Unterrichtsentwicklung begleiten - Bildungsreform konkret (E-Book). Thomas Balmer
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СКАЧАТЬ Deprivatisierung der eigenen Praxis des Unterrichtens, einen gemeinsamen Fokus auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler sowie gemeinsam geteilte Werte und Normen aus und ist grundsätzlich freiwillig (Bonsen & Rolff, 2006; Vescio, Ross & Adams, 2008). Verschiedene Voraussetzungen tragen zum Gelingen bei. Nebst Kontextfaktoren (z.B. Arbeitsbedingungen, Schulkultur) ist die Bereitschaft der Lehrperson bedeutsam, ihren Unterricht zu öffnen, persönliche und kollektive Reflexion und Kritik zuzulassen sowie eine forschende Haltung einzunehmen (Penuel, Sun, Frank, Kenneth & Gallagher, 2012).

      Als bedeutsam für Veränderung hat sich vor allem die fachliche Kooperation erwiesen (Nieskens & Schuhmacher, 2010), was sich mit dem Ergebnis der Schuleffektivitätsforschung verbinden lässt, dass ein allgegenwärtiger Fokus einer Schule auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler bedeutsam ist. Neuere Ansätze der strukturierten kooperativen Analyse, Reflexion und Neuerprobung von Unterrichtselementen mit Fokus auf das fachliche Lernen der Schülerinnen und Schüler, wie Lesson Studies (Xu & Pedder, 2016) oder Videoclubs (Sherin & Han, 2004), bestätigen das Potenzial fachlicher Kooperation. Lernen ist immer an Inhalte gebunden, die in der Schule und im Lehrplan in Fachbereichen angesiedelt sind. Das spricht für eine primär fachbezogene Unterrichtsentwicklung (siehe Beitrag 3, Kapitel 1.3). Für die Verortung von Unterrichtsentwicklung in der Schule lässt sich daraus die Notwendigkeit folgern, dass sie in Teams des gleichen Fachbereichs und/oder der unterrichteten Stufe stattfinden sollte. Organisationsstrukturell gilt es, entsprechende Ressourcen und Gefässe zu schaffen. Gerade im Kontext einer Lehrplaneinführung ist zudem die externe Unterstützung durch ein Weiterbildungsangebot von Bedeutung, denn es hat sich auch gezeigt, dass ohne Weiterbildung Konzeptionen und Verhalten, wie sie Reformen zu implementieren gedenken, bei erfahrenen Lehrpersonen stark variieren (Hoekstra, Brekelmans, Beijaard & Korthagen, 2009). Creemers et al. (2013) stellen in ihrer Studie sogar fest, dass sich die Fähigkeiten der Lehrpersonen während eines Jahres trotz geplanter Unterrichtsentwicklung ohne externe Unterstützung nicht veränderten. Sie schlussfolgern, dass ohne systematisches Bestreben seitens der Lehrpersonen, aber auch ohne externe Unterstützung Bildungssysteme keine Verbesserung der Qualität von Unterricht und der Lernergebnisse erwarten können (ebd., S. 217).

      Kooperation ist nicht per se der «Königsweg der Unterrichtsentwicklung» (Rolff, 2015). Die strukturellen und personellen Voraussetzungen der Schulen und Lehrpersonen sind so verschieden, dass Kooperation «keine universale Strategie der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist» (Steinert & Maag Merki, 2009), sondern aufgaben- und kontextspezifisch in Abwägung der Ressourcen und des versprochenen Mehrwertes einzusetzen ist. Das bedeutet zum Beispiel zu klären, welche Kooperationsgefässe angesichts des Schulorganisationskontextes im Kanton Bern in welcher zeitlichen Struktur (permanent versus projektbezogen) bezüglich welcher Aufgaben mit welchen Ressourcen (zeitlicher Umfang) gebildet werden sollen. Unterrichtsteams (Lehrpersonen einer Klasse), Fachgruppen (Lehrpersonen eines Schulfaches) und Zyklusgruppen (Lehrpersonen einer Schulstufe) dürften ihre je eigenen Themen haben, die zu bearbeiten in der jeweiligen Gruppe von vorrangigem Interesse und damit sinngebend sein dürften. Sie zu klären und voneinander abzugrenzen, ist eine notwendige Voraussetzung, damit die Kooperationsgefässe wirksam werden können.

      Dass die Lehrplaneinführung im Kanton Bern für die Schulen verpflichtender Auftrag ist, entspricht dem Kriterium einer wirksamen Kooperation in einer professionellen Lerngemeinschaft nicht, dass sie nämlich grundsätzlich freiwillig sein sollte. Hingegen entspricht sie in der Anlage als fachbezogene Unterrichtsentwicklung einem anderen Kriterium. Zudem wird von der Erziehungsdirektion des Kantons Bern der Prozess mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet, sodass die kooperativen Prozesse weniger mit den alltäglichen Anforderungen konkurrieren. Im Weiteren sind Lehrpersonen gerade im Fall einer Lehrplaneinführung einem Weiterbildungsobligatorium gegenüber grundsätzlich weniger abgeneigt (Landert, 1999). Darüber hinaus kann die didaktische Gestaltung des Weiterbildungsangebots, etwa durch die Berücksichtigung individueller Voraussetzungen, produktive Prozesse unterstützen.

