Unterrichtsentwicklung begleiten - Bildungsreform konkret (E-Book). Thomas Balmer
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СКАЧАТЬ mit neuen Perspektiven zu ergänzen, verlangt wiederum den konkretisierenden Transfer in den Unterricht, der mit entsprechendem fachdidaktischem Wissen und der Erfahrung der Dozierenden auf der Zielstufe seine Glaubhaftigkeit erhöht. Damit kann es zudem gelingen, auch das Bedürfnis der Lehrpersonen nach dem «what works» zu befriedigen. In der Befragung von Starkey et al. (2009) messen Lehrpersonen den meisten vorgelegten Merkmalen von Weiterbildungsdozierenden eine hohe Bedeutung zu. Die Rangreihe bestätigt die hier vertretene Bedeutung doppelter professioneller Kompetenz gepaart mit Moderationsfähigkeiten: Wissen über die pädagogische Theorie, praktische Expertise im entsprechenden Schulfach und Kommunikations- und Beziehungsfähigkeiten werden am bedeutsamsten eingeschätzt.

      Die Erfahrung bildet auch heterogene «subjektive Problemhierarchien» heraus (Pant, Vock, Pöhlmann & Köller, 2008, S. 830). Sie aus eigener Erfahrung zu kennen, Bewältigungsstrategien und -methoden selbst erprobt zu haben sowie diese und die Ergebnisse theoretisch einordnen zu können, dürfte mit dazu beitragen, den Lehrpersonen ein effektives Lernangebot machen zu können. Die Erfahrung festigt auch die Überzeugungen zum Lehren und Lernen. Sie in angemessenem Mass irritieren zu können, bestehende Annahmen herauszufordern und neue Möglichkeiten zu eröffnen, die sozialen Normen herauszufordern, wenn sie Unterrichtsentwicklung behindern, und dabei den Fokus aufs Lernen der Schülerinnen und Schüler beizubehalten, verlangt eine hohe fachdidaktische Expertise (Timperley, 2008).

      Im Gegensatz zur Grundausbildung, bei der die Perspektive auf die Lernenden diejenige eines «Noch-nicht-Könnens» und von der Sache her eher defizitorientiert ist sowie zudem durch die Qualifikationsfunktion eine zumindest strukturelle «High-stakes»-Machtdifferenz besteht, sollte der Blick auf die Lehrpersonen im Beruf nicht einer Defizithypothese folgen. Der hier verfolgten Perspektive auf die Lehrpersonen liegt die Vorstellung eines adaptiven und dynamischen Systems zugrunde, in dem anscheinend widersprüchliche Ansichten nebeneinander bestehen können und miteinander interagieren (Levin & Nevo, 2009) und trotzdem «gelingende Praxis» hervorgebracht werden kann (Tenorth, 2006). Das Erfahrungswissen der Lehrperson, das der gelingenden Praxis zugrunde liegt, hat seine eigene, individuelle Entstehungsgeschichte und -bedingungen und priorisiert den subjektiven und situativen Anwendungsnutzen. Die forschungs- und wissenschaftsorientierte Expertise der Dozierenden orientiert sich an den Entstehungsbedingungen wissenschaftlichen Wissens mit dem Fokus auf Objektivierung und Verallgemeinerung. Das Annehmen beider Wissensbestände als a priori gleichwertig ist der Ausgangspunkt für den Prozess – sofern eine Weiterentwicklung des Wissens über Unterricht angestrebt wird –, die Wissensbestände einander gegenüberzustellen und Aspekte davon einer gemeinsamen Überprüfung zu unterziehen. Es ist die weiterbildungsdidaktische Aufgabe, diesen Prozess zu gestalten. Subjektives Erfahrungswissen muss mit dem wissenschaftlichen Wissen in Verbindung gebracht werden. Das gemeinsam erarbeitete Verständnis wird auf der Basis von Regeln der Überprüfung oder Erkenntnisgewinnung erarbeitet und seine Überprüfung – dazu gehört auch dessen Transformation in den Unterricht – begleitet. Im Grunde genommen geht es um einen moderierten Prozess, der – erkenntnistheoretisch ausgedrückt – der Frage nachgeht, was wir – Lehrpersonen und Dozierende – über guten Unterricht zu wissen glauben und ob das auch tatsächlich zutrifft. A posteriori kann so neues Erfahrungswissen entstehen, das intersubjektiv überprüft ist. Dozierende der Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung sind dann bedeutsam und effektiv, wenn sie in diesem Prozess mit Lehrpersonen iterativ und ko-konstruktiv arbeiten und nicht Best Practice dozieren (McDowall, Cameron, Dingle, Gilmore & MacGibbon, 2007; Timperley, 2008).

