Название: Carl Schmitts Gegenrevolution
Автор: Reinhard Mehring
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783863935771
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„Es gibt Begriffe, die geradezu eine explosive Kraft haben und umgekehrt: durch Zerstörung eines Begriffs kann ich ein Reich zerstören, und die Wirkungen einer Begriffszerstörung können je nach der historischen Lage der Sache so einer Thronzerstörung selber gleichen. Mit diesen Begriffen ist eine sehr wichtige unmittelbare Frage verbunden, nicht nur, weil sie der Kern von Mythen sein können, um die gekämpft wird, weil sie schließlich zu jedem Katechismus gehören, und ein Staat kann nicht existieren ohne einen Katechismus, und ein Katechismus kann nicht bestehen ohne Begriffe, handhabbare, klare Begriffe“.102 „Aber der Kampf um die Worte Reich und Staat wurde merkwürdigerweise niemals so geführt, daß man sagte, das Reich ist mehr als ein Staat oder das Reich ist etwas anderes als ein Staat, ist eine Art politisches Gebilde für sich, sondern Staat war das selbstverständliche Wort. Die reichstreuen Leute, die zum Ausdruck bringen wollten, daß sie selbst 1797 noch an einem Reich festhielten, fanden dafür kein anderes Wort, als daß sie versicherten, das Reich sei trotz allem doch noch ein Staat“.103
Schmitt konnte hier Novalis als einen der reichstreuen Denker von 1797 meinen, die der Reichsidee nachträumten und doch vom Staat sprachen, denen ein verfassungspolitisch konkreter Reichsbegriff fehlte. Er nennt stattdessen aber immer wieder den jungen Hegel, der in seiner Verfassungsschrift von 1802 schon „aus dem Reich in den Staat“ geflüchtet sei und dann die Konstitutionalisierung Preußens nach 1815 auf den Begriff brachte. Schmitt ging auf Novalis nicht näher ein, weil seine Verfassungsgeschichte an den Epochen der deutschen Antwort nach 1789 nicht historistisch interessiert war, sondern die Entscheidungen von 1815 zum politischen Ausgangspunkt nahm. Schmitt meinte, dass der preußische Konstitutionalismus die Reichsidee beerbt und beerdigt hatte. Novalis hätte er dagegen als einen Versuch der Rettung der Reichsidee durch Nationalisierung betrachtet.
Liest man den Ofterdingen mit Glauben und Liebe zusammen, so wollte Novalis Preußen irgendwie mit der Reichsidee verknüpfen. Ein solcher Transfer war aber unmöglich. Die Reichsinsignien lagen in Wien und eine Übergabe an Berlin war politisch wie konfessionell nahezu ausgeschlossen. Schmitts Befund, dass der Staatsbegriff und territorial-staatliche Separatismus, die Spannung zwischen Preußen und Österreich, auch eine Wiedergeburt des Reiches unter preußischen Vorzeichen ausschloss, war politisch berechtigt. Wenn Schmitt das 1933 ausführte, stellt sich die Frage, ob er den Nationalsozialismus als charismatische Wiedergeburt der Reichsidee betrachtete. Buchstäblich muss man das so sehen, obgleich Schmitt vorsichtig und vorbehaltlich formulierte; es könnte ernstlich so gedacht gewesen sein, war Schmitt doch ein religiöser Ekstatiker wie Novalis, der die religiösen Weihen suchte. Eine Verbindung Preußens mit der Reichsidee lehnte er aber für die Lage um 1800 ab und meinte dagegen mit Hegel, dass die Rettung Deutschlands vor Napoleon nur durch die preußischen Reformen auf dem Weg der Etatisierung erfolgen konnte. Diese Antwort der preußischen Reformen hat Novalis jedoch nicht mehr erlebt. Schmitt unterschied bei politischen Denkern zwischen Siegern und Verlierern. Es wäre aber übertrieben zu sagen, dass er Novalis als einen „Besiegten von 1798“ betrachtete. Dessen politische Schriften hatten überhaupt keine Chance. Die idealistische Verklärung des jungen Königspaars war damals auch wenig überzeugend. Der philosophische Chiliasmus des Novalis ist davon zwar nicht getroffen; Novalis war für Schmitt aber nicht zentral, weil er den philosophischen Idealismus mied und die Lage von 1798 in seiner Verfassungsgeschichte keine Rolle spielte.
