Unterrichtsentwicklung begleiten - Bildungsreform konkret (E-Book). Thomas Balmer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Unterrichtsentwicklung begleiten - Bildungsreform konkret (E-Book) - Thomas Balmer страница 10

СКАЧАТЬ letztlich auch von organisationalen und schulkulturellen Umständen abhängen.

      Aus den hier dargelegten Entwicklungen und der Forschung zur Wirksamkeit von Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung lassen sich verschiedene Aspekte ableiten, die für die Gestaltung eines Angebots zur Umsetzung eines Reformvorhabens wie der Umsetzung des Lehrplans 21 von Bedeutung sind, wenn bei den Lehrpersonen Lernprozesse ausgelöst werden sollen.

      5.1 Nicht allein lernen – kollektives Lernen in der Schule

      Wie in Kapitel 3 und 4 dargestellt, bedeutet wirksames Lernen von Lehrpersonen lerntheoretisch dynamische individuelle und kollektive Interaktionen der Person mit dem Unterrichten und dem Kontext ihrer Unterrichtspraxis. Dazu kommen die sozialanthropologischen (Lave & Wenger, 1991; Wenger, 1998) und arbeitspsychologischen Hinweise auf die sozialen Bedingungen des Lernens und des Arbeitsplatzes Schule für die einzelnen Lehrpersonen, die auf Vorteile einer kooperativen schulinternen Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung schliessen lassen (empirische Evidenzen z.B. bei Camburn, 2010; Althauser, 2014). Die Forschung zeigt, dass die Kooperation der Lehrpersonen nicht nur ein Merkmal effektiver Schulen und eine fördernde Bedingung für die Übernahme und Umsetzung von Innovationen an Schulen darstellt (Gräsel, Fussangel & Parchmann, 2006; Fussangel & Gräsel, 2009; Steinert et al., 2006), sondern ebenfalls die langfristige Wirksamkeit von Weiterbildungsmassnahmen begünstigt (Freienberg, Parchmann, Pröbstel & Gräsel, 2008; Gersten, Dimino, Jayanthi, Kim & Santoro, 2010). Zudem kann der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen die Bewältigung berufsimmanenter Unsicherheiten, wie sie sich aufgrund der Unvorhersehbarkeit des Unterrichts, der Komplexität des Berufsauftrags und reforminduziert ergeben, unterstützen (Soltau & Mienert, 2010).

      Das wurde von der Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung, deren Funktion die Unterstützung der Lehrpersonen ist, nicht immer so verstanden, auch weil die Entscheidungen darüber, welche Weiterbildungsziele verfolgt werden sollten, früher fast ausschliesslich bei den einzelnen Lehrpersonen lagen. Was und wie von Lehrpersonen gelernt werden soll, wurde lange als ein vollständig individueller, in der alleinigen Verantwortung der Lehrpersonen stehender Prozess angesehen (Huberman, 1995, S. 194). Für Grossbritannien beispielsweise stellt Bolam (2000) für den Zeitraum von 1960 bis Anfang 1980 fest, dass das vorherrschende Paradigma die individuellen Bedürfnisse einzelner Professioneller war. Selbst bei den aufkommenden schulinternen Weiterbildungen habe die Kontrolle trotz grösserer Beachtung der Bedürfnisse der Schulen und des weiteren Systems bei den Lehrpersonen gelegen. Das lässt sich auch für die Schweiz sagen, wie die Auseinandersetzung zwischen der Profession und dem Staat um die Institutionalisierung eines Weiterbildungsobligatoriums zeigt. Die Wahlfreiheit der Lehrpersonen bedeuteten der Profession viel (Balmer, 2018a; Kansteiner, 2015). In der Schweiz intensivierte sich die Diskussion um die Bedeutung der «Lehrerweiterbildung» in den 1960er-Jahren. Es gab erste Modelle eines systematischen Lehrplans für die Lehrerbildung von der Grundausbildung über den Berufseinstieg bis zur permanenten Weiterbildung während der Berufsausübung (Balmer, 2018a). Im Kanton Bern wurde die staatliche Förderung und Unterstützung erstmals 1966 im «Gesetz über die Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen» festgeschrieben. Weiterbildung als auch im Umfang definiertes Recht und definierte Pflicht im Rahmen des Berufsauftrags wurde im Kanton Bern Anfang der 1990er-Jahre gesetzlich festgehalten. Darin findet sich auch die Feststellung, dass Lehrpersonen «zu Erneuerungsarbeiten im Gesamtrahmen der Schule [beitragen]» (Art. 17, Abs. 2, Grosser Rat des Kantons Bern, 1993).

