Название: Carl Schmitts Gegenrevolution
Автор: Reinhard Mehring
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783863935771
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„Es ist der deutschen Reichswehr gelungen, unter der Führung des Reichspräsidenten und ihrer militärischen Leitung eine parteipolitisch neutrale Gewalt zu bilden und auf diese Weise, in Zeiten offenen oder latenten Bürgerkriegs, durch das gefährliche Stadium eines […] Pluralismus hindurch, den deutschen Staat zu halten. Von der staatsrechtlichen Seite her wurde das durch eine aus staatspolitischem Verantwortungsbewusstsein und klarer Erkenntnis der konkreten Verfassungslage entstandene staatsrechtliche Konstruktion des Reichspräsidenten als des Hüters der Verfassung ermöglicht, mit einer sinnvollen Auslegung sowohl des Verfassungsbegriffs wie der außerordentlichen Befugnisse des Art. 48. Wie damals während der Konfliktszeit der preußische König, so fand jetzt ein preußischer Generalfeldmarschall, aus seiner seinsmäßigen Verbundenheit mit dem preußisch-deutschen Soldatenstaat heraus, in schweigender Sicherheit den Weg, der einen Übergang zu anderen Verfassungszuständen eröffnete.“ (SZZR 47)
6. Spiegel der Politischen Romantik
Schmitt war also ein intimer Kenner der Münchner Bohème und spiegelte seine Lage in historischen Parallelen. Als Jurist mied er die direkte politische Parteinahme. Es ist deshalb nicht genau geklärt, wem er damals persönlich begegnete. Die gefährlichste Phase der Münchner Räterevolution: die kommunistische Rätediktatur (Leviné, Levien, Axelrod) von Mitte bis Ende April 1919, erlebte er in der Münchner Stadtkommandantur. Er soll damals in persönliche Lebensgefahr geraten sein, hat sich darüber aber nicht schriftlich geäußert. Als Jurist hatte er selbstverständlich Bedenken gegen Selbstjustiz. In seinem Buch über Die Diktatur erklärte er, dass „das Wesen des Notwehrrechtes darin besteht, dass durch die Tat selbst über seine Voraussetzungen entschieden wird“ (D 179). Nur in einer Fußnote zitierte er einen „Aufruf der kommunistischen Revolutionsleitung in Duisburg“ zum Standrecht und eine Bemerkung des Reichswehrministers: „‚Da finden Sie das neue Staatsrecht‘. ‚Da kommt das Erschießen fast vor dem Urteil, möchte man meinen.‘“ (D 177) Wenn Schmitt einen Reichswehrminister mit rechtstaatlichen Bedenken gegen das kommunistische Standrecht zitiert, verteidigt und kritisiert er die Niederschlagung und Aburteilung der Münchner Rätediktatur gleichermaßen.
Schmitt hatte 1919/20 in München persönlichen Kontakt zu Max Weber. Er hörte Vorlesungen und Vorträge und saß in Webers Dozentenseminar. Der genaue Umfang dieser Kontakte ist nicht ermittelt. Seine – wahrscheinlich vor Kriegsende abgeschlossene – Politische Romantik erschien Anfang 1919 Monate vor Webers Münchner Rede Politik als Beruf im Druck. In erster Annäherung lässt sich die Absage an die zeitgenössischen Romantiker mit Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungspolitikern vergleichen: Schmitt wirft den politischen Romantikern eine ideologische Orientierung und mangelnden Realismus vor. Wo er „Romantik“ exorziert, spricht Weber, auch unter dem Eindruck des Toller-Prozesses,66 von verantwortungsloser „Gesinnung“. Weber lehnte „Gesinnungen“ zwar nicht pauschal ab, kritisierte die reine Gesinnungsethik aber konsequentialistisch. Von dieser Rede unterschied sich Schmitts Kritik schon durch das geistesgeschichtliche Gewand.
