Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3. Rudolf Walther
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Название: Aufgreifen, begreifen, angreifen Band 3

Автор: Rudolf Walther

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Essay-Reihe

isbn: 9783944369082

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      Die verschiedenen Gruppierungen der Radikalen formierten sich 1901/02 zu Parteien, um vereint »den Klerikalismus zu bekämpfen und die Republik zu verteidigen«, wie es im Programm hieß. Zusammen mit den sozialistischen Parteien bildeten sie ab 1902 den »Block«. Das Land wie das Parlament waren in zwei Lager gespalten – die klerikal-nationalistische Koalition und den »Block« aus linken und rechten Republikanern sowie Sozialisten – ein Erfolg von Émile Combes. Er übernahm das Präsidium des Ministerrats nach dem Wahlsieg vom 11.5.1902 und wurde zugleich Innen- und Kultusminister.

      Combes stammte aus Südwestfrankreich, wurde in einem Priesterseminar ausgebildet, wandte sich aber von der Kirche ab und – wie viele aus der Elite der radikalen Politiker – den Freimaurern und Freidenkern zu. Zunächst war er Bürgermeister in Pons, später Senator. Combes bemerkte, dass Ferrys Ruf nach »Unterrichtsfreiheit« den Radikalen längst entwunden worden war. Konservative und Klerikale benutzten das Wort im Kampf gegen die Republik und den »laizistischen Staat, (…) seine Gesetze und seine Souveränitätsrechte« (Combes, 6.10.1902). Er ließ deshalb das Lieblingsbuch aller Schüler – »Tour de France par deux enfants« – ins Republikanisch-laizistische umschreiben. In der Schulgrammatik war jetzt nicht mehr Gott, sondern Paris groß. Sozialisten, mit Ausnahme von Jean Jaurès, hatten zunächst wenig Verständnis für Combes und warfen ihm vor, er wolle das Land mit dem »Appetit nach Freiheit« mit »Mönchsragout« abspeisen.

      Bereits nach dem Vereinsgesetz von 1901 mussten sich Ordensgemeinschaften genehmigen lassen; Mitglieder nicht genehmigter Orden durften nicht länger unterrichten. Im Gegensatz zu früheren Einschränkungen gegen religiöse Schulen und Lehrer setzte Combes nun alles daran, das neue Gesetz auch umzusetzen. Orden erhielten keine Genehmigungen mehr und nicht zugelassene wurden sofort aufgelöst. Bis Oktober 1902 mussten etwa 30 000 Ordensleute ins Exil, 10 000 Schulen wurden geschlossen. Viele Schulen existierten unter weltlicher Leitung fort. Der radikale Politiker und Sorbonneprofessor Ferdinand Buisson stellte 1903 fest: »Die bürgerliche Gesellschaft hat die Leitung aller öffentlichen Dienste wieder übernommen.«

      Der Jubel war verfrüht, denn der katholische Widerstand gegen »die freimaurerisch-jakobinisch-sozialistische Tyrannei« (Jacques Piou) und die laizistische Schulpolitik gingen weiter. Am 5.7.1904 erließ Combes ein generelles Lehrverbot für die Mitglieder aller Orden – auch der autorisierten. Er wollte nun auch den Beamtenapparat und das Militär »republikanisieren«, stieß jedoch auf starken Widerstand. Sein Kriegsminister musste den Hut nehmen, als herauskam, dass er illegal Karteien (»fiches«) über 9000 Offiziere anlegen ließ mit Berichten über deren Kirchenbesuche und andere religiöse Gewohnheiten.

      Combes nutzte 1904 ein Geplänkel um diplomatische Floskeln bei der Ernennung von Bischöfen, um den Abbruch der Beziehungen zu Rom herbeizuführen und seinen Wunsch zu verwirklichen – ein Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat. Sein eigener Vorschlag war nicht mehrheitsfähig, aber Aristide Briand legte zusammen mit Jean Jaurès einen Gesetzesentwurf vor, der am 3.7.1905 eine Mehrheit fand und am 11.12.1905 Gesetzeskraft erhielt. Briand wollte die Kirche nicht zerstören, sondern ihr im Rahmen von Toleranz, Gerechtigkeit und Weltlichkeit des Staates Grenzen setzen. Im maßgeblichen Artikel des Gesetzes »garantiert die Republik Gewissensfreiheit« und lehnt die Anerkennung, Subventionierung und Bezahlung »aller Gottesdienste« (»cultes«) ab. Die Kirchen und deren Eigentum wurden zu Staatseigentum erklärt, das die zu bildenden »Religionsgemeinschaften« (»associations cultuelles«), in denen auch Laien vertreten sein mussten, zurückmieten konnten.

      Widerstand und Proteste, wie der eingangs beschriebene Vorfall, häuften sich, nachdem Pius X. das Trennungsgesetz in seiner Enzyklika »Vehementer nos« wörtlich als »zutiefst ungerecht gegenüber Gott« und als Absage an jeden Gottesdienst bezeichnet hatte. Papst und Klerus riefen zwar nicht zur Gewaltanwendung auf, aber die scharfe Sprache des Textes radikalisierte Teile der Bevölkerung im Februar 1902. Mitte März stoppte die Regierung die umstrittene Inventarisierung des Kirchengutes. Mit dem Gesetz vom 2.1.1907 überließ der Staat die Kirchen den Priestern mit der rechtlichen Formel, sie seien »Besitzer ohne Rechtstitel« und verteilte die bereits konfiszierten Kirchengüter an Wohlfahrtseinrichtungen. Kirche und Staat blieben fortan getrennt.

