prophetischen Gabe. Es wäre niedrig, das mit der Frage des Erfolges zu verwechseln.“132

      Anders als die kommunistischen Berufsrevolutionäre war Landauer ein realpolitisch blinder Utopist. Nachdem er „Mitglied der revolutionären Regierung Bayerns“ wurde,133 schwelgte er Ende November 1918 schon in Revolutionsemphase:

      „Revolution! Es wird entsetzliche Nöte geben, vielleicht hunderttausendfache Arbeitslosigkeit und schließlich Industrieruinen wie früher Burgruinen – denn aus diesem Krieg haben wir das Eine gelernt: Daß die Menschen das Gebotene und Nahliegende erst dann tun, wenn die bitterste Not da ist und gar kein verkehrter Weg mehr übrig ist.“134

      Landauer erklärte das abgewählte Häuflein revolutionärer Selbstermächtiger gegenüber Mauthner zur „Nation“ und gab dem diktatorischen Institut des Kommissars den Nimbus charismatischer Erwählung mit ausufernden Zuständigkeiten. Sein „Kulturprogramm“ forderte eine strikte Trennung von Staat und Kirche, monumentale Revolutionsarchitektur, eine „Lebensgemeinschaft“ der „Meister“ mit ihren Schülern und eine „Streichung der theologischen und juristischen Fakultät“ an den Hochschulen. An seine Mitarbeiter im Ministerium schrieb Landauer am 12. April:

      „Unter Räteregierung ist nichts anderes zu verstehen, als daß das, was im Geiste lebt und nach Verwirklichung drängt, nach irgendwelcher Möglichkeit durchgeführt wird. Wenn man unsere Arbeit nicht stört, so bedeutet das keine Gewalttätigkeit; nur die Gewalt des Geistes wird aus Hirn und Herzen in die Hand und aus den Händen in die Einrichtungen der Außenwelt hineingehen.“135

      Landauer erteilte sich damit eine unbeschränkte Vollmacht jenseits bürokratischer Formen. Landauer akzeptierte Diktatur, Putsch und revolutionäre Gewalt. Seine charismatische Apologie einer amorphen „Gewalt des Geistes“ war ein klarer Fall von „Erziehungsdiktatur“, wie Schmitt sie 1923 in seiner Broschüre über Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus als „Schicksal der Demokratie“ und Dialektik der Revolution beschrieb: „Die Konsequenz dieser Erziehungslehre ist die Diktatur, die Suspendierung der Demokratie im Namen der wahren, erst noch zu schaffenden Demokratie.“ (GLP 37)

      In der Nacht von Landauers diktatorischer Dienstanweisung, vom 12. zum 13. April, putschte das Münchner Militär und verhaftete einige Mitglieder der Räteregierung. Nun kam die Stunde der Kommunisten, die sich strategisch im Hintergrund gehalten hatten und an der ersten Räteregierung nicht beteiligt waren. Die bolschewistischen Berufsrevolutionäre Eugen Leviné und Towia Axelrod, in Russland geboren, organisierten den gewaltsamen Widerstand gegen das Militär. Landauer und Niekisch schieden aus dieser zweiten Räteregierung aus. Umgehend kam es zu einer Reichsintervention mit Beteiligung des Freikorps Epp. Ende April eskalierten die Kämpfe. Die kommunistische Führungstroika tauchte unter. Anfang Mai wurde München durch Regierungstruppen befreit. „Gustav Landauer wurde festgenommen und im Gefängnis Stadelheim ohne Verhandlung von Soldaten ermordet.“136 Die gewählte Regierung Hoffmann übernahm nun vorübergehend wieder die Macht. Landauer war damals wohl der einzige Revolutionsführer, der ohne Prozess ermordet wurde. Viele andere wurden von Standgerichten und Volksgerichten abgeurteilt, aber nur Leviné wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Da Landauer nur der ersten Räteregierung angehört hatte, wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach, wie Erich Mühsam oder Ernst Toller, lediglich zu Festungshaft СКАЧАТЬ