      Zwar werden schon vorher Ansprüche von verschiedener Seite an die Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung geäussert, aber die einzelne Schule als Organisationseinheit fehlte noch als Perspektive und kam mit der Entdeckung der Schule als Handlungseinheit sowie der Schulentwicklung in den Blick. Das führte dazu, dass die einzelne Schule nicht nur ein Ort der (kooperativen) Weiterbildung wurde, wie sich an der Zunahme schulinterner Weiterbildungsanlässe seit den 1990er-Jahren zeigt (Eurydice, 1995; Strittmatter, 1990). Mit dieser Tendenz beruhte ihre Zielbestimmung aus mindestens zwei Gründen nun nicht mehr nur auf den Bedürfnissen der einzelnen Lehrperson:

       Die Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung wird als ein integraler Teil von Bildungsreformen gedacht und

       Veränderungen mit dem Blick auf die Schule als Handlungseinheit im Sinne der Schulentwicklung werden als kollektives Unternehmen, orientiert an den Bedürfnissen der Schule, verstanden (OECD/CERI, 1998).

      Allerdings zeigte sich auch, dass die Verlagerung der Weiterbildung von externen Weiterbildungsanbietern und individueller Teilnahmeentscheidung der Lehrperson in die Schulen allein nicht genügt, um näher an die alltägliche Praxis zu kommen, Lernprozesse zu optimieren und die Herausforderung des Übertragens von Neuem in die eigene Praxis zu bewältigen (Rüegg, 2000). Die Studie der Forschungsgruppe um Creemers zeigt zum Beispiel, dass ihr didaktischer Weiterbildungsansatz bei externen Weiterbildungen nicht weniger effektiv war als bei schulinternen (Creemers, Kyriakides & Antoniou, 2013, S. 213). Schulinterne Weiterbildung ist demzufolge weiteren Gelingensbedingungen unterworfen, damit kollektive Lerngelegenheiten auch tatsächlich zu kooperativen Lernprozessen führen (oder, umgekehrt gelesen, schulexterne Weiterbildungen sind nicht a priori weniger effektiv). Eine Gefahr ist beispielsweise, dass eine Gruppe ohne gewisse externe Expertise auf einem bestimmten Niveau stehen bleibt (Coe, Aloisi, Higgins & Major, 2014; Antoniou & Kyriakides, 2011).

      Die hier im Fokus stehende unterrichtsbezogene Kooperation zeichnet sich ganz allgemein aus durch den inhaltlichen Bezug auf die didaktisch-pädagogische oder organisatorische Planung, Durchführung und Evaluation oder Reflexion unterrichtlicher Handlungen von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern (Kullmann, 2010; Fussangel, 2008). Dabei lassen sich drei Formen unterscheiden (vgl. Gräsel, Fussangel & Pröbstel, 2006a, 209ff.):

      1 Das Austauschen von unterrichtsbezogenen Materialien und Informationen. Es erfordert keine Prozesse des Aushandelns von Zielen und des Klärens. Gelegentliche Gespräche genügen dafür. Die Lehrpersonen arbeiten weiterhin relativ autonom.

      2 In arbeitsteiliger Kooperation können Aufgaben bearbeitet werden, die eine Aufteilung auf die Beteiligten erlauben. Die Arbeit wird wesentlich individuell erledigt, bedingt durch eine gemeinsame Zielsetzung. Die Planung aber erfolgt nicht mehr völlig autonom. Vertrauen ist insofern erforderlich, als sich die Kooperationspartner auf das erwartungsgemässe Erledigen des Auftrags verlassen können. Durch den Beitrag mehrerer Personen zum Beispiel zur Planung einer Unterrichtseinheit kann sich eine Effizienzsteigerung ergeben.

      3 Ein intensives, über weite Strecken gemeinsames Bearbeiten einer Aufgabe oder eines Problems wird als Ko-Konstruktion bezeichnet. Durch inhaltsorientierten Austausch, Klärungsprozesse und Reflexionen wird das individuelle Wissen aufeinander bezogen und – wie man es sich auch vom kooperativen Lernen im Unterricht verspricht (Renkl, 2008) – neues Wissen, vertiefteres Verständnis und bessere Lösungen entstehen.

      Dabei ist zu bedenken, dass «mehr» oder «intensivere» Kooperation nicht zwingend für jede Aufgabe und unter allen Kontextbedingungen das richtige Mittel der Arbeitsorganisation sein muss (Gräsel et al., 2006a). Erfahrungen verweisen auch darauf, dass eine enge Kooperation auch nicht immer bessere Lösungen hervorbringt, wenn etwa bestimmte übermächtige Vorstellungen die Reflexionsfähigkeit der Gruppe einschränken und keine individuelle Autonomie zulassen (Idel & Ullrich, 2013), weil ein «Konformitätsdruck» (Fischer, 2007) besteht. Diese drei Zusammenarbeitsformen sind deshalb nicht a priori als Qualitätsstufen der Kooperation misszuverstehen (Helsper, 2006). Ob Kooperation produktiv ist und nicht nur Zeit absorbiert oder gar zusätzliche Probleme erzeugt, zeigt sich letztlich in einem Ergebnis, das professionellen Kriterien entspricht und in einem angemessenen Verhältnis zum Aufwand steht (siehe Beitrag 2, Kapitel 7).

      Eine unterrichtsbezogene strukturierte Zusammenarbeit wird mit dem СКАЧАТЬ