Carl Schmitts Gegenrevolution. Reinhard Mehring
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Название: Carl Schmitts Gegenrevolution

Автор: Reinhard Mehring

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

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isbn: 9783863935771

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СКАЧАТЬ verabschiedete er die Romantik ziemlich plötzlich und vollständig aus seinem Referenzkanon; er orientierte sich kanonpolitisch um und verlegte sich auf die Konstellation um 1848.

       7. Briefliche Äußerungen

      Es wurde bereits gesagt, dass sich nur wenige private Zeugnisse aus den Jahren 1918/19 finden. So ist ungeklärt, wie Schmitt seit 1916 seinen Lebensschwerpunkt als Privatdozent in Straßburg und Soldat in München gestaltete. Das Vorwort zur zweiten Auflage betont, dass die Politische Romantik „1917/18 entstand und Anfang 1919 erschien“ (PR 27). Einige Briefe an den befreundeten Verleger Feuchtwanger (CSLF 17ff) belegen, dass Schmitt im Juli 1918 noch am Text schrieb, im Oktober eine „Einfügung“ nachschob und das Buch Anfang 1919 erschien. Es ist also von einem definitiven Abschluss des Textes spätestens im Dezember 1918 auszugehen. Jahrzehnte später, 1978, schreibt Schmitt, fast 90 Jahre alt, seinem Bonner Schüler Huber zum Erhalt des fünften Bandes der monumentalen Verfassungsgeschichte, der Weltkrieg, Revolution und „Reichserneuerung“ in den Jahren 1914 bis 1919 behandelt:

      „Seit fast einem Monat lese ich in Ihrem Bd. V. der Deutschen Verfassungsgeschichte und bei jedem Abschnitt war ich von neuem gefesselt. Es ist ein ungewöhnliches, bewunderungswürdiges Werk, sowohl in der Forschungsarbeit und Dokumentierung, wie in der Urteilskraft seiner Konklusionen und in der erquickenden Sicherheit seiner klaren Darlegung. Sie haben Recht, wenn Sie vermuten, dass ich diese Geschichte des ersten Weltkriegs und der anschließenden Nachkriegsjahre als Zeitgeschichte mit autobiographischem Interesse lesen kann: denn ich war vier Jahre lang Referent für Kriegszustandsrecht (nach dem bayerischen Kriegszustand-Gesetz) der Abteilung P beim Stellvertretenden Generalkommando I beim Armee-Korps in München in der Herzog-Max-Burg, anschließend Objekt der Eisner- und Niekisch-Republik und dann wieder beim Stabe der Regierungstruppen (Hauptmann Roth, der spätere bayerische Justizminister) – alles Abschnitte Ihrer verfassungsgeschichtlichen Darstellung, die ich persönlich verifizieren kann. So bin ich ein geradezu prädestinierter Leser und Benutzer Ihres Werkes und darf mir ein Urteil erlauben“. (CSHU 384f)67

      Huber schickte 1981 noch den folgenden sechsten Band über die Institutionen der Weimarer Verfassung. Dazu schrieb Schmitt, bereits 93 Jahre alt, aber nur noch: „Der wahre und angemessene Dank ist mir nicht mehr möglich.“ (CSHU 390) 1978 unterschied er rückblickend zwischen seiner Tätigkeit im Generalkommando und der anschließenden Rolle als „Objekt der Eisner- und Niekisch-Republik“. Dass er Huber gegenüber von einer Niekisch-Republik sprach, nicht etwa von Leviné o.a., resultiert wohl aus der gemeinsamen Bekanntschaft mit Niekisch im Jünger-Kreis. Schmitt scheint sich 1978 jedenfalls erneut von der Räterevolution zu distanzieren. Eine beachtliche zeitgenössische Äußerung ist dazu der erwähnte Brief vom August 1920, den er zusammen mit dem befreundeten Georg von Schnitzler in der Münchner Post zur öffentlichen Verteidigung des Hauptmanns Roth publizierte. Schmitt schreibt hier:

      „Wir waren jahrelang in der von Dr. Roth geleiteten Abteilung des Generalkommandos tätig und standen, wie Roth bekannt war, auf einem ganz anderen politischen Standpunkt als er selbst. […] Die Abteilung Roth war kein Scharfmacherbüro und Dr. Roth alles andere als ein bornierter Militarist. […] Bei der Abteilung waren offen demokratische Mitarbeiter, was Dr. Roth wusste, ohne sie in ihrer Selbständigkeit zu beeinträchtigen.“ (TB 1915/19, 519)

      Es ist hier nicht zu klären, ob dieses Zeugnis zutreffend war und Schmitt sich selbst zu den „offen demokratischen Mitarbeitern“ zählte. Er reklamiert jedenfalls einen „ganz anderen politischen Standpunkt“ für sich, und so merkwürdig das im Kontext sonstiger Bekenntnisse klingt, so strategisch der Brief auch geschrieben ist, gibt es hermeneutisch doch schwerlich sichere Gründe, Schmitts Erklärung nicht ernst zu nehmen. Will man seinen damaligen „Standpunkt“ genauer fassen, so ist neben der Politischen Romantik vor allem Die Diktatur zu berücksichtigen. Sie ging im Herbst 1920 in den Druck.

