Carl Schmitts Gegenrevolution. Reinhard Mehring
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Название: Carl Schmitts Gegenrevolution

Автор: Reinhard Mehring

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783863935771

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СКАЧАТЬ ausgefüllt“ (SGN 18f).

      Vermutlich traf Schmitts Jenaer Vortrag 1924 auch deshalb auf erbitterten Widerspruch, weil die Hörer die Nähe zur älteren Auslegung des Belagerungszustandes sahen. Für die frühere Unterscheidung zwischen „Belagerungszustand und Diktatur“ sprach Schmitt ab 1921, seit seiner Monographie Die Diktatur, terminologisch dann von „kommissarischer“ und „souveräner“ Diktatur.

       IV. Gegen romantischen Utopismus: Schmitts Novalis-Bild

       1. Das Buch Politische Romantik

      Schmitt pflegte einen eminent politischen und aktualistischen Umgang mit Geistesgeschichte. Er stellte sich zwar in die Reihen der „Gegenrevolution“, verhielt sich hier aber nicht epigonal. Nur wenige Zeilen hat er über Bonald und de Maistre geschrieben, die er als Vorgänger von Donoso Cortés nannte. Und selbst Donoso Cortés rezipierte er eigentlich nur als Spiegel einer Konstellation. Jenseits von Donoso Cortés zitierte er eigentlich niemanden: weder Nietzsche noch andere mehr oder weniger erlesene „Klassiker“ des modernen Konservatismus, Nationalismus, Imperialismus oder gar Rassismus und Antisemitismus vor 1918. Nur Hobbes und Donoso Cortés stilisierte er eigentlich zu plakativen Vorgängern seines Werkes. Wenn er Romantiker der Goethezeit zitierte, meinte er auch die zeitgenössischen Romantiker,76 hier vor allem die Schwabinger Bohème. Sein präsentistischer Umgang mit Geistesgeschichte resultierte primär aus seinen politischen Absichten und der juristischen Manier, die eigenen Positionsnahmen hinter geistesgeschichtlichen Masken zu verstecken. Die Autorenmasken, die er sich über die Jahrzehnte aufsetzte, sind kaum zu zählen. Sein kanonpolitischer Umgang mit der Geistesgeschichte war dabei letztlich verfassungsgeschichtlich begründet: Schmitt äußerte sich über Autoren nicht deshalb, weil sie ihn intellektuell ansprachen, sondern weil sie ihm eine individuelle Perspektive auf eine Konstellation artikulierten. Seine Geistesgeschichte geht also von den verfassungspolitischen Konstellationen aus. Und hier interessierte Schmitt sich vor allem für die Weichenstellungen der frühen Neuzeit und des Jahres 1848. Nach Abschluss des Frühwerks hat er sich deshalb über die Goethezeit nur noch selten geäußert. Das erklärt, weshalb er sich nach 1925, nach der erweiterten Neuauflage seiner Politischen Romantik, über die Romantik kaum noch äußerte.

      Die Monographie gehört in Schmitts katholisierende Phase, die spätestens 1925 mit der Publikation der zweiten Fassung des Essays Römischer Katholizismus und politische Form endete. Während dieser Katholizismus-Essay sich aber nicht theologisch auf die Kirche bezieht, sondern lediglich die autoritäre Form preist, befasste sich Schmitt in den Münchner Jahren, auch im Gespräch mit Franz Blei, mit einer theologischen Rechtfertigung der Kirche. Blei war ein Novalis-Kenner. Schon früh hatte er eine Auswahl der Gedichte veranstaltet und ein bibliophil ausgestattetes, biographisch einführendes Novalis-Büchlein publiziert. Darin nennt Blei Novalis einen Vorläufer des zeitgenössischen „Dandysmus“.77 Und er schließt: „Der Tempel des dritten Reiches hebt sich langsam. An sein Fundament legten die Romantiker den ersten Stein.“78 Ob Schmitt jemals mit Blei über Novalis gesprochen hat, ist nicht bekannt. Unter dem Eindruck des Weltkriegs neigte er aber religiöser Apokalyptik zu. Das ist für seine Politische Romantik wichtig, die zwischen Gegenrevolution und ästhetisierender Romantik strikt unterscheidet und nicht zuletzt gegen modernistische Romantisierungen der Kirche zielt. Diese „katholische“ Kritik der Romantik ist neben der starken Rezeption der französischen Literatur eine Eigenart von Schmitts Schrift. Sie richtet sich gegen eine Romantisierung des Katholizismus und romantische Auffassungen der „organischen“ Staatslehre. Schmitt steht also in anderen Rezeptionslinien und Fronten als etwa ein zeitgenössischer Germanist und wandte sich mehr an die innerkatholische Debatte.

