Unterrichtsentwicklung begleiten - Bildungsreform konkret (E-Book). Thomas Balmer
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СКАЧАТЬ S. 46). Eraut (1994) meint, ohne die Fähigkeit zu theoretisieren, endet der Praktiker im Gefängnis der eigenen Erfahrungen (zitiert nach Ertsas & Irgens, 2017). Mögliche Ausgangspunkte sind die Analyse beziehungsweise die Fragen nach Mustern in Arbeiten von Schülerinnen und Schülern oder inwiefern sich die Lernerwartungen in den Arbeiten zeigen, um den Fokus auf die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler aufrechtzuerhalten (Nelson, Deuel, Slavit & Kennedy, 2010). Folgen können dann Fragen nach deren Zusammenhang mit Bedingungen der Lernumgebung, etwa der Aufgabenqualität oder Lernbegleitung durch die Lehrperson. Damit sind einerseits Komponenten des fachdidaktischen Wissens angesprochen (siehe Kapitel 5.2), anderseits werden sie in Verbindung gebracht («Wie hängen die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler mit meiner Aufgabenstellung zusammen?»).Erst das Beschreiben der Wahrnehmung des konkreten Ereignisses, das Fassen in Worte macht die spezifische Situation reflektierbar, mit anderen Erfahrungen und Sichtweisen konfrontierbar. Dadurch können Merkmale des besprochenen Unterrichtsbeispiels abstrahierend herausgearbeitet beziehungsweise subjektive oder implizite Theorien expliziert, bestehende Handlungsmuster offengelegt werden. Nun folgt der Schritt, die bestehenden Theorien mit dem Neuen zu verbinden, das sich gegenüber der eigenen Praxis und Erfahrungen zuerst abstrakt präsentiert, im vorliegenden Fall als neuer Lehrplan mit einer anderen Form der Darstellung und Formulierung von Lernerwartungen sowie einem kompetenzorientierten Unterrichtsverständnis. Es lässt sich zum Beispiel fragen, inwiefern herausgearbeitete Handlungsmuster einem kompetenzorientierten Unterricht entsprechen. Diese erste, «theoretisierende» Bewegung, die es zu moderieren gilt, expliziert induktiv an den Erfahrungen anknüpfend subjektive Theorien (Theorieebene 1), indem zum Beispiel Besonderheiten oder Erklärungen des diskutierten Unterrichtsbeispiels versprachlicht werden (siehe Abbildung 1.3). Das kann als Zwischenschritt angesehen werden, um in der Folge den Bezug zur noch abstrakteren Ebene von allgemeinen Erkenntnissen (Theorieebene 2) herzustellen, wie sie zum Beispiel Ergebnisse der Unterrichtsforschung, eine didaktische Theorie oder, in Verbindung von beidem im vorliegenden Fall, allgemeine Merkmale eines kompetenzorientierten Unterrichts darstellen.

      2 Konkretisieren: Dozierende müssen nun wissen, wie man das Neue mit dem Wissen beziehungsweise allgemeiner mit der subjektiven Theorie der Lehrpersonen zusammen für die Unterrichtspraxis bedeutsam und im Kontext der Unterrichtspraxis handhabbar macht (Timperley et al., 2007; Cordingley & Buckler, 2014). Dies verweist auf die zweite, das Abstrakte nun wiederum konkretisierende, also die Theorie veranschaulichende Bewegung, die es zu moderieren gilt. Sie mündet in die Frage, wie eine verallgemeinerte Erkenntnis der Theorieebene 2 zu der eigenen subjektiven Theorie auf Ebene 1 steht und welche Folgen dies für die eigene Praxis im Unterricht hat.

      In der Lage zu sein, auf die Theorieebene 2 zurückzugreifen, kann die berufliche Praxis legitimieren, implizite Theorien durch Formulierung auf Theorieebene 1 explizit machen und es ermöglichen, sowohl über die eigene wie auch die allgemeine Theorieebene kritisch zu reflektieren (Ertsas & Irgens, 2017). Dozierende müssen dazu iterativ, aber immer wieder in Bezug auf die zentrale Frage, wie sich die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler unter den gegebenen Lernbedingungen verhalten, einen bewussten Wechsel der Theorieebenen pflegen (siehe Abbildung 1.3).

      Abbildung 1.3: Dozierende moderieren zwei Bewegungen: Abstrahieren und Konkretisieren (eigene Darstellung)

      Die Moderation von reflektierenden Diskussionssequenzen bedarf einer «skilled leadership» (Earl, 2009; siehe Kapitel 7). Dabei müssen Dozierende mit den heterogenen Voraussetzungen der Lehrpersonen rechnen und entsprechend adaptiv agieren. Basierend auf dem Modell von Gregoire (siehe Kapitel 4.3) dürften je nach Konstellation von Reaktionstyp auf die Reformnachricht und Ausprägung der professionellen Kompetenz unterschiedliche didaktische Massnahmen oder Impulse notwendig sein. Auch Lehrpersonen brauchen nicht alle das Gleiche und gleich viel, um einen Entwicklungsschritt zu machen. Mit Neuweg (2010) heisst das für Dozierende: «[…] vonnöten wäre die Gelassenheit, auf Belehrung und Reflexionszumutungen zu verzichten, wo Erfahrungswissen in der Gestalt flexibler Muster auftritt, der Mut, es instruierend und reflexiv zu unterspülen, wenn es sich als starre Schablone darstellt, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden» (ebd., S. 46).