Die Monographie Politische Romantik gehört in die katholische oder katholisierende Phase, die spätestens 1925 mit der zweiten Fassung des Essays Römischer Katholizismus und politische Form endete. Unter dem Eindruck des Weltkriegs neigte Schmitt religiöser Apokalyptik zu. Seine Politische Romantik unterscheidet zwischen Gegenrevolution und ästhetisierender Romantik und richtet sich gegen romantische Auffassungen der „organischen“ Staatslehre. In die Endphase des Ersten Weltkriegs hinein korrigiert Schmitt die Fahnen. Schmitt kritisiert die politische Romantik exemplarisch am „Typus“ und Beispiel Adam Müllers. Novalis und Friedrich Schlegel zieht er nur ergänzend heran. Zwei Müller-Kapitel umklammern zwei Kapitel zur „Struktur des romantischen Geistes“. Schmitt übernimmt zwar polemische Topoi von Hegels Romantikkritik; Hegel konzentrierte sich aber auf Schlegel und führte die romantische Auslegung moderner Subjektivität philosophiegeschichtlich auf den „subjektiven Idealismus“ Fichtes zurück; Schmitt verlagert die Herleitung dagegen von Kant und Fichte auf Descartes und Malebranche und definiert die Romantik eigenwillig als „subjektiven Occasionalismus“ (PR 23f, 140f, 147). Er verwirft nicht nur Kant und die Folgen, sondern den neuzeitlichen Rationalismus insgesamt. Schmitt übernimmt zwar fast alle Aspekte von Hegels Romantikkritik; er kritisiert den Typus des Romantikers moralistisch wie Hegel als eitlen, ästhetizistischen Bourgeois, der sich an die Stelle Gottes setzt, betrachtet die Romantik aber darüber hinaus auch als eine pseudokonservative „Reaktion gegen den modernen Rationalismus“, die die „höchste Realität“ der alten Metaphysik, das vorreflexive Sein Gottes, durch moderne Ideen von „Volk“ und „Geschichte“ ersetzte. Mit der Formel vom „subjektiven Okkasionalismus“ streicht er die Epigonalität der Romantik als „Reaktionsform“ (PR 84) heraus. So profiliert er die katholische Kirche, und ihre Ontologie und Theologie, der er nahe steht, gegen die Romantik.
Systematisch betont Schmitt, dass die Romantik vor der normativen Entscheidung über „Recht und Unrecht“ (PR 161, 205), der Parteinahme und politischen Aktion in ein passives Vertrauen auf die „organische“ Entwicklung und sentimentalische „Begleitaffekte“ ausweicht. Der Romantiker betrachtete die Entwicklungen mit „Ironie“ und einer „Gesinnung der Intrige“ (PR 105) und ersetzte den Glauben an „Gott“ durch das optimistische (rousseauistische) Vertrauen in die Menschheit und Geschichte. Die Politische Romantik weist mit ihrer Disjunktion von Gegenrevolution und Romantik auf die Programmschrift Politische Theologie und Option für die Gegenrevolution voraus. Dabei spielt Schmitt den Katholizismus gegen die Romantik aus. Gentz, Haller und die Restauration zählt er nicht zur Romantik. Donoso Cortés ist noch nicht erwähnt und es gibt noch keine klare Absage an die dynastische Legitimität und Restauration. Ausdrücklich sagt Schmitt vielmehr: „Legitimität aber ist eine unromantische Kategorie.“ (PR 171)
Nach 1918 verabschiedete Schmitt den altkonservativen Traditionalismus strikt. Eine nostalgische Verklärung der „dynastischen Legitimität“ ist ihm gänzlich fremd. Wenn er in der Politischen Romantik über die romantische Mobilisierung der „Gefühle von Liebe und Treue“ gegenüber dem Staat eingehend spottet, könnte das 1918, als Schmitt das Buch abschloss, noch auf eine Verteidigung des militanten Wilhelminismus gegen das Bürgertum zielen. Eine starke Absage an den Monarchismus ist jedenfalls nicht herauszulesen, eher Spott auf die bürgerliche Verklärung und Ästhetisierung des Staates. Damit erscheint die Schrift als ein letztes Abwehrgefecht in der Option für die Gegenrevolution. Wie eine Selbstbeschreibung liest sich aber die seitenlange Abrechnung mit Müllers „Argumentationssystem“ und „oratorischem Talent“. „Nur als oratorische Leistung darf man Müllers Argumentation beurteilen“ (PR 191), schreibt Schmitt. Polare Begriffsbildungen kennzeichneten aber auch seine „Lehre vom Gegensatz“. Schmitt musste sich mit seiner Romantikkritik zur Option für die Gegenrevolution gleichsam selbst überreden. Der Name Adams Müllers ließe sich im Buch deshalb durch „Carl Schmitt“ ersetzen. Als eine solche Selbstentlarvung und Selbstinquisition haben frühe Kritiker das Buch sogleich gelesen: Sie richteten das Charakterbild СКАЧАТЬ