Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3. Rudolf Walther
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Название: Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3

Автор: Rudolf Walther

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Essay-Reihe

isbn: 9783944369082

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СКАЧАТЬ randständigen Extremisten, sondern um eine Regierungsmaxime. Für Robespierre bedeutet Terror das Gegenteil von »Anarchie« und »Unordnung«, nämlich »die Herrschaft des Gesetzes«. Er wollte »das revolutionäre System gesetzlich« machen.

      Im Zentrum von Robespierres Argumentation steht – in enger Anlehnung an Rousseau – »das Volk« (»le peuple«), das er nicht weniger als 38-mal beschwört in seiner Rede. Das Volk gilt ihm als Inkarnation der »Tugend« (»la vertu«), und »die demokratische Volksregierung« ist lediglich die Beauftragte und der Transmissionsriemen der Tugend, die das Volk »von Natur aus« besitzt. In der Tugend verbinden sich die »Stimme der Vernunft« und »des Allgemeinwohls« auf geheimnisvolle Weise zur »Wahrheit«. Die Aufgabe der Regierung besteht darin, das Volk »durch Vernunft zu führen« und »die Feinde des Volkes durch Terror zu beherrschen.« Dieses Mittel ist »nichts anderes als das schlagfertige, unerbittliche, unbeugsame Recht.« Robespierres Staats- und Regierungsdoktrin kennt in strenger Dichotomie nur »Vaterlandsfreunde« und »Feinde«, und selbstverständlich sind diese »die Verbündeten des äußeren Feindes«. Mit der vereinfachenden Dichotomisierung nach dem Freund-Feind-Schema dichtet Robespierre seine Doktrin ab gegen die Pluralität politischer Optionen, gegen Kritik und gegen die gesellschaftliche Komplexität. Robespierre scheiterte mit dem Versuch, die Regierung durch Terror zu stabilisieren. In seiner letzten Rede distanzierte er sich von den »Monstern«, die »das widerliche Terrorsystem« erfunden hätten.

      Montesquieu ordnete im »Esprit des lois« (1748) jeder Regierungsform eine Maxime zu. Darauf bezieht sich auch Robespierre, verwickelt sich dabei aber in einen Widerspruch. Bei Montesquieu war die Tugend die Maxime der Republik und der Terror jene des Despotismus. Diese negative Abgrenzung des Begriffs »Terror« vom verabscheuten System des Despotismus macht eine positiv besetzte Instrumentalisierung des Begriffs in Robespierres Regierungsdoktrin unmöglich. Er behalf sich deshalb mit einer berühmt gewordenen begrifflichen Improvisation – der Kopplung von Despotismus und Freiheit. »Die Regierung der Revolution ist der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei.« Es handelt sich dabei freilich nur um eine autoritative Setzung, der die sachlichen und begrifflichen Gelenke fehlen. Als Beleg für die Kopplung diente Robespierre denn auch einzig eine rhetorische Frage: »Ist die Gewalt nur dafür gemacht, das Verbrechen zu schützen?« Wo es auf eine inhaltliche Differenzierung zwischen despotischer und revolutionärer Gewalt ankäme, steht ein Fragezeichen. Auch an einer anderen Schlüsselstelle der Rede, in der es um das Verhältnis von Zielen und Mitteln der Politik geht, rettet sich Robespierre mit einer rhetorischen Frage aus der argumentativen Not. Sobald Inhalte und Ziele von Politik verschwinden, verselbständigen sich die politischen Mittel und werden dadurch maß- und grenzenlos – genau das ist die Signatur des Terrors als Staats- und Regierungsmaxime. Die jakobinische Variante war – verglichen mit terroristischen Regimes im 20. Jahrhundert – ein bescheidener Anfang.

       4 Staatsbürger als Übergangswesen

      Eine Pointe der Entwicklung seit dem Herbst 1989: Das Problem der Staatsbürgerschaft hat sich seither nicht ent-, sondern verschärft. Der Beitritt der Ex-DDR zum Grundgesetz hat hüben wie drüben nationale Erwartungen erzeugt und gleichzeitig staatsbürgerlich gesicherte Verhältnisse zementiert, die den gesellschaftlichen Realitäten längst nicht mehr entsprechen. Weil die nationalen Erwartungen nicht oder nur zum Schein erfüllt sind, verlegen sich besonders innig vereinigte Deutsche darauf, Minderheiten kompensatorisch als Schuldige für die ganze Misere auszumachen. Flüchtlinge, Ausländer, Asylsuchende und Fremde wurden über Nacht zu Sündenböcken. National neu angestrichen, wissen »die Deutschen« nach der vermeintlichen »Weltwende« jetzt angeblich genau, wer »sie« und wer »die« Anderen sind. Von solchem Wahn ist es nur ein Schritt zum »feste druff« auf die Fremden.

      Die Resultate bei den jüngsten Kommunalwahlen (zum Beispiel in Hessen) zeigen, wie massiv das geltende Staatsbürgerrecht mithilft, »richtige« Mehrheiten herzustellen. In Städten zählt ein Fünftel bis ein Viertel der Einwohner einfach nicht, obwohl sie Steuern zahlen und auch die Rentenversicherung mitfinanzieren – im Gegensatz zu deutschen Beamten. Dem eignet eine besondere Infamie. Denn indem man Ausländer zwar zu den Pflichten heranzieht, ihnen aber die Ausübung des Bürger- wie des Wahlrechts verweigert, erhalten die rechtsradikal wählenden Deutschen erst ihr Gewicht von rund zehn Prozent.