       8. Die Jakobiner nach 1918

      Wie zitiert, kam Schmitt das Interesse an der Diktatur als dienstlicher Auftrag entgegen. 1916 publizierte er eine erste längere „staatsrechtliche Studie“ zur Unterscheidung von Diktatur und Belagerungszustand, die sich auf den Bedeutungswandel in der französischen Revolution und Verfassungsgeschichte konzentrierte. Schmitts erste große rechts- und begriffsgeschichtliche Monographie führt 1921 dann – laut Untertitel – von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf. Nur der kritische Schluss mit dem „proletarischen Klassenkampf“ soll hier interessieren.

      Auf den letzten Seiten erörtert Schmitt erstmals die Diktatur des Reichspräsidenten nach Artikel 48 im Verhältnis zur „Diktatur des Proletariats“. Dabei konstatiert er einen Begriffswandel vom älteren Belagerungszustand zur Konzeption der Weimarer Verfassung: 1848 war bereits „eine Reihe von umschriebenen Befugnissen“ an die Stelle einer unbestimmten Ermächtigung zur nach Lage der Sache erforderlichen Aktion getreten. Der Reichspräsident erhielt dagegen „die Ermächtigung zu einer rechtlich nicht begrenzten Aktion“ (D 201): eine „grenzenlose Ermächtigung“, „grenzenlose Delegation“ und „Übertragung der Souveränität“. Nur die Selbstbeschränkung auf ein Maßnahmehandeln unterschied seine Praxis von der souveränen Diktatur. „Das Recht über Leben und Tod wird implicite, das Recht zur Aufhebung der Pressfreiheit explicite erteilt.“ (D 203)

      Am Beispiel des Art. 48 entdeckt Schmitt 1921 erstmals „Widersprüche“ in der Weimarer Verfassung: Weil die existentielle Frage der Souveränität nicht klar geregelt ist, kann der Reichspräsident sein Handeln über die „kommissarische Diktatur“ hinausgehend in Richtung auf eine „souveräne Diktatur“ entwickeln. Schmitt gibt ein soziologisches Argument für das mangelnde Problembewusstsein und Schweigen des Verfassungstextes zu diesem entscheidenden Fall: „Beim Übergang vom fürstlichen Absolutismus wurde als selbstverständlich vorausgesetzt, daß nunmehr die solidarische Einheit des Staates endgültig gesichert sei.“ (D 203) Schmitts Monographie schließt mit dem Befund, dass diese Voraussetzung einer staatlichen Einheit und Einheitsbildung, die die nationalliberale Bewegung des 19. Jahrhunderts beherrschte, mit dem „proletarischen Klassenkampf und der Theorie der „Diktatur des Proletariats“ aktuell negiert sei. Schmitt schreibt:

      „In den Jahren 1832 und 1848, die für die Entwicklung des Belagerungszustands zu einer rechtlichen Institution das wichtigste Datum sind, war gleichzeitig schon die Frage gegeben, ob die politische Organisation des Proletariats und ihre Gegenwirkung nicht einen ganz neuen politischen Zustand, und damit neue staatsrechtliche Begriffe schafft.“ (D 204)

      Die Diktatur schließt also mit einer Verhältnisbestimmung der Diktatur des Reichspräsidenten und des Proletariats und kündigt weiterführende Publikationen an; der Vortrag von 1924 über Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung ist dann als „Anhang“ seit 1927 allen folgenden Auflagen beigefügt. Der Text von 1921 schließt folgendermaßen:

      „Wie der Begriff [der souveränen Diktatur] sich im systematischen Zusammenhang mit der Philosophie des 19. Jahrhunderts und im politischen Zusammenhang mit den Erfahrungen des Weltkrieges entwickelt hat, muss einer besonderen Darstellung vorbehalten bleiben. Es darf jedoch hier schon bemerkt werden, dass, von einer allgemeinen Staatslehre aus betrachtet, die Diktatur des mit dem Volk identifizierten Proletariats als Übergang zu einem ökonomischen Zustand, in welchem der Staat ‚abstirbt‘, den Begriff einer souveränen Diktatur voraussetzt, wie er der Theorie und der Praxis des Nationalkonvents zugrunde liegt. Auch für die Staatstheorien dieses Übergangs zur Staatlosigkeit gilt das, was Engels in einer Ansprache an den Bund der Kommunisten im März 1850 für seine Praxis verlangte: es ist dasselbe ‚wie in Frankreich 1793‘.“ (D 205)

      In seiner gewichtigen und schwierigen „Vorbemerkung“ von 1921 geht Schmitt näher auf die „sozialistische Literatur“ zur Theorie СКАЧАТЬ