V. Gegen den Anarchismus: Fritz Mauthner und Gustav Landauer im Visier
Die letzten Kriegsjahre, der Systemumbruch vom Kaiserreich zur Weimarer Republik und das Scheitern der ersten Ehe Schmitts sind aus den biographischen Quellen nicht detailliert greifbar. Die Ablehnung politischer Romantik und seine Option für Diktatur und Gegenrevolution sind aus den Schriften zwar grundsätzlich klar; seine genaue Wahrnehmung der politischen Lage in Bayern und im Reich ist im Umbruch aber kaum explizit. Schmitt argumentierte bereits indirekt mit den historischen Parallelen zur Moderne und Neuzeit: zur Lage nach 1815 und vor 1648. Er sprach von Wallenstein und Adam Müller, David Friedrich Strauss und Bakunin, statt sich zu Ludendorff oder Ebert, Liebknecht, Eisner oder Leviné klar zu positionieren. Es gibt auch nur wenige rückblickende Äußerungen zu den Akteuren des bayerischen Sonderwegs in die Weimarer Republik. Ob Schmitt etwa die Reichsexekution gegen Bayern und die Gewalt der Freikorps in der Bürgerkriegslage des Frühjahrs 1919 für richtig hielt, ist aus den damaligen Quellen kaum zu sagen. Rückblickende Äußerungen sind unzuverlässig. Auch einige späte Briefe an Hansjörg Viesel, in denen Schmitt sich über seine frühe Münchner Zeit äußert, bleiben vage. Viesel hatte sich über die Erwähnung von Otto Gross in der Politischen Theologie (PT 71) verwundert; Schmitt antwortet dazu 1973: „Sie, lieber Herr Viesel, sind also der Erste und Einzige, der – innerhalb eines halben Jahrhunderts! – das Zeichen bemerkt hat.“104 Im Juli 1973 schreibt er ergänzend:
„Max Weber habe ich erst 1919 persönlich kennengelernt, in München, als Hörer seiner damaligen tumultarischen Vorlesungen und Mitglied seines Dozenten-Seminars (Kurt-Eisner-Zeit); Eisner ist als Modell des ‚Charisma‘ und der ‚charismatischen Legitimität‘ in Webers Soziologie eingegangen. Der von Jaspers und Theodor Heuss aufgebaute Max-Weber-Kult hat einer kritischen Würdigung dieses erstaunlichsten Falles politischer Theologie im Wege gestanden“.105
Weber hatte zum Sommersemester 1919 den Lehrstuhl in München übernommen. Damals war Schmitt noch in der Heeresverwaltung tätig. Erst zum Wintersemester 1919/20 übernahm er seine erste feste Dozentur. Er besuchte damals Webers Veranstaltungen und klebte sich eine Teilnehmerkarte in sein Exemplar von Wirtschaft und Gesellschaft. Dazu ergänzte er handschriftlich: „Die intellektuelle Besorgnis, ein fremdes Charisma zu verkennen, war stärker als die existentielle Angst, das eigene Dasein zu verfehlen. (Dr. Toller, Eisner 1919)“ (TB 1915/19, 495) Weber las im Wintersemester seinen „Abriss der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ und gab samstags ein Seminar „Soziologische Arbeiten und Besprechungen“. Am 21. Februar 1920 zählte Weber in einem Brief an Karl Vossler die regelmäßigen Teilnehmer des Dozentenseminars auf: Rothenbücher, Palyi, Carl Landauer, Christian Janentzky, Ernst von Aster, Friedrich Klausing und Schmitt.106 Wenn Schmitt rückblickend von der Eisner-Zeit sprach, zeigen sich Überformungen der Erinnerung: Weber veranstaltete das Dozenten-Seminar über ein Jahr nach Eisners Ermordung.
Spätestens seit der Politischen Theologie argumentierte Schmitt mit der historischen Parallele von 1848; er spiegelte die Lage der Weimarer Republik im Aufbruch des Vormärz und der Paulskirchen-Politik. Diesen nationalliberalen Weg zur Reichsgründung sah er im Licht des Ausnahmezustands von den extremen Polen der Revolution und Gegenrevolution her skeptisch; die Münchner Lage von 1918/19 spiegelte er verdeckt in der kleinen Parallele von 1848. Nur einmal (D 185) erwähnt er damals Landauers Ausgabe von Kropotkins Buch über Die französische Revolution.107 Diese Nennung war kein gezieltes metonymisches „Zeichen“, wie die Erwähnung von Otto Gross, steht aber für eine anarchistische Linie der Revolution – von Kropotkin zu Landauer – und die Aktualität der Fronten von 1848. Landauer gilt auch heute als einer der wichtigsten Vordenker und Akteure der Revolution. Das folgende Kapitel will zeigen, dass Autoren wie Landauer hinter Schmitts ständiger Erwähnung von Bakunin stehen und Schmitt intime Kenntnisse und Einsichten in diese Kreise hatte. Das zeigt sich schon am Interesse für Fritz Mauthner, dessen mystische Philosophie Landauer anarchistisch übersetzte.
1. Von Mauthner zu Landauer: von der Sprachskepsis zur anarchistischen Revolutionsmystik
Fritz Mauthner wurde 1849 in Böhmen geboren. In seinen späten Erinnerungen schildert er seine Sozialisation von seiner Dreisprachigkeit ausgehend. Die „Leichen dreier Sprachen“108 – deutsch, tschechisch und hebräisch – trug er mit sich herum. In einem strikt säkularen, jüdischen und bürgerlichen Elternhaus geboren, in Prag aufgewachsen, war er durch eine kurze Phase jüdischer Identitätssuche und Bekehrung hindurchgegangen СКАЧАТЬ