      7 Didaktische Folgerungen für die Unterrichtsentwicklung unterstützende Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung

      Der Lehr-Lern-Prozess in einem Weiterbildungsangebot kann als komplexes Geschehen verstanden werden, das sich auf mehreren Ebenen konstituiert, die miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Qualität von Unterricht wie der Weiterbildung ergibt sich durch Interaktionen, die häufig durch die «Denkfigur» des didaktischen Dreiecks (Reusser, 2008) oder – erweitert um die materiale Dimension – des Tetraeders (Rezat, 2009) beschrieben werden. Als Modell hilft es, eine Vorstellung der Mehrdimensionalität unterrichtlicher Interaktionen zu entwickeln: Die Interaktionen im Unterricht spielen sich wechselwirkend zwischen Lerngegenstand, Lernenden, Lehrperson und Lehrmittel ab, den vier Eckpunkten des Tetraeders. Durch die Erweiterung dieser strukturellen Beschreibung unterrichtlicher Interaktionen auf die Ebene der Weiterbildung wird die im vorherigen Kapitel angesprochene doppelte Kompetenz zur Planung und Durchführung von Unterrichtsentwicklung unterstützenden Weiterbildungsangeboten deutlich: Das Tetraeder unterrichtlicher Interaktionen ist der Lerngegenstand in der Weiterbildung (siehe Abbildung 1.4) und die Interaktionen in der Weiterbildung lassen sich ihrerseits als Tetraeder modellhaft beschreiben (Prediger, Leuders & Roesken-Winter, 2017; Luft & Hewson, 2014).

      Abbildung 1.4: Das Tetraeder-Modell der Struktur der Interaktionen in der Weiterbildung (vgl. Prediger et al., 2017)

      Aus dem bisher Dargelegten und der Weiterbildungsforschung lassen sich folgende Merkmale eines Angebots ableiten, das wirksam werden kann: Häufig wird ein Fokus auf den Unterrichtsinhalt gelegt beziehungsweise Fachwissen als Merkmal wirksamer Weiterbildungen genannt, was allerdings nicht genügt (Kennedy, 2016). Vielmehr ist inhaltlich ein enger fachdidaktischer Fokus auf die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler wichtig, der ein Anknüpfen an unterrichtsbezogene Vorstellungen, fachdidaktisches Wissen und Alltagsfragen der Lehrpersonen ermöglicht. Modellhaft in Bezug auf das doppelte Tetraeder bedeutet dies, dass insbesondere die Dimension Schülerinnen und Schüler – Lerngegenstand auf der Ebene des Unterrichts fokussiert werden soll, von dem aus Zusammenhänge mit den anderen Dimensionen zu erschliessen sind.

      Es gibt Evidenzen, dass für eine Veränderung sowohl bei der Praxis als auch bei den Überzeugungen angesetzt werden soll (Hargreaves & Braun, 2012). Um dem Postulat des «engen» Bezuges gerecht zu werden, wird der Zugang über die Unterrichtspraxis bevorzugt. Das Anknüpfen an die Praxis und Berufserfahrungen nutzt den Vorteil der Weiterbildung gegenüber der Grundausbildung, «die ständig Antworten auf noch nicht gestellte Fragen liefert, [und] nichts hat, von dem weg sie in das Allgemeinere induzieren könnte», während die Weiterbildung «mit berufsbiografisch-episodischem Wissen arbeiten [kann] und entlang dessen, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Grenze, Rätsel, Problem, Frage erlebt haben oder ihnen zumindest dazu gemacht werden kann» (Neuweg, 2010, S. 45). Deshalb wird ein didaktisch induktiv und abstrahierend verlaufender Einstieg verfolgt (siehe Abbildung 1.3).

      Um den Bezug zum konkreten Unterricht realer werden zu lassen, können Artefakte des Unterrichts (als die materiale Ecke des Tetraeders der Weiterbildung, siehe Abbildung 1.4) genutzt werden. Der Bezug auf konkrete Aufgabenbeispiele oder Artefakte aus dem Unterricht unterstützt zudem das Entstehen eines kritischen, professionellen Dialogs eher, als wenn die Bezüge rhetorisch oder schlagwortartig bleiben (Ball & Cohen, 1999). Werden die Lehrpersonen aufgefordert, Artefakte aus dem eigenen Unterricht mitzubringen, dürfte wegen der direkten Betroffenheit in ihrem alltäglichen Handeln «emotionsgeladenere» Aspekte als Ausgangspunkt der Reflexion zur Sprache kommen, was die Aufmerksamkeit fokussieren hilft und den Lehrpersonen konkrete Anknüpfungspunkte bietet. Mit der anerkennenden Aufnahme der Artefakte, verbunden mit dem Anliegen, «good practice» weiterzuentwickeln, wird dem Erfahrungswissen der Lehrpersonen Rechnung getragen.

      Verschiedene Studien zeigen, dass Lehrerinnen- und Lehrerweiterbildung, die mittels solcher Unterrichtsrepräsentationen, insbesondere Videoaufnahmen, Reflexionen unterstützen, die professionelle Wahrnehmung von Unterricht und das Unterrichtshandeln verbessern (z.B. Kuntze, Krammer & Lipowsky, 2017; Krammer, 2014; Sherin & van Es, 2009). Als alternative Repräsentation sind auch Unterrichtsprodukte, insbesondere Lernspuren von Schülerinnen und Schülern wie Aufgabenlösungen, fotografische Dokumentationen von Lernsituationen oder Ähnlichem, als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Interaktionen denkbar und niederschwelliger zu beschaffen als Videoaufnahmen. Sie sollen СКАЧАТЬ