      6.3 Ansprüche an die Dozierenden der Weiterbildung

      Angesichts der bisher skizzierten Herausforderung, auch auf Unsicherheit aufbauend oder diese auslösend Lernprozesse zu inszenieren und den erneuten Aufbau eines Gefühls der Sicherheit zu unterstützen, werden die hohen Ansprüche an die professionelle Kompetenz von Dozierenden in der Weiterbildung deutlich. Sie sind nicht nur herausgefordert, das richtige Ausmass an kognitiver Dissonanz bei erfahrenen Lehrpersonen zu erzeugen, sondern müssen dabei auch die Balance halten zwischen – im vorliegenden Fall – durch fachdidaktische Expertise begründete Zielsetzungen und der Notwendigkeit erwachsenenpädagogischer Teilnehmendenorientierung, die den Lehrpersonen adäquate Entscheidungsfreiräume auch bezüglich der Zielsetzungen einräumt (McChesney & Aldridge, 2019). Borko (2004) drückt dies folgendermassen aus:

      «Facilitators must be able to establish a community of learners in which inquiry is valued, and they must structure the learning experiences for that community. […] Facilitators must be able to use the curriculum flexibly – reading the participants and the discourse, considering responses and possible consequences, and taking responsive action in order to balance the sometimes incompatible goals of the professional development program and the participants […]» (ebd., S. 10).

      Die Anforderungen an Dozierende in der Weiterbildung sind von der Forschung kaum thematisiert worden, aber es ist zu vermuten, dass Dozierende ebenfalls einen Beitrag zur Wirksamkeit von Lerngelegenheiten beziehungsweise Unterstützungsangeboten leisten (Lipowsky, 2014). Einen ähnlichen, theoretisch abgestützten und zunehmend empirisch überprüften Strukturvorschlag zur Beschreibung der professionellen Kompetenz, wie ihn die Forschungsgruppen um Baumert oder Blömeke für Lehrpersonen machen (Baumert & Kunter, 2011a; Blömeke, Kaiser & Lehmann, 2010), existiert für Dozierende der Lehrerinnen- und Lehrerbildung sowie -weiterbildung noch nicht. Die Diskussion bewegt sich hinsichtlich der Dozierenden der Lehrerbildung eher noch im normativen Bereich (vgl. z.B. Koster & Dengerink, 2008; Murray, 2008; Smith, 2010). Ihre professionelle Kompetenz dürfte jedoch in Bezug auf die Lehre mit einer ähnlichen Struktur beschreibbar sein, wobei sie inhaltlich die Spezifika der Unterstützung des Lernens von Erwachsenen, in der Weiterbildung von erfahrenen Lehrpersonen, aufweisen muss (Neuweg, 2010, S. 44; Kraler, 2008).

      6.4 Doppelte professionelle Kompetenz

      Die Grundausbildung der Lehrpersonen liefert die «Eingangsqualifikation» (Schmidt, 1980) von Novizen und Novizinnen beziehungsweise eine «Starthilfe» (Messner & Reusser, 2000). Sie erwerben grundlegendes Wissen für die Praxis und über die Praxis; das Wissen in der Praxis und über sich selbst wird wesentlich erst durch die Praxis aufgebaut (Day & Sachs, 2004). Die Motive der Lehrpersonen für das Weiterlernen unterscheiden sich aufgrund vielfältiger Erfahrungen von denjenigen von Studierenden. Die vermehrte Erfahrung kann aber auch breitere Widerstandstaktiken gegenüber Veränderungen und Lernen mit sich bringen (Faulstich, 2008). Sie führt auch zu anderen und vor allem durch Erfahrungen gestützte und dadurch legitimierte oder «legitimiertere» Erwartungen an das Lernangebot und die Dozierenden.

      Die doppelte professionelle Kompetenz als Lehrperson auf der Zielstufe und als Lehrende in der Weiterbildung ist von zentraler Bedeutung7. Sie unterscheidet sich bei Dozierenden der Weiterbildung konzeptionell zwar nicht grundsätzlich von Lehrenden in der Grundausbildung, verlangt aber angesichts der Spezifika der Weiterbildung unterschiedliche Akzentuierungen. Insbesondere die Kompetenz als Lehrperson auf der Zielstufe dürfte bedeutsamer sein als in der Grundausbildung, damit es gelingt, «Anschauung» (sprich: Erfahrung) zu theoretisieren und Theorie zu veranschaulichen (Neuweg, 2010). Auf Basis der Erfahrung beziehungsweise СКАЧАТЬ