      Schmitt kritisiert die politische Romantik 1919 exemplarisch vor allem am „Typus“ und Beispiel Adam Müller. Novalis und Friedrich Schlegel zieht er nur ergänzend heran. Er erörtert Novalis nicht als Hauptvertreter, weil er sich auf die Spätromantik nach 1815 konzentriert und die Frühromantik nicht näher erörtern möchte. Zwei Müller-Kapitel umklammern zwei Kapitel zur „Struktur des romantischen Geistes“. Mit der Formel vom „subjektiven Okkasionalismus“ streicht Schmitt die Epigonalität der Romantik als „Reaktionsform“ (PR 84) heraus. So profiliert er die katholische Kirche, Ontologie und Theologie, der er nahe steht, gegen die Romantik. Burke, Bonald und de Maistre, Gentz, Haller und auch Stahl rechnet er nicht zur Romantik. Donoso Cortés ist noch nicht erwähnt und es gibt noch keine klare Absage an die dynastische Legitimität und Restauration. Damit erscheint die Schrift als ein letztes Abwehrgefecht in der Option für die Gegenrevolution. Die Taine-Dissertation seiner geliebten Kathleen Murray, die Schmitt vermutlich in erheblichen Teilen – „jedes Wort von mir“ (TB 1921/24, 87, vgl. 468) – selbst schrieb, zeigt dann die Grenzen einer soziologischen Deutung der Romantik, als Ausdruck bürgerlicher Bewegung und Demokratisierung,79 die Taine mit einer unzulänglichen „Rassen- und Milieutheorie“80 zu übertünchen suchte. Diese Abgrenzung von Taines Soziologismus geht dann ins Vorwort von 1924 zur erweiterten Fassung der Politischen Romantik ein.

       2. Novalis-Erwähnungen in der Politischen Romantik

      Schmitt hat sich nur beiläufig mit Novalis beschäftigt. In den Tagebüchern der 1920er Jahre wird er gelegentlich erwähnt, in den Publikationen und Briefwechseln spielt er aber fast keinerlei Rolle. Das vierte Kapitel der Politischen Theologie eröffnet: „Den deutschen Romantikern ist eine originelle Vorstellung eigentümlich: das ewige Gespräch; Novalis und Adam Müller bewegen sich darin als der eigentlichen Realisierung ihres Geistes.“ (PT 69) Novalis wird in der Schrift aber nicht weiter erwähnt. Ein wichtiger Nachtrag zur Politischen Romantik findet sich in der Verfassungslehre von 1928, die für die „Lehre von der Monarchie“ verschiedene Begründungen unterscheidet. Schmitt schreibt hier eingehender:

      „Im 19. Jahrhundert tritt die echte Idee der Monarchie zurück. […] In der Rechts- und Staatsphilosophie von Fr. J. Stahl sind verschiedene Gesichtspunkte miteinander verbunden, aber selbst hier fehlt das spezifisch Monarchische des Gedankenganges und die Argumentation wirkt wie ein kluges Plädoyer. […] Noch viel weniger sind die romantischen Poetisierungen von Königen, wie sie bei Novalis und Adam Müller vorkommen, eine monarchische Staatstheorie. Sie machen aus dem Monarchen einen Anknüpfungspunkt für Stimmungen und Gefühle […] Der Gedanke der Repräsentation des Staates, das politische Formprinzip der Monarchie, verflüchtigt sich in die Vorstellung, daß der König ein Symbol oder eine Art Fahne ist“ (VL 284f).

      Der Begriff der Repräsentation ist für Novalis tatsächlich wichtig. Wenn Schmitt die Lehre vom König als „Symbol“ aber auf eine „Art Fahne“ reduziert, bagatellisiert und banalisiert er die Überlegungen polemisch. In der Politischen Romantik findet sich Novalis häufiger im Schulterschluss mit Müller erwähnt. Das Buch konzentriert sich aber mehr auf das Verhältnis zur Restaurationspolitik nach 1815 und die Spätromantik. Schon deshalb setzt es sich nicht näher mit Novalis auseinander. Schmitt hat das Buch für die zweite Auflage von 1925 erheblich überarbeitet und erweitert. Ein Textvergleich zeigt, dass dies nicht zuletzt die Novalis-Erwähnungen betraf. Schmitt ergänzt und illustriert seine Pauschalkritik mit einigen prägnanten Zitaten, ohne sich näher auf Novalis einzulassen. Er interessiert sich überhaupt erstaunlich wenig für die politische Biographie oder juristische Ausbildung des Novalis und kontextualisiert die Frühromantik nicht in den Wendejahren um 1800 beim Aufstieg Napoleons. Ein Grund für dieses Desinteresse wurde bereits genannt: Schmitt konzentriert sich auf Müller und belastet sein Werk nicht mit dem historischen Vergleich zwischen Früh- und Spätromantik; er bestreitet der Politischen Romantik vielmehr pauschal die Produktivität und erklärt die Romantiker zu Wendehälsen und Opportunisten, die vor der Politik in Poesie flüchteten. Dieser These ist alles untergeordnet.

      So findet sich im Buch keine starke Kontextualisierung und Differenzierung zwischen СКАЧАТЬ