      Getrennt? Was das Schulwesen betrifft, war die Trennung eine Fiktion. Die religiösen Schulen bestanden als »private« weiter und können sich – seit der Lex Falloux von 1850 und bis in die Gegenwart – auf die Subventionierung durch den Staat verlassen. Als die sozialistische Regierung 1984 einen einheitlichen Schuldienst schaffen wollte, mobilisierten katholische Privatschulen und deren Elternverbände mehr als eine Million Teilnehmer zu einer der größten Demonstrationen in Frankreich. Und als ein liberaler Erziehungsminister zehn Jahre später die Beschränkung der staatlichen Zuwendungen an katholische Schulen aufheben wollte, demonstrierten fast so viele laizistische Bürger mit Erfolg gegen das Vorhaben. Bis heute lässt die französische Elite ihre Kinder gerne in religiösen Schulen erziehen (rund 10 000 Einrichtungen, mit weniger als zehn Prozent Arbeiterkindern und Ausländern). Diese Schulen bekommen jährlich Subventionen, die rund 13 Prozent des gesamten nationalen Bildungsbudgets beanspruchen.

      Doch auch die Hüter des laizistischen Staates blieben wachsam. Und 1974, nach der Trauerfeier für Präsident Georges Pompidou in Notre-Dame, fragte »Le monde«, warum der Staatsakt nicht in einem Palast der Republik stattgefunden habe. Der Staat kostümiere sich religiös – und die Kirche erschleiche sich so »gesellschaftliche Nütelichkeit«.

       3 Terror als Waffe der politischen Mitte

      Im Laufe des Jahres 1793 kam die Französische Revolution in eine ungemütliche Lage – militärisch wie innenpolitisch. Die französischen Truppen gerieten in die Defensive, die Österreicher gewannen Holland zurück, die englische und die spanische Flotte besetzten Toulon, Preußen eroberte die Stadt Mainz zurück, und der französische General Charles François Dumouriez desertierte. Auch im Inneren brodelte es: Im Sommer 1793 war Jean-Paul Marat ermordet worden, in der Vendée tobte ein Bauernaufstand, und in Lyon bekämpften Regierungstruppen den Aufstandsversuch von Bürgern und Arbeitern gegen die Revolution. Gleichzeitig formierte sich unter den Pariser Sansculotten und ihren Volksgesellschaften eine Opposition, die eine Radikalisierung der Revolution forderte. Im Konvent lagen Girondisten und Jakobiner miteinander im Streit, bis die girondistischen Abgeordneten im Herbst ausgeschaltet und zum Tode verurteilt wurden.

      Die regierenden Jakobiner mussten eingreifen, wollten sie das Gesetz des Handelns nicht abgeben. In zwei Reden am 25.12.1793 und am 5.2.1794 unternahm Maximilien Robespierre (1758-1794) den Versuch, die politischen Ambitionen von »Gemäßigten« und »Ultrarevolutionären« als gleichermaßen schädlich und gefährlich zurückzuweisen und die Herrschaft der Jakobiner zu legitimieren. Die »Gemäßigten«, darunter Camille Desmoulins und Georges Danton, beriefen sich auf das Prinzip der »Milde« (»clémence«), während die Ultrarevolutionäre um Jacques-René Hébert die »Rache« (»vengeance«) zu ihrem Programm machten, was durchaus konkret gemeint war: Den siegenden Regierungstruppen im Lyoner Aufstand empfahl Hébert: »Zerstört, vernichtet, verbrennt die Paläste des ganzen Händlerpacks in dieser aufrührerischen Stadt.« Die zweite dieser beiden Reden mit dem Titel »Über die Prinzipien der politischen Moral« wurde zur theoretischen Grundlage und Rechtfertigung der Revolutionsregierung und liegt jetzt in einer gediegenen Aufmachung vor (Europ. Verlagsanstalt/Rotbuch Verlag, 2000).

      Robespierre begründete die »Prinzipien der Innenpolitik«, indem er sich von der »Milde« ebenso distanzierte wie von der »Rache«. Dabei nahm er einen Begriff auf, der nach der Ermordung Marats (13.7.1793) gleichsam über Nacht in Mode gekommen war – »la terreur«. Bis dahin war »Terror« negativ besetzt und galt als Kennzeichen der monarchischaristokratischen Herrschaft. Der Abbé Royer hatte das Revolutionstribunal schon am 30.8.1793 aufgefordert, »den Terror auf die Tagesordnung« zu setzen bei der unnachsichtigen Verfolgung von Gegnern und Feinden der Revolution. Robespierre nahm die Parole auf und machte den Terror in den beiden Reden zum Angelpunkt der jakobinischen Staats- und Regierungsdoktrin. Er verstand den Terror als Ideologie und zugleich als Waffe einer СКАЧАТЬ