      Dass sozialdemokratische Politiker jetzt die Aussiedler als Wahlkampfthema entdecken, ist genauso widerlich wie der Versuch der CDU/CSU vor ein paar Jahren, Arbeitslosigkeit und Krise mit der Zahl der Ausländer zu erklären. Am Stammtisch wird sowieso nicht unterschieden zwischen Aussiedlern und Ausländern. Dort sind beide Fremde, die allein deshalb nicht hierher gehören. Das Problem der Aussiedler, deren jährliche Einwanderungsquote seit 1993 auf 250 000 begrenzt wird, ist ein hausgemachtes. Es hängt zusammen mit den Abgründen des deutschen Staatsbürgerrechts.

      Die Bonner Koalition passte nicht das blutsrechtliche Staatsbürgerrecht dem universalistisch-humanitären Asylrecht an, sondern verfuhr genau umgekehrt: Das Staatsbürgerrecht in der Tradition des halbkannibalischen ius sanguinis wurde nicht angetastet, das Asylrecht jedoch in der Hoffnung verstümmelt, dass etwas von dem nationalen Überdruck, der von den Parteien mit ihrer Kampagne gegen Asylsuchende und Flüchtlinge demagogisch geschickt orchestriert wurde, entweichen kann. Dies könnte jedoch ins Auge gehen, weil sich die derart erzeugte nationale Grundwelle von ihren Erzeugern längst emanzipiert hat. Die Zauberlehrlinge werden sich noch wundern.

      Aufgeklärte Verfassungen definieren, wer Staatsbürger ist, in der Regel an zentraler Stelle der Verfassung oder in einem besonderen Gesetz. Nicht so das Grundgesetz. Jeder Staat unterscheidet zwischen Inländern und Ausländern und regelt den Modus, wie man vom Ausländer zum Inländer werden kann. Entgegen dem Volksvorurteil ist »der Deutsche« eine sehr junge Erfindung. Alemannen, Baiern, Sachsen, Franken usw. sind sehr viel älter als »die Deutschen«. »Deutscher« konnte man während Jahrhunderten überhaupt nur in einem sprachlich-kulturellen Sinne sein, politisch-rechtlich war man Untertan bzw. Bürger eines Landesherrn oder einer Stadt. Der politische Ausdruck »deutsche Nation« stellte immer die Verbindung zum »Heiligen Römischen Reich deutscher Nation« her, also gerade zu einem supranationalen Gebilde, dem u. a. auch Ungarn, Kroaten, Norweger, Böhmen mitangehörten. Der politische Begriff »deutsches Volk« ist erst nach der Französischen Revolution aufgekommen.

      Die Frankfurter Reichsverfassung (28.3.1849) bestimmte: »Das deutsche Volk besteht aus den Angehörigen der Staaten, welche das deutsche Reich bilden.« Die Reichsverfassung vom 16.4.1871 übernahm diesen Grundsatz: »Die Reichsangehörigkeit wird durch die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat erworben und erlöscht mit deren Verlust.« Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.7.1913 änderte daran nichts. Man blieb also wie schon seit Jahrhunderten zuerst Hamburger, Sachse oder Hesse und erhielt sekundär die Reichsangehörigkeit. Eine landesunabhängige deutsche Staatsangehörigkeit dekretierten erstmals die Nazis am 5.2.1934.

      Im Bonner Grundgesetz erscheinen die Bestimmungen über die Staatsbürgerschaft unter den »Übergangs- und Schlussbestimmungen«. Der Ort verweist auf das Provisorische der Bonner Einrichtungen. Der »Normentyp«, der in diesem Abschnitt geschaffen wurde, besteht aus Rechtsmaterien, die Juristen »gegenstandsverzehrenden Abschmelzungsprozessen« ausgesetzt sehen, wie der »Alternativkommentar« sagt.

      Der Grund: Es ging um die Vorsorge für bessere Zeiten. Um Rechtsansprüche und politische Optionen auf 1945 Verlorenes und bis 1949 Ungeklärtes offenzuhalten, nahm man es in Kauf, ein Substrat der Verfassung – Bürgerinnen und Bürger – rechtlich als Übergangswesen zu definieren.

      Laut Grundgesetz Art. 116 gibt es außer deutschen Staatsangehörigen und Ausländern noch Menschen »deutscher Volkszugehörigkeit« mit vorübergehend »falscher« Staatsangehörigkeit, aber »richtiger« Abstammung. Die Rechtskonstruktion des »sonstigen Deutschen« ist ebenso kühn wie einmalig in der Rechtsgeschichte. »Der Rechtsbegriff der sonstigen Deutschen ist dabei neu geschaffen worden« (Maunz-Dürig-Herzog); »dabei« heißt bei der Schaffung des Grundgesetzes. Logisch meint dies: Bis zum 23.5.1949 kannte die ganze Welt nur СКАЧАТЬ