      5.2 Differenzierend mit Eingangsvoraussetzungen umgehen

      Unsicherheiten überwinden und unterstützen

      Was heisst das für die Gestaltung von Lerngelegenheiten für Lehrpersonen zur Weiterentwicklung ihres Unterrichtes, wenn Stress oder zumindest Unsicherheiten oder eine gewisse Unzufriedenheit eine Voraussetzung für eine Konzeptänderung sind? Für einen erfolgreichen Unterrichtsentwicklungsprozess scheint gerade auch das Gefühl der Sicherheit die zentrale Emotion für die Bereitschaft zum Lernen zu sein (Simons & Ruijters, 2004). Erfolgreiche professionelle Lernprozesse zeitigen denn auch emotional positive Ergebnisse: Gefühle des Meisterns, der Befriedigung und der Kompetenz (ebd.). Gemäss der Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 1993) müssen ihre zentralen Elemente des Kompetenz-, Autonomie- und Verbundenheitserlebens unterstützt werden, damit intrinsische Motivation aufrechterhalten werden kann. Die Lernumgebung von Lehrpersonen im Zusammenhang mit einer Reform muss diese psychologischen Grundbedürfnisse befriedigen (Turner, Waugh, Summers & Grove, 2009; Schellenbach-Zell, 2009). Die didaktische Gestaltung von Lerngelegenheiten muss also unterschiedliche emotionale Ausgangslagen der Lehrpersonen (siehe die Einstellungstypen in Kapitel 4.1) bei unterschiedlichen Ausprägungen von Selbstwirksamkeitserwartungen und professioneller Kompetenz in Rechnung stellen und ein differenzierendes Angebot bereitstellen. Es muss die Überwindung von Unsicherheiten unterstützen oder aber durch Erzeugen von Dissonanzen zwischen eigenen Erwartungen und Überzeugungen und der tatsächlichen Praxis beziehungsweise deren Wirkung bei den Schülerinnen und Schülern allenfalls Unsicherheiten oder Unzufriedenheit mit dem eigenen Unterricht auslösen. Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass bei zu grosser Dissonanz oder zu grosser Lücke zwischen bestehendem und neuem Wissen Neues verworfen wird (McChesney & Aldridge, 2019; Timperley, Wilson, Barrar & Fung, 2007). In der Folge muss dann der erneute Aufbau von Sicherheit das Ziel sein. Weiterbildung realisiert dies offenbar wirksam durch eine Kombination von Reflexionsphasen und handlungspraktischen Erprobungsphasen, in denen die Lehrpersonen Kompetenzerfahrungen machen können (Lipowsky, 2014). Das Bedürfnis der Verbundenheit kann etwa durch positive Kooperationserfahrungen ermöglicht werden.

      Adressieren individuell ausgeprägter professioneller Kompetenz

      Unterrichtsentwicklung auszulösen, bedingt nicht nur das In-Rechnung-Stellen unterschiedlicher Emotionen angesichts der Reform, sondern, wie das Modell von Gregoire (2003) impliziert, auch unterschiedlicher Selbstwirksamkeitserwartungen bezüglich der Reformnachricht, kompetenzorientiert zu unterrichten, unterschiedlicher Überzeugungen und unterschiedlichen Wissens und Könnens. In Kapitel 3 wird auf die Tatsache verwiesen, dass Lehrpersonen unterschiedlich effektiv unterrichten, weil sie auch über unterschiedliches fachliches und fachdidaktisches Wissen verfügen. Ihr Wissen beziehungsweise ihre bestehende professionelle Kompetenz bestimmt auch die Wahrnehmung der Reformnachricht mit und «damit auch, ob die Aufforderung und Anforderung, kompetenzorientiert zu unterrichten, zur Herausforderung und zum Ausgangspunkt für einen Lernprozess wird» (Albisser & Keller-Schneider, 2010, S. 131).

      Wenn das Lernen der Schülerinnen und Schüler im Zentrum stehen soll, erhält seitens der Lehrpersonen derjenige Aspekt professioneller Kompetenz eine zentrale Bedeutung, der für die Ermöglichung des Lernens der Schülerinnen und Schüler genutzt wird: das fachspezifisch-pädagogische beziehungsweise fachdidaktische Wissen («pedagogical content knowledge»), weil es diejenigen Wissensstrukturen umfasst, welche etwa beim Diagnostizieren, Erklären, Aufgabenstellen, Sequenzieren, Begleiten und Beurteilen im Unterricht manifest werden. Auf Basis des Fachwissens und des pädagogisch-psychologischen Wissens stellt es die spezifische Wissensfacette dar, wie der fachliche Inhalt unterrichtet werden soll. Fachdidaktisches Wissen umfasst in aktuellen Konzeptionen die Komponenten

      1 der Überzeugungen der Lehrpersonen zum Zweck und den Zielen des Faches auf der jeweiligen Altersstufe,

      2 des Wissens, wie die Schülerinnen und Schüler bestimmte Inhalte lernen,

      3 des Wissens, СКАЧАТЬ